Quelle: BFH-Urteil vom 03.06.2025, IX R 18/24
Leitsätze
Werden Wirtschaftsgüter einer gewerblich geprägten Personengesellschaft wegen des Wegfalls dieser Prägung in das Privatvermögen überführt und von der nunmehr vermögensverwaltenden Gesellschaft weiterhin zur Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung genutzt, sind als Bemessungsgrundlage für die Absetzung für Abnutzung (AfA) die im Zuge der Ermittlung des Gewinns oder Verlusts aus der Betriebsaufgabe steuerlich erfassten gemeinen Werte dieser Wirtschaftsgüter anzusetzen (Anschluss u. a. an Senatsurteil vom 22.02.2021, IX R 13/19).
Dies gilt für die AfA in den Folgejahren nach einer Betriebsaufgabe auch dann, wenn bei der Ermittlung des Betriebsaufgabegewinns oder -verlusts ein der Höhe nach unzutreffender gemeiner Wert steuerlich erfasst wurde (entgegen des BFH-Urteils vom 29.04.1992, XI R 5/90, BFHE 168, 161, BStBl. II 1992, S. 969).
Die finanzgerichtliche Aufhebung eines Bescheids, dem materiell-rechtliche Bindungswirkung für einen anderen Bescheid zukommt, kann ein rückwirkendes Ereignis nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO darstellen.
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 09.07.2024, 8 K 8119/23 wird als unbegründet zurückgewiesen.
(…)
Tatbestand
Streitpunkt ist, ob bestandskräftige Steuerbescheide nach den Vorschriften der Abgabenordnung (AO) geändert werden können.
Die (Revisions)Klägerin A vermietete Immobilien und erzielte hieraus zunächst gewerbliche Einkünfte gem. § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG. Zu Beginn des Jahres 2008 entfiel die gewerbliche Prägung von A. Dies führte zur Aufgabe des Gewerbebetriebs.
Für das Jahr 2007 erklärte A neben den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung einen Verlust i. R. d. Betriebsaufgabe. Der Verlust resultierte durch eine Unterbewertung der in das Privatvermögen überführten Immobilien. Daraufhin erließ das Finanzamt am 12.03.2013 erklärungsgemäß einen Steuerbescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für das Jahr 2007.
Mit zeitlichem Abstand erließ das Finanzamt (Beklagte und Revisionsbeklagte) eine steuerliche Außenprüfung. Der Außenprüfer änderte den Steuerbescheid von 2007, da ein Betriebsaufgabegewinn durch höhere gemeine Werte festgestellt wurde. Im Gegenzug setzte das Finanzamt die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung aufgrund eines höheren AfA-Ansatzes durch eine höhere AfA-Bemessungsgrundlage herab. Der korrigierte Steuerbescheid für 2007 wurde am 07.06.2016 erlassen.
Ergänzend dazu erließ das Finanzamt ebenfalls am 07.06.2016 zu Gunsten von A geänderte Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen 2008 – 2011. In diesen Steuerbescheiden wurden höhere Abschreibungen berücksichtigt. Die Bescheide wurden bestandskräftig.
A erhob Einspruch gegen den geänderten Steuerbescheid aus der Außenprüfung. Der Einspruch hatte insoweit Erfolg, als das Finanzamt den Betriebsaufgabegewinn auf 0 EUR herabsetzte. In der Einspruchsentscheidung vom 23.08.2021 legte es einerseits die von A ursprünglich erklärten niedrigeren gemeinen Werte zugrunde, ging andererseits aber von den entsprechend niedrigeren Buchwerten aus. Der Ansatz der erklärungsgemäßen gemeinen Werte hatte zur Folge, dass die AfA wieder gemindert und die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung für 2007 rückwirkend erhöht wurden.
Die nachfolgende Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht entschied mit Urteil vom 03.05.2022 (Az. 8 K 8258/20), dass die Außenprüfung fehlerhaft angeordnet und zum Zeitpunkt des Erlasses des nach der Außenprüfung geänderten Bescheids für 2007 bereits Feststellungsverjährung eingetreten sei. Dementsprechend hob das Gericht den geänderten Bescheid 2007 vom 07.06.2016 als auch die nachfolgende Einspruchsentscheidung auf.
Mit dem vorliegenden angefochtenen Urteil wies das Finanzgericht die Klage ab (Entscheidung der Finanzgerichte 2024, S. 1731). Die Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen vom 07.06.2016 seien rechtswidrig gewesen, da bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zu hohe AfA in Abzug gebracht wurde. Infolge der gerichtlichen Aufhebung der Feststellungsbescheide 2007 vom 07.06.2026 seien die i. R. d. Betriebsaufgabe zu berücksichtigenden gemeinen Werte für die Immobilien nachträglich (wieder) gemindert worden. Dies habe für die Streitjahre eine Pflicht zur Änderung der Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach § 174 Abs. 4 AO ausgelöst.
Durch Erhebung der Revision von A wurde die rechtsfehlerhafte Anwendung des § 174 Abs. 4 AO gerügt.
A beantragte das angefochtene Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 09.07.2024, 8 K 8119/23 sowie die Steuerbescheide 2008 – 2011 vom 20.04.2022 und die hierauf ergangene Einspruchsentscheidung vom 05.06.2023 aufzuheben.
Das Finanzamt beantragt die Revision zurückzuweisen und führte an, dass auch die Voraussetzungen für eine Änderung der Steuerbescheide nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO vorlägen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet und wird nach § 126 Abs. 2 FGO zurückgewiesen.
Das Finanzgericht hat richtig entschieden, dass die Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen 2008 – 2011 vom 07.06.2016 zu Lasten der Klägerin zu ändern sind. Rechtsgrundlage hierfür ist § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO.
Gemäß § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO sind Steuerbescheide zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, dass steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (sog. rückwirkendes Ereignis). Für Bescheide über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen gilt diese Vorschrift sinngemäß (§ 181 Abs. 1 S. 1 AO).
Das Finanzgericht ist im Streitfall zunächst rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Anwendungsbereich der Korrekturvorschriften (§§ 172 ff. AO) eröffnet ist.
Die von der Änderung betroffenen Bescheide vom 07.06.2016 waren rechtswidrig, weil bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zu hohe Werbungskosten abgezogen wurden. Dies beruht auf einer unzutreffenden und zu hohen AfA-Bemessungsgrundlage für die vermieteten Immobilien.
Ausführlich stellt der BFH im Urteilssachverhalt systematisch dar, dass Abschreibungen als abziehbare Werbungkosten gem. § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 7 EStG im Rahmen einer Vermietung und Verpachtung abzuziehen sind (vgl. Urteilssachverhalt Rz. 20 ff.)
Die AfA bemisst sich gem. § 7 Abs. 4, Abs. 5 EStG grundsätzlich nach den Anschaffungs- oder Herstellungskosten des Gebäudes. Wird allerdings ein im Betriebsvermögen gehaltenes Gebäude durch eine Entnahme oder Betriebsaufgabe in das Privatvermögen des Steuerpflichtigen überführt und anschließend zur Erzielung von Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung genutzt, ist § 7 Abs. 4, Abs. 5 EStG nicht unmittelbar anwendbar. Denn die Überführung vom Betriebs- ins Privatvermögen stellt mangels Rechtsträgerwechsel keinen Erwerb dar und führt somit nicht zu (neuen) Anschaffungskosten auf die eine AfA erhoben werden kann.
Nach einer Entnahme oder Betriebsaufgabe ist jedoch der Teilwert (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 S. 1 EStG) bzw. der gemeine Wert i. S. d. § 16 Abs. 3 S. 8 EStG den Anschaffungskosten gleichzusetzen. Die ständige Rechtsprechung spricht hier von anschaffungsähnlichen Vorgängen (zuletzt Senatsurteil vom 22.02.2021, IX R 13/19, Rz. 15, m. w. N.).
Das Gesetz setzt aber voraus, dass das Gebäude im Zuge der Ermittlung des Entnahme- oder Betriebsaufgabegewinns mit dem gemeinen Wert oder Teilwert erfasst wurde. Sonst sind als künftige AfA-Bemessungsgrundlage weiterhin die ursprünglichen Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten zugrunde zu legen.
Wurde bei der Ermittlung des Gewinns aus der Entnahme bzw. Betriebsaufgabe ein der Höhe nach unzutreffender Wert für das Wirtschaftsgut erfasst, ist jener Wert und nicht der tatsächliche Wert für die AfA maßgebend.
Nach diesen Grundsätzen stellt der BFH fest, dass in den Bescheiden vom 07.06.20216 über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen zu hohe AfA zugrunde lag.
Der BFH hat im Urteilsfall entschieden, dass der Wegfall der gewerblichen Prägung des A in 2007 zu einer Aufgabe des Gewerbebetriebs führte (§ 16 Abs. 3 EStG) und stützt diese Entscheidung auf das Senatsurteil vom 22.02.2021, IX R 13/19, Rz. 20. Die gerichtliche Aufhebung des Bescheids über die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für 2007 vom 07.06.2016 hatte zur Folge, dass der ursprünglich erlassene Steuerbescheid vom 12.03.2013 wieder auflebte.
In diesem Steuerbescheid wurde ein Betriebsaufgabeverlust festgestellt, mit dem die durch A erklärten gemeinen Werte im oben genannten Sinne „steuerlich erfasst“ wurden. Diese Werte, die nach Aktenlage zwischen den Beteiligten außer Streit stehen, sind niedriger als diejenigen, die den Bescheiden über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für die Streitjahre vom 07.06.2016 zugrunde lagen. Hieraus folgt, dass bislang zu hohe AfA als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abgezogen wurden.
Fazit
Die Voraussetzungen für eine Änderung der Bescheide nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO liegen vor. Als Ereignis i. S. d. Vorschrift gilt jeder rechtliche relevante Vorgang. Neben Tatsachen zum Sachverhalt gehören dazu auch rechtliche Vorgänge, wie die Einwirkungen auf oder durch Rechtsgeschäfte, Rechtsverhältnisse, Gerichtsentscheidungen und Verwaltungsakte.
Ob ein solches Ereignis steuerlich in die Vergangenheit zurückwirkt, richtet sich allein nach den Normen des materiellen Steuerrechts. Ein solches Rückwirken sieht der BFH in der Urteilssache als gegeben an (vgl. BFH-Urteil vom 10.10.2024, IV R 1/22, zur amtl. Veröffentlichung bestimmt, BStBl. II 2025, S. 294, Rz. 47 f., m. w. N.).
Verfasst von:
Florian Solich
Steuerberater
Fachberater für Unternehmensnachfolge (DStV e.V.)
Master of Arts (Taxation), M.A.
