Florian Solich - Steuerberater, Master of Arts (Taxation), M.A.
Leitsatz
Hat eine Kapitalgesellschaft ihren gesamten Grundbesitz einen Tag vor Ablauf des Erhebungszeitraums (= zu Beginn des 31.12.) veräußert, kann die sog. erweiterte Gewerbesteuerkürzung nach § 9 Abs. 1 S. 2 GewStG nicht in Anspruch nehmen, da sie in diesem Fall nicht ausschließlich grundstücksverwaltend tätig war.
Tenor
Auf die Revision des Beklagten werden das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 27.10.2022, 10 K 3572/18 G und die Einspruchsentscheidung des Beklagten vom 17.10.2018 aufgehoben.
Der Gewerbesteuermessbetrag für 2016 wird unter Abänderung des Bescheids des Beklagten über den Gewerbesteuermessbetrag für 2016 vom 09.10.2017 auf den Betrag festgesetzt, der sich bei Berücksichtigung der einfachen Gewerbesteuerkürzung gem. § 9 Abs. 1 S. 1 GewStG ergibt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Berechnung des Gewerbesteuermessbetrags wird dem Beklagten übertragen.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Klägerin und Revisionsbeklagten (A) im Streitjahr 2016 die erweiterte Gewerbesteuerkürzung (§ 9 Nr. 1 S. 2 ff. GewStG) zusteht.
Die Klägerin A ist eine GmbH und wurde 2013 gegründet. Gegenstand des Unternehmens ist die Verwaltung (namentlich die Vermietung und Verpachtung) und die Veräußerung von Grundbesitz einschließlich der Durchführung von Baumaßnahmen auf fremden Grundbesitz.
Ein Grundstück mit mehreren Eigentumswohnungen und wohnungsrechtlichen Teileigentumseinheiten hatte A mit Kaufvertrag aus November 2015 erworben. Die Summe der Einheitswerte dieser Wohnungseinheiten lag zum Stichtag 01.01.2026 bei 797.253 EUR.
A veräußerte dieses Objekt mit Kaufvertrag aus November 2016 an B.
Im Verkaufsvertrag wurde vom Notar festgehalten, dass alle des Vertragsobjekts betreffenden öffentlichen und privaten Lasten, alle Verbrauchskosten, Verkehrssicherungspflichten und jede mit dem Objekt verbundene Haftung ab dem 31.12.2016 auf B übergehen soll.
Des Weiteren soll der Übergang des Besitzes, der Nutzungen und der Gefahr ebenfalls mit Beginn des 31.12.2016 erfolgen. Der Kaufpreis wurde durch B am 15.12.2016 an A gezahlt.
A machte in der Gewerbesteuererklärung für das Streitjahr die erweiterte Gewerbesteuerkürzung nach § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG geltend. Das Finanzamt (Beklagte und Revisionskläger) veranlagte die Steuerbescheide gegen A unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO) zunächst erklärungsgemäß.
Am 09.10.2017 änderte das Finanzamt den ursprünglichen Steuerbescheid und versagte A die Gewerbesteuerkürzung gem. § 9 Nr. 1 S. 2 ff. GewStG. Begründet wurde dies damit, dass der Geschäftszweck der Klägerin (A) der Erwerb und Verkauf von Grundstücken, nicht deren Verwaltung sei. Die einfache Gewerbesteuerkürzung (§ 9 Nr. 1 S. 1 GewStG) berücksichtigte das Finanzamt nicht.
Den daraufhin eingelegten Einspruch wies das Finanzamt mit Einspruchsentscheidung vom 17.10.2018 als unbegründet zurück.
A reichte daraufhin Klage ein. Das Finanzgericht gab der Klage mit Urteil vom 27.10.2022 statt. Der angefochtene Gewerbesteuermessbescheid wurde auf einen Messbetrag von 0 EUR geändert.
Mit eingereichter Revision rügte das Finanzamt die Verletzung materiellen Rechts. Das Finanzamt beantragt, unter Aufhebung des Urteils des Finanzgerichts vom 27.10.2022 die Klage als unbegründet abzuweisen. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des Urteils und zur partiellen Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 FGO).
Das Finanzgericht hat unrichtigerweise entschieden, dass die Klägerin A die erweiterte Gewerbesteuerkürzung nach § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG anwenden kann.
Voraussetzung für die Anwendung des § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG ist, dass das Unternehmen ausschließlich eigenen Grundbesitz verwaltet und nutzt. Die in § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG genannte Verwaltung von eigenem Kapitalvermögen ist nur dann unschädlich, wenn sie neben der Verwaltung des eigenen Grundbesitzes erfolgt. Die Verwaltung von Kapitalvermögen ist schädlich, wenn sie vor Beginn oder nach dem Ende einer begünstigten Grundstücksverwaltung die alleinige Tätigkeit darstellt (Senatsbeschluss vom 27.10.2021, III R 7/19, BFH/NV 2022, S. 242, Rz. 10).
Das Prinzip der Ausschließlichkeit ist gleichermaßen qualitativ, quantitativ sowie zeitlich zu verstehen (BFH-Urteil vom 19.10.2010, I R 1/10, BFH/NV 2011, S. 841, Rz. 9, m. w. N.).
Es ist erforderlich, dass der Unternehmer während des gesamten Erhebungszeitraums der gem. § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG begünstigten Tätigkeiten nachgeht. Dies folgt aus dem Wesen der Gewerbesteuer als Jahressteuer (BFH-Urteil vom 29.03.1973, I R 199/72, BFHW 109, 138, BStBl. II 1973, S. 563, m. w. N.).
Wird nur vereinzelt für einen Teil des Erhebungszeitraums eine gewerbesteuerlich nicht begünstigte Tätigkeit ausgeübt, entfallen für den gesamten Erhebungszeitraum die Voraussetzungen der erweiterten Gewerbesteuerkürzung (Senatsurteil vom 18.12.2019, III R 36/17, BFHE 267, 406, BStBl. II 2020, S. 405, Rz. 30, m. w. N.).
An der notwendigen Bedingung der Erfordernis einer ausschließlichen Verwaltung und Nutzung eigenen Grundbesitzes fehlt es dann, wenn ein Unternehmer das letzte oder einzige Grundstück vor Ablauf des Erhebungszeitraums veräußert und im Anschluss andere Tätigkeiten ausübt (u. a. Senatsbeschluss vom 27.10.2021, III R7/19, BFH/NV 2022, S. 242, Rz. 12).
Eine technisch bedingte Ausnahme wird nur beim sog. Mitternachtsgeschäft zugelassen. Beim Mitternachtsgeschäft erfolgt die Veräußerung zum 31.12., 23:59 Uhr (BFH-Urteil vom 11.08.2004, I R 89/03, BFHE 207, 40 BStBl. II 2004, S. 1080).
Fazit
Der Klägerin (A) ist im Streitjahr die erweiterte Gewerbesteuerkürzung nach § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG nicht zu gewähren. In zeitlicher Abfolge hat A nicht ausschließlich eigenen Grundbesitz verwaltet und genutzt (…).
A hat das einzige Grundstück vor Ablauf des Erhebungszeitraums veräußert, denn nach den Vereinbarungen im Kaufvertrag gingen Besitz, Nutzen und Lasten sowie Gefahren bereits zu Beginn des 31.12.2016 auf die Erwerberin B über.
Damit ist A an einem einzigen Tag im Erhebungszeitraum (31.12.2016) einer gewerbesteuerlich nicht begünstigten Tätigkeit nachgegangen, die eine Anwendung der erweiterten Gewerbesteuerkürzung ausschließt.
Als letzter Ausweg steht A lediglich die einfache Gewerbesteuerkürzung i. S. d. § 9 Nr. 1 S. 1 GewStG zu.
Quelle:
- BFH-Urteil vom 17.10.2024, III R 1/23