Inhaltsverzeichnis
Wegzugsbesteuerung § 6 AStG bis einschließlich VZ 2021
1. Voraussetzungen
§ 6 AStG enthält eine Regelung zur steuerlichen Behandlung des Wegzugs eines Steuerpflichtigen, wenn dieser eine Beteiligung i.S.d. § 17 EStG in seinem Vermögen hält. § 6 AStG sieht in diesem Fall eine fingierte Veräußerung und damit ein steuerauslösendes Moment im Zeitpunkt des Wegzugs vor. Hintergrund für diese Regelung ist, dass i.d.R. nur der Ansässigkeitsstaat das Besteuerungsrecht hinsichtlich des Veräußerungsgewinns aus dem Anteil hat. Im Falle eines (unbesteuerten) Wegzugs würden damit stille Reserven, welche in Deutschland generiert wurden, in das Besteuerungsrecht eines anderen Staates verschoben werden. Um dies zu verhindern erfolgt im Zeitpunkt des Wegzuges eines Zwangsaufdeckung.
Merke
Es kommt zur Aufdeckung der stillen Reserven und deren Besteuerung, ohne dass dem Steuerpflichtigen Liquidität zufließt. Der Steuerpflichtige muss folglich sein Vermögen angreifen um die Steuerschuld zu entrichten!
Die Wegzugsbesteuerung des § 6 Abs. 1 S. 1 AStG greift ein, wenn eine natürliche Person, die insgesamt mindestens zehn Jahre nach § 1 Abs. 1 EStG unbeschränkt steuerpflichtig war und deren unbeschränkte Steuerpflicht durch Aufgabe des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts (= Wegzug) endet, ist auf Anteile i.S.d. § 17 Abs. 1 S. 1 EStG im Zeitpunkt der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht die Regelung des § 17 EStG auch ohne eine Veräußerung anzuwenden. Dies gilt nur dann, wenn im Zeitpunkt des Wegzugs hinsichtlich der Anteile die übrigen Voraussetzungen des § 17 EStG vorliegen. § 6 Abs. 1 S. 1 AStG fingiert damit einen Veräußerungsvorgang. An die Stelle des Veräußerungspreises tritt der gemeine Wert, der sich am Wegzugstag ermittelt (vgl. § 6 Abs. 1 S. 4 AStG).
Beispiel
A ist Gesellschafter der A GmbH und hält 5% der Anteile. Er gibt am 28.12. seinen Wohnsitz in Deutschland auf und verzieht in die USA. Seine Anteile behält er weiterhin.
Hinweis
§ 6 Abs. 1 AStG erfasst nur einen Gewinn. Ein (fiktiver) Veräußerungsverlust wird nicht erfasst!
Fallbeispiel
Da nicht in allen Wegzugsfällen zwangsläufig eine Aufgabe des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes vorliegt und es gleichwohl aber zu einer Verschiebung der stillen Reserven ins Ausland und zum Ausschluss oder der Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts kommen kann, hat der Gesetzgeber in § 6 Abs. 1 S. 2 AStG einen „Ersatzkatalog“ geschaffen, der Vorgänge beschreibt, die ebenfalls eine fingierte Veräußerung zur Folge haben.
Der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht stehen demnach gleich:
- Die Übertragung der Anteile durch ganz oder teilweise unentgeltliches Rechtsgeschäft unter Lebenden oder durch Erwerb von Todes wegen auf nicht unbeschränkt steuerpflichtige Personen.
- Die Begründung eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts oder die Erfüllung eines anderen ähnlichen Merkmals in einem ausländischen Staat, wenn der Steuerpflichtige auf Grund dessen nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung als in diesem Staat ansässig anzusehen ist.
- Die Einlage der Anteile in einen Betrieb oder eine Betriebsstätte des Steuerpflichtigen in einem ausländischen Staat.
- Der Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung der Anteile auf Grund anderer als der in § 6 Abs. 1 S. 1 AStG oder der in § 6 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bis 3 AStG genannten Ereignisse.
Die folgende Abbildung enthält ein Beispiel für die Übertragung durch Erbfall nach § 6 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AStG:
Hinweis
§ 6 Abs. 2 AStG enthält eine Ergänzungsvorschrift zur Berechnung der für § 6 Abs. 1 S. 1 AStG maßgeblichen Dauer der unbeschränkten Steuerpflicht. Demnach sind im Falle der Rechtsnachfolge auch die Umstände des Rechtsvorgängers in die Berechnung einzubeziehen, wenn die Anteile unentgeltlich oder teilweise unentgeltlich erworben wurden!
2. Entfallen des Steueranspruchs
§ 6 Abs. 3 AStG enthält eine Regelung betreffend den Steueranspruch für den Fall, dass der Steuerpflichtige innerhalb eines bestimmten Zeitraums wieder nach Deutschland zurückkehr und die (deutsche) unbeschränkte Steuerpflicht widerbegründet.
Gem. § 6 Abs. 3 S. 1 AStG entfällt der Steueranspruch rückwirkend, wenn die Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht lediglich auf einer vorübergehenden Abwesenheit des Steuerpflichtigen beruht und dieser innerhalb von fünf Jahren seit der Beendigung wieder unbeschränkt steuerpflichtig wird. Voraussetzung ist des Weiteren, dass
- die Anteile bei der Wiederbegründung der unbeschränkten Steuerpflicht noch nicht veräußert wurden,
- die Tatbestände des § 6 Abs. 1 S. 2 Nr.1 oder Nr. 3 AStG nicht erfüllt wurden und
- der Steuerpflichtige im Zeitpunkt der Wiederbegründung der unbeschränkten Steuerpflicht nicht in einem anderen Staat als ansässig gilt.
Beispiel
A ist Gesellschafter der A GmbH und hält 5% der Anteile. Er gibt am 28.12.01 seinen Wohnsitz in Deutschland auf und verzieht in die USA. Seine Anteile behält er weiterhin. Am 28.12.03 kehrt er wieder nach Deutschland zurück. Die Anteile hält er immernoch in seinem Privatvermögen.
Das Finanzamt kann die Fünfjahresfrist um maximal weitere fünf Jahre verlängern, wenn der Steuerpflichtige glaubhaft macht, dass berufliche Gründe für seine Abwesenheit maßgeblich sind und seine Absicht zur Rückkehr weiterhin unverändert fortbesteht. Damit ergibt sich eine maximale Frist von insgesamt zehn Jahren, in denen der Steuerpflichtige Zeit hat, den Steueranspruch aus der Wegzugsbesteuerung zum Erlöschen zu bringen.
Merke
Für den Rechtsnachfolger enthält § 6 Abs. 3 S. 3 AStG eine Sonderregelung!
Fallbeispiel
Wegzugsbesteuerung in EU mit Rückkehr
Wegzugsbesteuerung in EU mit Rückkehrabsicht
3. Stundungsmöglichkeit
a) Grundfall
Um unbillige Härten zu vermeiden und den Steuerpflichtigen nicht übermäßig in seiner Bewegungsfreiheit einzuschränken enthält § 6 Abs. 5 AStG für bestimmte Fälle die Möglichkeit die Steuer zu stunden.
Der Steueranspruch nach § 6 Abs. 1 AStG ist auf Antrag gem. § 6 Abs. 4 S. 1 AStG gegen Sicherheitsleistung gestundet werden, wenn die sofortige Einziehung eine unbillige Härte darstellen würde. Der Antrag ist vom Steuerpflichtigen zu stellen. Ein Absehen von der Festsetzung einer Sicherheitsleistung ist nur dann möglich, wenn der Steueranspruch nicht gefährdet ist.
Hinweis
Der Antrag ist vom Steuerpflichtigen zu stellen. In seinem Antrag muss der Steuerpflichtige die Gründe für das Vorliegen einer unbilligen Härte darlegen.
Die Stundung ist auf maximal fünf Jahre begrenzt. Gestundet wird grundsätzlich in regelmäßigen Teilbeträgen; es kommt also zu einer Ratenzahlung. In den Fällen des § 6 Abs. 3 S. 1 und S. 2 AStG entfällt die Erhebung von Teilbeträgen. Die Steuer wird dann insgesamt gestundet.
Die Stundung ist zu widerrufen, wenn die Anteile innerhalb des Stundungszeitraums veräußert werden oder ein veräußerungsgleicher Tatbestand i.S.d. § 6 Abs. 4 S. 2 AStG vorliegt.
b) Wegzug in EU-Mitgliedstaat
Verzieht der Steuerpflichtige in einen EU-Mitgliedstaat, so greift die Sonderregelung § 6 Abs. 5 AStG ein. In diesem Fall erfolgt eine zeitlich unbeschränkte, zinslose Stundung ohne Sicherheitsleistung. Die Regelung soll dem Umstand Rechnung tragen, dass sich alle Mitgliedstaaten mit dem Beitritt zur EU zur Schaffung eines EU-Binnenmarktes ohne Grenzen verpflichtet haben.
Demnach dürfen innerhalb der EU grenzüberschreitende Sachverhalte nicht schlechter gestellt werden als reine Inlandssachverhalte. Da im reinen Inlandssachverhalt aber eine Besteuerung nur bei Verwirklichung eines der Tatbestände des § 17 EStG ausgelöst wird und auch eine normale Stundung (mit Zinsen) den Steuerpflichtigen im grenzüberschreitenden Sachverhalt schlechterstellt, war diese Regelung zu treffen. Demnach wird zwar auch im EU-Fall grundsätzlich die Wegzugsbesteuerung gem. § 6 Abs. 1 AStG ausgelöst und ein entsprechender Steueranspruch ist zu ermitteln. Dieser wird jedoch unbefristet gestundet.
Hinweis
Aufgrund der EuGH-Rechtsprechung wurde § 6 Abs. 6 AStG ins Gesetz aufgenommen. Gemäß § 6 Abs. 6 Satz 1 AStG sind Wertminderungen in Bezug auf die Beteiligung, die nach dem Wegzug eintreten und sich auf die Höhe eines späteren Veräußerungsgewinns auswirken, über § 175 Abs. 1 S. 2 AO rückwirkend zu berücksichtigen. Anders als bei dem Verzug in einen Drittstaat können damit Umstände, die nach dem Wegzug eintreten, trotzdem noch bei der deutschen Besteuerung berücksichtigt werden!
Hinsichtlich der Möglichkeit des Widerrufs der Stundung in reinen EU-Fällen ist § 6 Abs. 5 S. 4 AStG zu beachten. Der Steuerpflichtige hat dem zuständigen (deutschen) Finanzamt entsprechend mitzuteilen, falls einer der Tatbestände des § 6 Abs. 5 S. 4 AStG verwirklicht wurde. Die Mitteilung muss innerhalb eines Monats nach dem meldepflichtigen Ereignis erfolgen.
Merke
Für den Brexit trifft § 6 Abs. 8 AStG eine Sonderregelung.
Fallbeispiel
Wegzug innerhalb der EU
Wegzug in Drittland
4. Verfahrensfragen
Der Steuerpflichtige hat dem zuständigen Finanzamt jährlich bis zum Ablauf des 31. Januar seine am 31. Dezember des vorangegangenen Kalenderjahres geltende Anschrift mitzuteilen und zu bestätigen, dass die Anteile ihm oder im Fall der unentgeltlichen Rechtsnachfolge unter Lebenden seinem Rechtsnachfolger weiterhin zuzurechnen sind.