Florian Solich - Steuerberater, Master of Arts (Taxation), M.A.
Leitsatz
Veranstaltet ein Arbeitgeber anlässlich der Verabschiedung eines Arbeitnehmers einen Empfang, ist entgegen R 19.3 Abs. 2 Nr. 3 LStR auch bei Überschreiten der Freigrenze von 110 EUR unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu entscheiden, ob es sich um ein Fest des Arbeitgebers (betriebliche Veranstaltung) oder um ein privates Fest des Arbeitnehmers handelt.
Tatbestand
Streitgegenstand ist die Rechtmäßigkeit zur Inanspruchnahme eines Geldinstituts (Klägerin) im Wege der Lohnsteuerhaftung.
Im Streitjahr trat der damalige Vorstandsvorsitzende (A) eines Geldinstituts, in den Ruhestand ein. Als dessen Nachfolger wurde B berufen.
In diesem Zusammenhang veranstaltete die Klägerin einen Empfang in den eigenen Räumlichkeiten.
Für die Organisation und Umsetzung der Veranstaltung wurde ein vom Verwaltungsrat bestimmtes Organisationsgremium unter der Leitung einer Mitarbeiterin beauftragt.
Das Gremium erstellte die Einladungskarten und sprach die Einladung auf Grundlage einer unabhängig von der konkreten Veranstaltung zuvor nach geschäftsbezogenen Gesichtspunkten festgelegten Einladungslisten aus.
Es wurden ca. 300 Gäste eingeladen. Darunter befanden sich frühere und jetzige Vorstandsmitglieder, ausgewählte Mitarbeiter sowie der Verwaltungsrat, Angehörige des öffentlichen Lebens aus Politik, Verwaltung von Berufsverbänden und -kammern, kultureller Einrichtungen sowie Pressevertreter. Zudem waren acht Familienangehörige des A eingeladen.
Anlass des Empfangs war nicht nur die Verabschiedung des A in den Ruhestand, sondern auch die Präsentation des neuen Vorstandsvorsitzenden.
Aufgrund einer in späteren Jahren erstellten Prüfungsanordnung fand eine Lohnsteuerprüfung, u. a. für das Streitjahr der Abschiedsfeier für A statt.
Der Lohnsteueraußenprüfer kam zu der Auffassung, dass es sich bei dem Empfang anlässlich der Verabschiedung für A nicht um eine Betriebsveranstaltung gehandelt hatte, da nicht alle Arbeitnehmer des Geldinstituts (Klägerin) eingeladen gewesen seien.
Daher seien die Aufwendungen des Empfangs gemäß R 19.3 Abs. 2 Nr. 3 LStR dem A als Arbeitslohn zuzurechnen und eine Nachversteuerung durchzuführen.
Vertiefung
R 19.3 Abs. 2 Nr. 3 LStR
Nicht als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft und damit nicht als Arbeitslohn sind u. a. anzusehen
Nr. 1. (…)
Nr. 2. (…)
Nr. 3. übliche Sachleistungen des Arbeitgebers aus Anlass der Diensteinführung, eines Amts- oder Funktionswechsels, eines runden Arbeitnehmerjubiläums oder der Verabschiedung eines Arbeitnehmers; betragen die Aufwendungen des Arbeitgebers einschl. Umsatzsteuer mehr als 110 EUR je teilnehmende Person, sind die Aufwendungen dem Arbeitslohn des Arbeitnehmers hinzuzurechnen; auch Geschenke bis zu einem Gesamtwert von 60 EUR sind in die 110 EUR-Grenze einzubeziehen.
Auf Grundlage der Prüfungsfeststellungen erließ der Lohnsteueraußenprüfer einen Haftungs- und Nachforderungsbescheid und setzte entsprechende Haftungsbeträge für die entgangene Lohnsteuer anlässlich der Veranstaltung fest.
Der von der Klägerin eingelegte Einspruch gegen den Haftungs- und Nachforderungsbescheid wurde von der Finanzverwaltung (Beklagte) mit Einspruchsentscheidung als unbegründet zurückgewiesen.
Die Begründung der Finanzverwaltung war, dass zu den Einkünften i. S. d. § 19 Abs. 1 S. 1 EStG auch andere Bezüge und Vorteile für eine Beschäftigung gehörten. Die Zuwendung von Arbeitslohn sei anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer für das Zurverfügungstellen seiner individuellen Arbeitskraft eine objektive Bereicherung erfahre.
Begründung der Finanzverwaltung:
Dies sei bei dem ehemaligen Vorstandsmitglied der Fall, da der Empfang anlässlich seiner Verabschiedung nicht zustande gekommen wäre, wenn dieser zuvor seine Arbeitskraft dem Arbeitgeber gegenüber nicht zur Verfügung gestellt hätte. Die Tatsache, dass auf diesem Empfang zugleich sein Nachfolger öffentlich vorgestellt wurde, trete dabei in den Hintergrund.
Die Klägerin könnte sich auch nicht auf R 19.3 Abs. 2 Nr. 4 LStR berufen, wonach übliche Sachleistungen eines Arbeitgebers bei einem Empfang anlässlich eines runden Geburtstags eines Arbeitnehmers nicht als Arbeitslohn anzusehen sei, wenn es sich unter Berücksichtigung aller Einzelumstände um ein Fest des Arbeitgebers (betriebliche Veranstaltung) handelt. Nach dieser Verwaltungsvorschrift gehörten zum steuerpflichtigen Arbeitslohn des Arbeitnehmers nur die Aufwendungen des Arbeitgebers, die auf den Arbeitnehmer selbst, seine Familienangehörigen sowie ggf. weitere privat geladene Gäste entfallen, wenn die Freigrenze von 110 EUR je Teilnehmer überschritten wurde.
Vorliegend handele es sich aber durch den vordergründigen Abschiedscharakter um Sachleistungen des Arbeitgebers gegenüber seinem Mitarbeiter. R 19.3 Abs. 2 Nr. 3 LStR sei einschlägig. Danach seien übliche Sachleistungen des Arbeitgebers für eine Verabschiedung oder eines Amts- bzw. Funktionswechsels als Zuwendung im ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers anzusehen. Übersteigen die Aufwendungen jedoch die 110 EUR-Grenze je Teilnehmer, sind die Aufwendungen insgesamt dem Arbeitslohn des Arbeitnehmers zuzurechnen.
Das Geldinstitut wendete sich per Klage gegen die Inanspruchnahme im Wege der Lohnsteuerhaftung für die Übernahme der Kosten des Empfangs.
Begründung der Klägerin:
Aufgrund des überwiegenden betrieblichen Interesses der Klägerin an der Veranstaltung seien die angefallenen Kosten - abgesehen von dem auf A und dessen persönliche Gäste entfallenden Anteil - nicht als lohnsteuerpflichtiger Arbeitslohn, sondern als Betriebsausgaben zu qualifizieren. Bei Prüfung der Gesamtumstände lässt die Finanzverwaltung entgegen der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Unrecht die weiteren Anlässe der Veranstaltung, die Präsentation des neuen Vorstands und der geänderten Zusammensetzung des Vorstands unberücksichtigt. Das Geldinstitut habe nach den Vorgaben des BFH-Urteils vom 28.01.2003 (VI R 48/99, BStBl. II 2003, S. 724) gehandelt.
Entsprechend des BFH-Urteils wurden folgende Punkte berücksichtigt:
- Erstellung und Versand der Einladungen im Namen des Geldinstituts,
- Anfertigung und Aufstellung von Gästelisten im Vorhinein,
- Durchführung und Organisation der Veranstaltung durch eine Stabsstelle des Unternehmens,
- Anlass der Veranstaltung waren die personellen Veränderungen,
- Einhaltung der betrieblichen und branchenüblichen Praxis/Routine.
Das Geldinstitut sei zudem der Rechtsauffassung das R 19.3 Abs. 2 Nr. 3 LStR in seiner inhaltlichen Ausgestaltung R 19.3 Abs. 2 Nr. 4 LStR entgegensteht. Lediglich der auf A und auf seine Gäste entfallende Kostenanteil sei als lohnsteuerpflichtiger Arbeitslohn anzuerkennen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet. Der angefochtene Haftungs- und Nachforderungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung ist in dem vorgetragenen Umfang gegen das Geldinstitut (Klägerin) rechtswidrig und verletzt sie in ihren Rechten.
Die Finanzverwaltung hat das Geldinstitut weitgehend zu Unrecht anlässlich der Veranstaltung und dem auf A entfallenden Kostenanteil in Haftung genommen. Bei diesen Aufwendungen handelte es sich nicht um Arbeitslohn, soweit diese rechnerisch nicht auf A und seine geladenen Familienangehörige entfällt.
Eine Zuwendung von Arbeitslohn ist erst dann anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer für das Zurverfügungstellen seiner individuellen Arbeitskraft eine objektive Bereicherung erhält. Eine objektive Bereicherung des Arbeitnehmers ist nicht gegeben, wenn die Bewirtung der Gäste anlässlich eines Festes des Arbeitgebers erfolgt. Ob ein Empfang, den ein Arbeitgeber z. B. anlässlich eines besonderen Ereignisses für einen Mitarbeiter ausrichtet, als Fest des Arbeitgebers oder als das des Arbeitnehmers erscheint, ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu entscheiden (BFH-Urteil vom 28.01.2003, VI R 48/99, BStBl. II 2003, S. 724).
Vertiefung
BFH-Urteil VI R 48/99
Der BFH hat in diesem Urteil für den Fall eines besonderen runden Geburtstags eines Arbeitnehmers darauf abgestellt, dass zwar der Geburtstag des Arbeitnehmers als Anlass des Festes dafürspricht, dass es sich um eine reine arbeitnehmerorientierte Veranstaltung handelt. Aus den übrigen Umständen könne sich jedoch ergeben, dass es sich gleichwohl um eine arbeitgebergeleitete Veranstaltung handeln kann.
Es sei dafür von Bedeutung, ob es sich bei den Gästen um Geschäftspartner des Arbeitgebers, Angehörige des öffentlichen Lebens sowie der Presse, Verbandsfunktionäre sowie Mitarbeiter des Arbeitgebers handelt oder um private Freunde und Bekannte des Arbeitnehmers.
Findet die Veranstaltung ebenfalls in den Räumlichkeiten des Arbeitgebers statt, spricht dies auch dafür, dass eine arbeitgebergeleitete Veranstaltung vorliegt.
Zusätzlich ist zu berücksichtigen, ob die Veranstaltung einen ausschließlichen Privatcharakter hat.
Stellt es sich unter Berücksichtigung aller Umstände als eine Arbeitgeberveranstaltung dar, ist eine private Mitveranstaltung unschädlich.
Fazit
Aufgrund dieser Grundsätze scheidet eine Lohnsteuerhaftung für das Geldinstitut aus.
Hinsichtlich der entstandenen Kosten für die Feierlichkeiten anlässlich des Ausscheidens von A und der Einführung des neuen Vorstandsmitglieds ist nur im geringen Umfang Arbeitslohn des A anzunehmen.
Lediglich die auf A, seinen Familienangehörigen und seinen geladenen Gästen entfallenden Kostenanteile stellen lohnsteuerpflichtigen Arbeitslohn dar.
Eine Pauschalversteuerung i. H. v. 30 % ist auf Antrag weiterhin zulässig (§ 37b Abs. 2 EStG).
Das Gericht hat insoweit der Differenzierung nach dem Anlass in R 19.3 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4 LStR eine Absage erteilt, da die dortigen Ausführungen widersprüchlich seien.
Quelle:
- FG Niedersachsen, Urteil vom 24.04.2024, 8 K 66/22