Florian Solich - Steuerberater, Master of Arts (Taxation), M.A.
Leitsatz
Führt der Steuerpflichtige im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung am Ort des Lebensmittelpunkts einen Ein-Personen-Haushalt, stellt sich die Frage nach der finanziellen Beteiligung an den Kosten der Lebensführung i. S. v. § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 5 EStG nicht.
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Finanzgerichts München vom 01.03.2023, 1 K 2311/20 aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht München zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
(…)
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger A (geb. 1986, ledig) hatte 2007 seine Ausbildung abgeschlossen. Anschließend studierte er mit zeitlicher Verzögerung an einer Hochschule im Bachelorstudiengang. Danach führte er das Studium im Masterstudiengang fort.
Später wurde A wissenschaftlicher Mitarbeiter an einer Universität bzw. Hochschule und fertigte seine Doktorarbeit an. An den jeweiligen Studienorten wohnte er in Mietwohnungen bzw. Zimmern.
In den Jahren 2014 – 2018 erzielte A für seine Tätigkeiten als Werkstudent, studentische Hilfskraft und als wissenschaftlicher Mitarbeiter Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit (§ 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG).
Zusätzlich erhielt er in den Jahren 2014 – 2017 Leistungen aus dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BaföG).
Der Lebensmittelpunkt lag in den Streitjahren im Ort B. Er bewohnte dort sämtliche Räumlichkeiten im Obergeschoss seines Elternhauses. Im Erdgeschoss und im Obergeschoss befanden sich jeweils Diele, Küche, Bad/WC sowie drei Wohnräume bzw. im Obergeschoss nach Zusammenlegung zwei Wohnräume. Die Räumlichkeiten hatten jeweils einen Eingang zum mittigen, offenen Treppenhaus.
Das Erd- und Obergeschoss waren im Wesentlichen grundrissgleich.
Im Jahr 1985 bezogen die Eltern des A die im Erdgeschoss belegenen Räume. Die Großeltern bewohnten daraufhin das Obergeschoss. Nach dem Auszug der Großeltern (1990) bezogen A und dessen jüngerer Bruder je ein Zimmer im Obergeschoss. 2010 zog der Bruder vom Kläger aus. Daraufhin renovierte A die Räume im Obergeschoss und bewohnte sie seitdem allein.
Die Wohnraumgestellung erfolgte von den Eltern unentgeltlich.
In den Einkommensteuererklärungen machte A notwendige Mehraufwendungen wegen einer beruflich veranlassten doppelten Haushaltsführung (§ 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 5 EStG) sowie Verpflegungsmehraufwendungen (§ 9 Abs. 4a S. 12 ESG) als Werbungskosten bei den Einkünften i. S. d. § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG geltend.
Im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung ließ das Finanzamt die Aufwendungen für die Familienheimfahrten erklärungsgemäß als „Lebensmittelpunktfahrten“ zum Werbungskostenabzug zu. Die geltend gemachten Aufwendungen der doppelten Haushaltungsführung sowie die Verpflegungsmehraufwendungen wurden aber nicht anerkannt.
Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht ab. Die noch streitigen Mehraufwendungen seien dem – weitgehend wirtschaftlich nicht selbstständigen – Kläger in den Streitjahren nicht wegen einer beruflich veranlassten doppelten Haushaltsführung entstanden. A habe zwar an seinem Lebensmittelpunkt in B im Obergeschoss des Elternhauses gelebt, dort aber keinen eigenen Hausstand geführt. A sei in den Hausstand seiner Eltern, welcher auch die bewohnten Räumlichkeiten im Obergeschoss umfasse, eingegliedert gewesen.
Mit der Revision rügt A die Verletzung materiellen Rechts.
Es wurde beantragt das Urteil des Finanzgerichts München vom 01.03.2023, 1 K 2311/20 und die Einspruchsentscheidung vom 25.09.2020 aufzuheben sowie die Einkommensteuerbescheide 2014 – 2016 (jeweils vom 29.05.2018) und die Einkommensteuerbescheide 2017 – 2018 (jeweils vom 24.08.2020) dahingehend zu ändern, dass die beantragten Werbungskosten berücksichtigt werden.
Das Finanzamt beantragt die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des A ist unbegründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückweisung der nicht spruchreifen Sache an das Finanzgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 FGO).
Das Finanzgericht hat unrechtmäßig das Vorliegen einer doppelten Haushaltsführung mit der Begründung verneint, der Kläger habe keinen eigenen Hausstand am Lebensmittelpunkt (B), sondern sei vielmehr in den dort bestehenden elterlichen Haushalt integriert.
Der BFH legt dar, dass Aufwendungen des Steuerpflichtigen für eine zweite Ausbildung regemäßig beruflich veranlasst sind. Dass die Aufwendungen zumindest für die eigene Zweitausbildung regelmäßig nicht auf unbeachtlichen privaten Motiven gründen, nimmt auch § 9 Abs. 6 EStG zum Ausgangspunkt (Senatsurteil vom 24.10.2024, VI R 7/22, BStBl. II 2025, S. 354, Rz. 11, m. w. N.).
Demnach sind sämtliche beruflich veranlassten Aufwendungen, die im Rahmen einer Zweitausbildung anfallen, als Werbungskosten abziehbar. Dazu gehören auch notwendige Mehraufwendungen für die doppelte Haushaltsführung (Senatsurteil vom 14.05.2020, VI R 3/18, BFHE 269, 486, BStBl. II 2021, S. 302, Rz. 21).
Eine doppelte Haushaltsführung liegt nur vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Orts seiner ersten Tätigkeitsstätte einen eigenen Haushalt unterhält und auch am Ort der ersten Tätigkeitsstätte wohnt (§ 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 5 S. 2 EStG). Gemäß § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 5 S. 3 EStG setzt das Vorliegen eines eigenen Hausstands das Innehaben einer Wohnung sowie eine finanzielle Beteiligung an den Lebensführungskosten voraus.
Unter einer Wohnung sind alle den Lebensbedürfnissen des Steuerpflichtigen dienenden Räumlichkeiten zu verstehen. Erforderlich, aber auch ausreichend, ist ein räumlicher Bereich, in dem der Lebensmittelpunkt verortet werden kann. Den bewertungsrechtlichen Anforderungen an eine Wohnung müssen die Räumlichkeiten nicht entsprechen (Senatsurteil vom 12.01.2023, VI R 39/19, BFHE 279, 396, BStBl. II 2023, S. 747, Rz. 16, m. w. N.).
A hat die Wohnung inne, wenn er sie als Eigentümer oder Mieter nutzt. Allerdings kann auch ein abgeleitetes Recht i. S. einer geschützten Rechtsposition ausreichend sein. Davon ist (regelmäßig, [Anm. d. Verf.]) auszugehen, wenn der Ehepartner, Lebensgefährte oder Familienangehörige Eigentümer oder Mieter der Wohnung ist und diese dem Steuerpflichtigen zur Nutzung überlässt (Senatsurteil vom 12.01.2023, VI R 39/19, BFHE 279, 396, BStBl. II 2023, S. 747, Rz. 17, m. w. N.).
In der Wohnung, die der Steuerpflichtige außerhalb des Ortes seiner ersten Tätigkeitsstätte innehat, muss sich auch weiterhin der Haushalt befinden, den er am Lebensmittelpunkt führt (Erst- oder Haupthaushalt).
Es ist daher entscheidend, dass sich der Steuerpflichtige in dem betreffenden Haushalt, im Wesentlichen – nur unterbrochen durch die arbeits- und urlaubsbedingte Abwesenheit – aufhält. Allein das Vorhalten einer Wohnung für gelegentliche Besuche oder für Ferienaufenthalte ist nicht ausreichend. Der Steuerpflichtige muss zudem als wesentlich bestimmender bzw. mitbestimmender Teil der Haushaltsführung anzusehen sein. Er darf nicht in einen anderen Haushalt eingegliedert sein. Der elterliche Haushalt kann in einem dieser Fälle zwar, auch wenn das Kind am Beschäftigungsort eine Unterkunft bezogen hat, wie bisher der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen sein, sie ist aber kein vom Kind unterhaltener eigner Hausstand (Senatsurteil vom 12.01.2023, VI R 39/19, BFHE 279, 396, BStBl. II 2023, S. 747, Rz. 19, m. w. N.).
Das Vorliegen eines eigenen Hausstands erfordert eine finanzielle Beteiligung an den Lebensführungskosten. Dieses Tatbestandsmerkmal ist erst von Bedeutung, soweit der Steuerpflichtige am Lebensmittelpunkt einem Mehrpersonenhaushalt angehört. Führt der Steuerpflichtige einen Ein-Personen-Haushalt, stellt sich die Frage nach der finanziellen Beteiligung an den Haushaltsführungskosten nicht.
Gemessen daran hält die Entscheidung der Vorinstanz dieser Überprüfung nicht stand. Das Finanzgericht hat rechtsfehlerhaft entschieden, dass der Kläger am Ort seines Lebensmittelpunkts keinen eigenen Haushalt unterhalten hat.
Die Eltern des A haben ihm sämtliche Räumlichkeiten im Obergeschoss des Hauses zur Nutzung überlassen. Der Senat sieht darin nach den Feststellungen des Finanzgerichts eine Wohnung i. S. d. § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 5 EStG, die einen eigenen Hausstand begründet.
Der Umstand, dass es sich um eine bloße Nutzungsüberlassung und nicht um ein Mietverhältnis handelt, steht – anders als das Finanzgericht meint – nach Auffassung des BFH nicht entgegen (Senatsurteil vom 12.01.2023, VI R 39/19, BFHE 279, 396, BStBl. II 2023, S. 747, Rz. 17, m. w. N.).
Ob die vom Kläger bewohnte Wohnung im Obergeschoss gegenüber der von den Eltern bewohnten Wohnung im Erdgeschoss baulich abgetrennt ist, ist für das Vorliegen eines eigenen Hausstands unerheblich (Senatsurteil vom 12.01.2023, VI R 39/19, BFHE 279, 396, BStBl. II 2023, S. 747, Rz. 16, 30).
Der BFH sieht in den sich im Obergeschoss des Hauses gelegenen Räumen eine (eigenständige) Wohnung, denn durch die umfassende Renovierung in 2010/2011 haben sich die ursprünglichen Wohnverhältnisse umfassend geändert. Seitdem kann nicht mehr davon ausgegangen werden, dass sich der elterliche Haushalt auch auf die Räume des A und dessen Bruder im Obergeschoss erstrecke. Vielmehr ist durch den Auszug des Bruders sowie der Renovierung ein eigener Haushalt des A begründet worden. Die räumliche und wirtschaftliche Trennung vom Haushalt der Eltern ist damit gegeben.
Fazit
Ob ein Steuerpflichtiger in einer Wohnung einen eigenen Hausstand führt, kann nur unter Berücksichtigung der Einrichtung, der Ausstattung und der Größe der Wohnung entschieden werden. Wird der Haushalt in einer sich abgeschlossenen Wohnung geführt, die auch nach Größe und Ausstattung ein eigenständiges Wohnen und Wirtschaften gestattet, wird regelmäßig vom Unterhalten eines eigenen Hausstands auszugehen sein. Weiter sind auch die persönlichen Lebensumstände, Alter und Personenstand zu berücksichtigen.
So sieht der BFH in A nicht einen jungen, wirtschaftlich unselbstständigen Steuerpflichtigen. A war zu Beginn der Streitjahre 28 Jahre alt und befand sich nach erfolgreicher Berufsausbildung und anschließender Berufstätigkeit in einer zweiten akademischen Ausbildung. Er verfügt in den Streitjahren über ein eigenes geringes Einkommen, bezog daneben Leistungen aus dem BaföG und seit Abschluss des Studiums ein auskömmliches Gehalt.
Die Vorentscheidung des Finanzgerichts hebt der BFH mit Urteilsspruch auf.
Quelle: BFH-Urteil vom 29.04.2025, VI R 12/23