Repräsentative Umfrage unter Berufsanwärtern zur elektronischen Durchführung der schriftlichen Steuerberaterprüfung
Dipl.-Wirtschaftsjurist Julius Dücker, Isa Zölitz, Ass. iur., Nadine Paschke und Jan-Hendrik Hillers, StB
I. Einleitung
Die Steuerberaterprüfung stellt jedes Jahr den steuerlichen Nachwuchs Deutschlands vor eine große, in vielen Fällen sogar die größte, Herausforderung des Berufslebens. So lag die Bestehensquote in den letzten zehn Prüfungsjahren 2013/2014 bis 2022/2023 bei gerade einmal ca. 51,56 % und war damit deutlich geringer als bei anderen Prüfungen für den Berufszugang.1 Aufgrund der vergleichsweise hohen Durchfall- bzw. geringen Bestehensquoten und dem gleichzeitig stetig zunehmenden Personalmangel in den steuerberatenden Berufen, mehrten sich in den letzten Jahren die Forderungen nach einer umfassenden Reform der Steuerberaterprüfung.2 Gleichzeitig betonen andere Stimmen der Literatur3 ebenso wie die Rechtsprechung4, dass sich der hohe Schwierigkeitsgrad der Steuerberaterprüfung und die damit zwangsläufig einhergehenden hohen Durchfallquoten aus der Komplexität des deutschen Steuerrechts sowie den hohen beruflichen Anforderungen an die Berufsangehörigen ergeben. Eine grundlegende Reform der Steuerberaterprüfung in den vergangenen Jahren ist daher bislang nicht erfolgt. Gleichwohl hat sich durch Artikel 21 des Gesetzes zur Modernisierung des notariellen Berufsrechts und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 25.6.20215 eine interessante Änderung bezüglich der Durchführung der schriftlichen Steuerberaterprüfung ergeben, da diese nach dem neu eingefügten § 37 Abs. 2 S. 2 StBerG nunmehr auch elektronisch durchgeführt werden darf. Für den Prüfungsjahrgang 2023/2024 wurde die elektronische Steuerberaterprüfung erstmals von der Steuerberaterkammer Schleswig-Holstein in Zusammenarbeit mit der Bundessteuerberaterkammer getestet und den Prüfungsteilnehmern ein Wahlrecht eingeräumt, ob sie die schriftliche Prüfung elektronisch oder analog anfertigen möchten.6
Vor diesem Hintergrund stellt der Beitrag nachfolgend den grundsätzlichen Ablauf der schriftlichen Steuerberaterprüfung in kurzer Form und anschließend die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage zur elektronischen Steuerberaterprüfung unter Berufsanwärtern dar, welche die schriftliche Steuerberaterprüfung in der Zeit vom 10.-12.10.2023 abgelegt haben. Zudem wird ein Vergleich zu den juristischen Staatsprüfungen gezogen, welche seit einiger Zeit in mehreren Bundesländern ebenfalls elektronisch abgelegt werden können.
II. Ablauf der Steuerberaterprüfung
Voraussetzung für die Zulassung zur Steuerberaterprüfung ist nach § 36 StBerG eine mehrjährige Berufspraxis auf dem Gebiet der von den Bundes- oder Landesbehörden verwalteten Steuern.7 Der Umfang dieser praktischen Tätigkeit hängt von der Vorbildung des Bewerbers ab und beträgt nach aktueller Rechtslage zwischen zwei und acht Jahren.8
Die Steuerberaterprüfung ist nach § 37 Abs. 2 S. 1 StBerG in einen schriftlichen Teil, der aus drei Aufsichtsarbeiten besteht, und eine mündliche Prüfung gegliedert. Die Benotung der einzelnen Prüfungsleistungen erfolgt nach § 15 Abs. 1 DVStB anhand von sechs Notenstufen (von Note 1 „sehr gut“ bis Note 6 „ungenügend“), die Bewertung mit halben Zwischennoten (z.B. Note 3,5) ist zulässig.
Die Aufgaben der schriftlichen Prüfung werden nach § 18 Abs. 1 S. 1 DVStB von der für die Finanzverwaltung zuständigen obersten Landesbehörde im Einvernehmen mit den übrigen für die Finanzverwaltung zuständigen obersten Landesbehörden gestellt. Der zeitliche Umfang der Aufsichtsarbeiten beträgt nach § 18 Abs. 1 S. 3 DVStB jeweils zwischen vier und sechs Stunden.9 Die Korrektur der Aufsichtsarbeiten erfolgt nach § 37b Abs. 4 StBerG durch einen
Prüfungsausschuss bei der für die Finanzverwaltung zuständigen obersten Landesbehörde.10 In die Zuständigkeit der Steuerberaterkammern fällt nach § 37b Abs. 1 StBerG lediglich die Zulassung der Teilnehmer sowie die organisatorische Durchführung der Steuerberaterprüfung. Jede Aufsichtsarbeit wird nach § 24 Abs. 2 S. 1 DVStB von mindestens zwei Prüfern (Erst- und Zweitprüfer) bewertet. Die schriftliche Prüfung ist nach § 25 Abs. 1 und 2 DVStB bestanden, wenn die Gesamtnote der drei Aufsichtsarbeiten mindestens 4,5 beträgt. Nicht entscheidend ist, dass in sämtlichen der drei Aufsichtsarbeiten die Note 4,5 oder besser erreicht wird, entscheidend ist ausschließlich die Gesamtnote.11
Die mündliche Prüfung gliedert sich nach § 26 Abs. 3 S. 1 und 2 DVStB in einen kurzen Fachvortrag und sechs Prüfungsabschnitte, in denen den Prüfungsteilnehmern Fragen von den Mitgliedern des Prüfungsausschusses gestellt werden. Für den Fachvortrag stehen den Prüfungsteilnehmern nach § 26 Abs. 6 DVStB drei Themen zur Auswahl. Der Fachvortrag und jeder einzelne Prüfungsabschnitt werden nach § 27 Abs. 1 bis 3 DVStB gesondert von den Mitgliedern des Prüfungsausschusses bewertet und eine Gesamtnote für die mündliche Prüfung gebildet. Die Steuerberaterprüfung ist nach § 28 Abs. 1 S. 2 DVStB bestanden, wenn die durch zwei geteilte Summe aus den Gesamtnoten für die schriftliche und die mündliche Prüfung die Zahl 4,15 nicht übersteigt.12
III. Umfrage unter den Berufsanwärtern zur schriftlichen Prüfung in elektronischer Form
1. Durchführung der Umfrage
Am 6. September 2023 wurde ein Online-Fragebogen per E-Mail an die Empfänger versandt. Die Auswertung der Antworten erfolgte am 13.11.2023. Die E-Mail-Adressdaten entspringen der Kursteilnehmer-Datenbank der examio GmbH, die auch die Lernplattform www.steuerkurse.de betreibt und dort unter anderem Online-Kurse für die Prüfungsvorbereitung auf die Steuerberaterprüfung anbietet. Die Umfrage richtete sich explizit an Teilnehmer der Steuerberaterprüfung. 415 Empfänger der E-Mail haben den Online-Fragebogen aufgerufen, wovon schließlich 316 Personen die Umfrage beantwortet haben. Die Umfrage besteht aus insgesamt 17 Fragen bzw. Thesen, die beantwortet bzw. zu denen Stellung genommen werden sollte.13 Um ein möglichst differenziertes Meinungsbild zu einzelnen Aspekten der digitalen Form
der Prüfungsdurchführung zu erheben, wurden diesbezügliche Fragen auch per Likert-Skala abgefragt (1 – stimme ich nicht zu; 5 – stimme ich voll zu). Zudem wurde am Ende des Fragebogens die Möglichkeit zur freien Äußerung der Gedanken zur elektronischen Steuerberaterprüfung14 per Freitexteingabe gegeben.
2. Ergebnisse der Umfrage
a) Antworten auf die Fragen
Die Auswertung der Antworten auf die insgesamt 17 Fragen sind im Nachfolgenden grafisch dargestellt. Sofern eine Mehrfachauswahl bei einzelnen Fragen möglich war, ist dies entsprechend in der Grafik für die jeweilige Frage vermerkt.
b) Persönliche Gedanken der Teilnehmer
Zuletzt sollen exemplarisch einige der in Freitextform geäußerten Gedanken der Teilnehmer der Umfrage zur E-Prüfung wiedergegeben werden. Die Mehrheit der Teilnehmer beurteilt die E-Prüfung positiv und bewertet sie etwa als „zeitgemäß“, „Chance für die Zukunft“ oder gar als „Hoffnung auf eine objektive Bewertung, mehr Fairness und Transparenz“. Besonders positiv hervorgehoben wurde, dass die E-Prüfung „die körperliche Belastung beim Schreiben deutlich reduzieren [würde]“ und insbesondere auch für Teilnehmer „mit […] schlechter Handschrift eine willkommene Alternative [sei]“.
Allerdings wurde insbesondere die Sorge vor technischen Problemen während der schriftlichen Prüfung hervorgehoben („Wie so vieles in Sachen Digitalisierung: noch zu unausgegoren und muss erstmal getestet werden.“; „Wäre ich im ersten Versuch, würde ich es testen, mit jedem weiteren Versuch, wäre mir die Gefahr vor technischen Störungen zu groß.“; „Zeitgemäß! Aber technische Fehler können zum Problem werden.“).
Andere Teilnehmer betonen hingegen, dass „das Konzept der Prüfung […] eher angepasst werden [sollte], als die Form zum Ablegen der Prüfung“ und die Steuerberaterprüfung durch die Möglichkeit zur elektronischen Durchführung „dadurch […] nicht praxisnäher“ werde. Eine besonders ausführliche Antwort eines Teilnehmers zeigt, an wie vielen Stellen Reformen der Steuerberaterprüfung aus Sicht der Berufsanwärter, abgesehen von der E-Prüfung, sinnvoll sein könnten:
„Ich persönlich sehe auch dringenden Handlungsbedarf bei der Steuerberaterprüfung. Einerseits um sie attraktiver und andererseits um sie praxisnäher und dadurch ‚relevanter‘ zu machen. Hier würde eher ein modulares System oder bspw. eine Aufteilung in unterschiedliche Prüfungsarten (bspw. neben einer kleineren Prüfung im Stil der traditionellen Steuerberaterprüfung eine E-Prüfung – Multiple Choice oder ausformuliert – sowie eine Hausarbeit, bei der man gutachterlich unter Verwendung büroalltäglicher Ressourcen sein Können unter Beweis stellen muss) [in Frage kommen]. Auch die Möglichkeit, die Prüfung mindestens ein zweites Mal im Jahr schreiben zu können, wäre zielführender […]. Ganz unabhängig davon, ob man krank war, einen persönlichen Schicksalsschlag wie den Tod eines Angehörigen erleiden musste oder […] wie jeder zweite Prüfling durchgefallen ist, muss man zwölf Monate erneut warten. In der eigentlichen Prüfungszeit muss man gefühlt wieder bei ‚Null‘ starten, weil das Geübte nicht mehr greifbar ist.“
3. Auswertung der Umfrage
Die wichtigsten Ergebnisse der durchgeführten Umfrage lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- Das Meinungsbild zur elektronischen Steuerberaterprüfung ist durchaus gespalten. Zwar befürwortet die Mehrheit der Umfrageteilnehmer die Möglichkeit einer elektronischen Durchführung, gleichwohl bestehen nicht unerhebliche Unsicherheiten bei einer Vielzahl der Teilnehmer (33,3 %).
- Auch wenn eine Vielzahl unterschiedlicher Vorteile der E-Prüfung genannt wurden, sprechen insbesondere die Möglichkeiten zur Bearbeitung der eigenen Klausur, die reduzierte körperliche Belastung sowie die Möglichkeit, die Klausuren ungeachtet der Handschrift der Teilnehmer zu bewerten, für die E-Prüfung. Interessanterweise wurde auch die geringere Gefahr des Verlusts von Klausuren sehr häufig als Vorteil der E-Prüfung genannt, Hintergrund dürfte dabei vor allem der Diebstahl einiger Klausuren des Prüfungsjahrgangs 2022/2023 gewesen sein.15
- Die größte Sorge der Teilnehmer bei der E-Prüfung ist das Auftreten von technischen Problemen während der Prüfung.
- Die meisten Teilnehmer gehen davon aus, dass sie die Prüfungsaufgaben bei der E-Prüfung um etwa 10-20 % schneller als im Vergleich zur handschriftlichen Prüfung bearbeiten könnten. Gleichzeitig spricht sich die überwiegende Mehrheit der Teilnehmer dafür aus, dass die E-Prüfung von Inhalt und Umfang identisch zur handschriftlichen Prüfung sein und auch nicht strenger bewertet werden sollte.
- Die Mehrheit der Teilnehmer befürwortet ein Wahlrecht des einzelnen Prüflings, ob die Steuerberaterprüfung elektronisch oder handschriftlich abgelegt wird.
- Der Großteil der Teilnehmer geht davon aus, dass sich die elektronische Durchführung der Steuerberaterprüfung am stärksten am ersten Prüfungstag in den Fachbereichen Abgabenordnung, Umsatzsteuer und Erbschaftsteuer auswirkt.
Insgesamt zeigt sich, dass die Vorteile der E-Prüfung gegenüber ihren Nachteilen überwiegen und dies auch von der Mehrheit der Teilnehmer so eingeschätzt wird. Gleichzeitig lassen sich aus den Umfrageergebnissen zudem einige Rückschlüsse darüber ableiten, welche Maßnahmen ergriffen werden müssten, um die Attraktivität der E-Prüfung zu steigern:
- Sicherstellung der technischen Zuverlässigkeit: Die herausragende Sorge der Teilnehmer bezüglich des Ausfallrisikos der Technik während der Prüfung unterstreicht maßgeblich
- die Bedeutung einer stabilen technischen Infrastruktur für die E-Prüfung. Dementsprechend sollten Investitionen in eine robuste IT-Infrastruktur getätigt und diese Infrastruktur regelmäßigen Tests unterzogen werden, um das Risiko eines technischen Ausfalls so stark wie möglich zu minimieren. Zudem sollten klare und eindeutige Notfallpläne für den Fall von technischen Problemen während der Prüfung ausgearbeitet werden, um sicherzustellen, dass Prüflinge nicht unverhältnismäßig durch auftretende technische Probleme benachteiligt werden. Zuletzt sollten strenge Sicherheitsmaßnahmen in puncto Datensicherheit und Datenschutz implementiert werden, um die Vertraulichkeit und Integrität der Prüfungsdaten zu gewährleisten.
- Angepasste Vorbereitung der Prüflinge: Insbesondere die unterschiedlichen Einschätzungen darüber, welche Auswirkungen die E-Prüfung auf die eigene Bearbeitungsgeschwindigkeit haben könnte, weisen darauf hin, dass individuelle Anpassungen oder spezielle Schulungen für die Prüflinge erforderlich sein könnten, damit diese das volle Potenzial der E-Prüfung ausschöpfen können. Hier könnte es etwa sinnvoll sein, eigene Kurse im Rahmen der Vorbereitung auf die Steuerberaterprüfung rund um die E-Prüfung oder Übungsklausuren im rein elektronischen Format in den Lernplan zu integrieren.
- Überprüfung der Eignung der einzelnen Prüfungsgebiete für eine E-Prüfung: Aus den Umfrageergebnissen zu Frage 5 geht hervor, dass die überwältigende Mehrheit der Teilnehmer die größte Auswirkung der E-Prüfung am ersten Prüfungstag sieht. Dies dürfte u.E. damit zu erklären sein, dass die Aufsichtsarbeit am ersten Prüfungstag erfahrungsgemäß zeitlich äußerst knapp bemessen ist und diese daher regelmäßig am schlechtesten von allen drei Aufsichtsarbeiten ausfällt.16 Hier könnte durch die E-Prüfung tatsächlich eine deutlich Verbesserung der Prüfungsbedingungen erreicht werden. Gleichzeitig deuten die Antworten der Teilnehmer darauf hin, dass die Prüfungsgebiete der anderen beiden Prüfungstage gegebenenfalls weniger für eine E-Prüfung geeignet sein könnten. Daher sollten die einzelnen Fachgebiete vorab auf ihre elektronische Umsetzbarkeit und die damit einhergehenden Veränderungen der Prüfungsbedingungen überprüft werden.
IV. Exkurs: Vergleich mit den juristischen Staatsprüfungen
Auch in der doch etwas veralteten juristischen Ausbildung wird in einigen Bundesländern vermehrt auf Digitalisierung und dabei zugleich auf die elektronische Durchführung der juristischen Staatsprüfungen Wert gelegt.
In Rheinland-Pfalz können die Aufsichtsarbeiten der staatlichen Pflichtfachprüfung bereits seit der Herbstkampagne 2023 sowie für die zweite juristische Staatsprüfung seit Oktober 2021 elektronisch angefertigt werden. Dabei steht den Prüflingen ein Wahlrecht zu, ob sie die Prüfung in elektronischer oder aber in schriftlicher Form anfertigen möchten.17 In Sachsen besteht die Möglichkeit der elektronischen Anfertigung der Aufsichtsarbeiten der zweiten juristischen Staatsprüfung seit Juni 2021.18 Vorreiter für die elektronische Staatsprüfung war jedoch Sachsen–Anhalt. Das Land ermöglichte es Referendaren im April 2019 das erste Mal, die Aufsichtsarbeiten der zweiten juristischen Staatsprüfung in elektronischer Form anzufertigen.19 Andere Bundesländer, so auch Hessen, Bayern und Nordrhein-Westphalen, planen, die Möglichkeit der elektronischen Anfertigung der Aufsichtsarbeiten der zweiten juristischen Staatsprüfung ab 2024 einzuführen.
In Hessen wurde 2022 bereits die Möglichkeit eröffnet, das Probeexamen für die zweite juristische Staatsprüfung in elektronischer Form anzufertigen. Der hessische Justizminister Prof. Dr. Roman Poseck führte hierzu im Anschluss aus, das elektronische Probeexamen sei von den Rechtsreferendaren gut angenommen worden und insgesamt ein Erfolg gewesen.20 Das dreitätige elektronische Probeexamen mit über 100 Teilnehmern sei dabei auch aus technischer Sicht einwandfrei verlaufen.21
Die Vorteile der elektronischen juristischen Staatsprüfung liegen – wie auch bei der schriftlichen Steuerberaterprüfung – vor allem darin, den geschriebenen Text einfach zu formatieren, nachträglich zu ändern sowie in der Möglichkeit, Textabschnitte via der Copy-Paste Funktion zu verschieben. Befürchtete Nachteile, wie beispielsweise das versehentliche Löschen des angefertigten Textes, werden in der Praxis durch ein automatisches Abspeichern alle zwei Sekunden vermieden. Schließlich dient das elektronische Verfassen der Prüfungen der besseren Lesbarkeit der Klausuren, was wiederum zu einer einheitlicheren, auf die tatsächliche Leistung zentrierten Benotung führt und auch den Korrektoren viel Zeit erspart. Nicht zuletzt sind Rechtsanwälte es heute kaum noch gewöhnt, Dokumente handschriftlich zu erstellen.22 So erscheint es auf den ersten Blick nicht einleuchtend, weshalb genau dies von den Prüflingen in den beiden juristischen Staatsprüfungen gefordert wird.
Ferner leiden viele Prüflinge bereits im Rahmen der Vorbereitung auf die juristischen Staatsprüfungen unter gesundheitlichen Einschränkungen. So ist nicht selten eine
Sehnenscheidenentzündung die Folge vom vermehrten Klausuren schreiben per Hand. Werden in der ersten juristischen Staatsprüfung in den meisten Bundesländern sechs Aufsichtsarbeiten à fünf Stunden innerhalb von zwei Wochen angefertigt23, sind dies in der zweiten juristischen Staatsprüfung zwischen sieben und neun Aufsichtsarbeiten.24 Sprich: Innerhalb von zwei Wochen muss der durchschnittliche Prüfling physisch in der Lage sein, 30 bzw. 48 Stunden lang, seine Gedanken handschriftlich niederzuschreiben. Ungeachtet dessen werden die Probeklausuren im Vorfeld auf die Vorbereitung auf die juristischen Staatsprüfungen ebenso schriftlich verfasst. So ist nicht verwunderlich, dass bei ein bis zwei Probeklausuren pro Woche über mindestens ein Jahr verteilt der ein oder andere Prüfling diverse physische Leiden entwickelt.25
Bedenken darüber, ob das Ermöglichen der elektronischen Anfertigung von Prüfungsleistungen gegenüber denjenigen Prüflingen, denen in der Vergangenheit lediglich die Möglichkeit der handschriftlichen Ausarbeitung zukam, eine Ungleichbehandlung darstellen könnte, bestehen nicht. Grundsätzlich ist im Prüfungsrecht der auf Art. 3 Abs. 1 GG beruhende Grundsatz der Chancengleichheit zu beachten.26 Hängt jedoch das Ablegen einer Prüfung eng mit dem späteren Berufsweg zusammen und ist der Prüfungserfolg Zulassungsvoraussetzung für die Aufnahme eines Berufs, so kann durch Prüfungsregelungen auch der besondere Freiheitsraum berührt werden, der durch Art. 12 Abs. 1 GG gesichert wird27 Ob tatsächlich ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 3 Abs. 1 GG bzw. des Art. 12 Abs. 1 GG durch die Einführung der Möglichkeit der elektronischen Anfertigung der Prüfungsleistungen gegeben ist, kann allerdings dahinstehen. Denn eine mögliche Ungleichbehandlung wird regelmäßig bereits dadurch gerechtfertigt sein, dass es der Gestaltung des Gesetzgebers unterliegt, Änderungen der Ausbildungs- und Prüfungsvorschriften vorzunehmen, sofern bei Übergangsregelungen eine Verschiedenbehandlung oder aber zumindest übermäßige Benachteiligungen im Falle einer Verschiedenbehandlung vermieden werden.28
Die Änderung der Prüfungsbedingungen ist gerade im Zeitalter der Digitalisierung der Prüfungen immanent. Darauf, dass die juristische Ausbildung „immer schon so ausgestaltet war“, kann sich gerade nicht berufen werden. Dieser Gedankengang lässt sich ebenso auf die Steuerberaterprüfung übertragen. Denn ebenso wie die juristische Ausbildung, ist freilich auch die Ausbildung angehender Steuerberater an das 21. Jahrhundert anzupassen.
V. Fazit
Die Einführung der elektronischen Steuerberaterprüfung ist zu begrüßen. Gleichzeitig bestehen jedoch zum aktuellen Zeitpunkt noch viele Unklarheiten und Unsicherheiten, welche zwingend beseitigt werden müssen, bevor eine elektronische Durchführung der Steuerberaterprüfung in größerem Umfang in Frage kommt. Anhaltspunkte für eine Umsetzung der elektronischen Steuerberaterprüfung können insbesondere die bereits erfolgten Durchführungen juristischer Staatsprüfungen in elektronischer Form liefern. Vor allem sollte die „technische Revolution“ der Steuerberaterprüfung aber als Anlass genommen werden, eine generelle Reform der Prüfung, wie sie unterschiedliche Berufsverbände seit langer Zeit fordern, tatsächlich anzugehen. Der Beruf des Steuerberaters verdient eine grundlegend überarbeitete Berufsprüfung.
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1 Vgl. Brauner, DStR 2023, 2189 (2190).
2 Vgl. https://www.juve-steuermarkt.de/karriere/steuerberaterverband-berlin-brandenburg-fordert-reform-des-steuerberaterexamens/ (letzter Abruf am 20.12.2023). Hierzu zudem Neufang, StB 2012, 315.
3 Vgl. Appich, DStR 2023, 903 (904).
4 Zuletzt FG Bremen v. 3.11.2022 – 2 K 12, 21, DStR 2023, 903, BeckRS 2022, 39985, Rn. 56.
5 BGBl. I 2021, 2154.
6 https://www.stbk-sh.de/steuerberater/steuerberaterpruefung/digitale-steuerberaterpruefung-2023-2024/ (letzter Abruf am 20.12.2023).
7 Ausführlich zur praktischen Tätigkeit als Zulassungsvoraussetzung zur Steuerberaterprüfung Kessler/Weber, DStR 2008, 740.
8 Vgl. Brauner, DStR 2023, 2189.
9 Die Erfahrung zeigt jedoch, dass die Bearbeitungszeit der Aufsichtsarbeiten in aller Regel bei sechs Stunden je Arbeit liegt, vgl. Zugmaier, NWB 2019, 3839 (3840).
10 Der Prüfungsausschuss setzt sich aus insgesamt sechs Mitgliedern, drei Angehörigen der Finanzverwaltung sowie drei Steuerberatern oder zwei Steuerberatern und einem Vertreter der Wirtschaft, zusammen. Den Vorsitz des Prüfungsausschusses hat dabei stets einer der Vertreter der Finanzverwaltung inne, vgl. Brauner, DStR 2023, 2189.
11 Vgl. Zugmaier, NWB 2019, 3839 (3840).
12 Die Bestehensgrenze mit der Durchschnittsnote 4,15 entspricht nach der Rechtsprechung des BFH höherrangigem Recht, vgl. BFH v. 6.3.2001 – VII R 38/00, BStBl. II 2001, 370.
13 Aus Vereinfachungsgründen werden im Nachfolgenden ausschließlich die Bezeichnungen „Frage“ bzw. „Fragen“ verwendet.
14 Für Zwecke der Umfrage „E-Prüfung“.
15 Im November 2022 wurde in NRW ein Transporter mit 20 Klausuren entwendet und zerstört. Die betroffenen Teilnehmer mussten sich zwischen einem Nachschreibetermin für die verlorengegangene Klausur oder dem Rücktritt von der gesamten Prüfung entscheiden, vgl. https://www.juve-steuermarkt.de/karriere/nicht-mehr-auf-papier/ (letzter Abruf am 20.12.2023).
16 Vgl. Rennebarth, DStR 2022, 1971 (1975).
17 Vgl. https://jm.rlp.de/service/landespruefungsamt-fuer-juristen/elektronisches-examen/ (letzter Abruf am 20.12.2023).
18 Vgl. https://www.justiz.sachsen.de/content/7144.htm (letzter Abruf am 20.12.2023).
19 Vgl. https://community.beck.de/2019/03/12/sachsen-anhalt-startet-e-examen-wir-zuenden-die-erste-stufe (letzter Abruf am 20.12.2023).
20 Vgl. https://hessen.de/presse/erfolgreicher-abschluss-des-elektronischen-probeexamens (letzter Abruf am 20.12.2023).
21 Ebenda.
22 Vgl. BT-Drucks. 20/21 S. 133.
23 In Berlin und Brandenburg müssen sogar sieben Aufsichtsarbeiten geschrieben werden, vgl. https://iqb.de/karrieremagazin/jura/klausuren-erstes-saatsexamen-jura/#:~:text=In%20Nordrhein%2DWestfalen%20besteht%20die,und%20eine%20Klausur%20im%20Strafrecht (letzter Abruf am 20.12.2023).
24 Vgl. https://www.lto.de/karriere/jura-referendariat/klausuren (letzter Abruf am 20.12.2023).
25 Vgl. https://politik-gesellschaft.com/2021/09/22/ist-es-zeit-fur-ein-digitales-staatsexamen/ (letzter Abruf am 20.12.2023).
26 Ständige Rechtsprechung, vgl. nur BVerfG v. 17.4.1991 – 1 BvR 419/81, 1 BvR 213/83, NJW 1991, 2005.
27 Vgl. VerfGH NRW v. 16.5.2023 – VerfGH 19/23.VB-1, BeckRS 2023, 12113, Rn. 12.
28 Ebenda, Rn. 13.