Florian Solich - Steuerberater, Master of Arts (Taxation), M.A.
Leitsatz
Besteht an einer Kapitalgesellschaft eine atypisch stille Beteiligung, kann sie dennoch Organgesellschaft im Rahmen einer körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft sein, da sie ihren – unter Berücksichtigung der Gewinnbeteiligung des stillen Gesellschafters ermittelten – handelsrechtlichen Jahresüberschuss als „ganzen Gewinn“ i. S. d. § 14 Abs. 1 S. 1 KStG an den Organträger abführen kann.
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Finanzgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 05.07.2022, 1 K 395/14 aufgehoben, soweit die Klage abgewiesen wurde.
Die Steuerbescheide vom 13.02.2013 für 2005, 2006, 2007 und 2008 über Körperschaftsteuer in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15.10.2014 werden dahingehend geändert, dass keine verdeckten Gewinnausschüttungen wegen der aufgrund des Ergebnisabführungsvertrags erfolgten Gewinnabführungen angesetzt werden.
Tatbestand
Die A-GmbH (Klägerin und Revisionsklägerin) ist eine in Liquidation befindliche Gesellschaft. 1991 schloss die A-GmbH mit der X GmbH & Co. KG, die zu 100 % an A-GmbH beteiligt ist, einen Beherrschungs- und Ergebnisabführungsvertrag (EAV) ab. Danach unterstellte sich die Geschäftsführung der A-GmbH der weisungsberechtigten GmbH & Co. KG. Die Klägerin verpflichtete sich, ihr gesamtes, nach den maßgeblichen handelsrechtlichen Vorschriften ermitteltes Ergebnis an die X GmbH & Co. KG abzuführen.
1992 beteiligte sich die Kommanditgesellschaft am Betrieb der A-GmbH als stille Gesellschafterin. Gemäß den vertraglichen Vereinbarungen stand die Geschäftsführung allein der A-GmbH zu. Die stille Gesellschafterin war an deren Entscheidungen entsprechend der gesetzlichen Vorschriften für einen Kommanditisten beteiligt. Am Gewinn und Verlust sowie am Vermögen der Klägerin war die GmbH & Co. KG mit 10 % beteiligt. Im Fall einer gesellschaftlichen Auflösung wäre sie auch an den stillen Reserven beteiligt.
Das Finanzamt ging davon aus, dass durch den Vertrag eine steuerrechtliche Mitunternehmerschaft in Gestalt einer atypisch stillen Gesellschaft (im Folgenden: Mitunternehmerschaft) entstand. Für diese Mitunternehmerschaft wurden für 2005 – 2008 Festgestellungserklärungen abgegeben und Feststellungsbescheide (§ 179, § 180 AO) erlassen.
Die GmbH & Co. KG unterlag einer mehrmaligen Umstrukturierung. Zunächst wurde sie in eine Aktiengesellschaft und später in eine GmbH umgewandelt. Nach dem Streitzeitraum wurde die GmbH aufgelöst. Während des Liquidationsverfahrens wurde der Vertrag über die bestehende atypisch stille Gesellschaft und der Ergebnisabführungsvertrag beendet.
Dem Rechtstreit liegt folgendes Kernproblem vor:
In den Jahresabschlüssen der jeweiligen Streitjahre behandelte die Klägerin die Einlage der stillen Gesellschafterin als Eigenkapital. In den Gewinn- und Verlustrechnungen wurden jeweils das Jahresergebnis vor Ergebnisabführung, der aufgrund des Ergebnisabführungsvertrags abgeführte Gewinn (= 90 % des Jahresergebnisses) und die Ergebniszurechnung an die Kommanditgesellschaft als stille Gesellschafterin (= 10 % des Jahresergebnisses) ausgewiesen.
A wurde zunächst antragsgemäß zur Körperschaftsteuer veranlagt. Die Steuerbescheide für die Streitjahre standen jeweils unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO).
Nach einer Außenprüfung änderte das Finanzamt die Veranlagungen für 2004 – 2008 und würdigte die Gewinnabführungen als verdeckte Gewinnausschüttungen. Das Finanzamt vertrat dabei die Auffassung, dass eine körperschaftsteuerrechtliche Organschaft nicht vorgelegen hätte, weil eine GmbH, an der eine atypisch stille Beteiligung besteht, nicht Organgesellschaft sein könne.
Die A-GmbH legte dagegen Einspruch ein und erhob anschließend Klage. Die Klage hatte nur insoweit Erfolg, als das Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern in seinem Urteil vom 05.07.2022, 1 K 395/14 davon ausging, dass eine Änderung des für 2004 ergangenen Körperschaftsteuerbescheids aus verfahrensrechtlichen Gründen (Verjährung) ausscheide. Im Übrigen wies es die Klage ab, denn die Organschaft sei nicht anzuerkennen, weil als Folge der atypisch stillen Beteiligung nicht der „ganze Gewinn“ (d. h. Gewinnauskehrungen i. H. v. 100 %) an den Organträger abgeführt wird.
Dagegen erhob die A-GmbH Revision und rügt im Umfang der Klageabweisung die Verletzung materiellen Rechts und beantragt, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Körperschaftsteuerbescheide 2005 – 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15.10.2014 dahingehend zu ändern, dass keine verdeckten Gewinnausschüttungen wegen der aufgrund des Ergebnisabführungsvertrags erfolgten Gewinnabführungen angesetzt werden.
Das Finanzamt beantragte die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Das Urteil der Vorinstanz ist, soweit die Klage abgewiesen wurde, unter Klagestattgabe aufzuheben (§ 126 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 FGO). Das Finanzgericht hat unrechtmäßig verneint, dass in den Streitjahren zwischen der A-GmbH und der GmbH & Co. KG eine körperschaftsteuerrechtliche Organschaft nicht bestanden hat.
In der Urteilsentscheidung führt der BFG einleitend an, inwieweit der gesetzlich geforderten Verpflichtung zur Abführung des „ganzen Gewinns“ entsprochen wird, wenn an der Organgesellschaft eine atypisch stille Beteiligung besteht, die mit einer Gewinnzuweisung an den Gesellschafter verbunden ist, in der Finanzgerichtsrechtsprechung, Literatur und von Verwaltungsseite unterschiedlich beurteilt wird. Der BFH selbst hat in seiner Rechtsprechung die Streitfrage noch nicht abschließend beantwortet.
Während in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung übereinstimmend davon ausgegangen wird, dass eine atypisch stille Beteiligung an der Organgesellschaft der Anerkennung der Organschaft entgegensteht (vgl. u. a. Finanzgericht Hamburg vom 26.10.2010, 2 K 312/09; Finanzgericht Düsseldorf vom 12.04.2021, 6 K 2616/17), weicht die Literatur von diesem Grundsatz ab.
Die herrschende Literatur stimmt zu, dass auch bei Bestehen einer atypisch stillen Beteiligung an der Organgesellschaft der „ganze Gewinn“ als abgeführt wird. Das wird zumeist mit einer zivilrechtlichen Betrachtungsweise begründet, die in § 14 Abs. 1 KStG angelegt sei, denn die darin genannte Gewinnabführung sei nach zivilrechtlichen Maßstäben zu bestimmen.
Im handelsrechtlichen Jahresabschluss der Organgesellschaft werde die Gewinnbeteiligung des (atypisch) stillen Gesellschafters als Aufwand bilanziert. Der nach Aufwandsabzug noch vorhandene Gewinn sei dann der „ganze Gewinn“, der einer Abführungsverpflichtung unterliegt.
Zudem folge die Unschädlichkeit einer atypisch stillen Beteiligung auch aus deren ertragssteuerlichen Qualifizierung als Mitunternehmerschaft. Die Organgesellschaft erhalte aus dieser vorgelagerten Mitunternehmerschaft ihren Gewinn(anteil), der dann der vollständigen Abführung unterliegt. Auch Beteiligungen der Organgesellschaft an Mitunternehmerschaften auf Grundlage einer Kommanditgesellschaft seien nach allgemeiner Auffassung organschaftsunschädlich, weil auch hierbei die zugerechneten Gewinnanteile abgeführt werden.
Die gegenteilige Auffassung im Schrifttum ist, dass eine atypisch stille Beteiligung an der abhängigen Gesellschaft organschaftsschädlich ist. Dies wird mit einer zivilrechtlichen Einordnung einer (atypisch) stillen Beteiligung an der Organgesellschaft als Teilgewinnabführungsvertrag i. S. d. § 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG begründet, was dem Abschluss eines auf Vollgewinnabführung gerichteten Vertrags entgegenstehe.
Die Finanzverwaltung selbst vertritt die Auffassung, dass eine Kapitalgesellschaft, an der eine atypisch stille Beteiligung besteht, keine Organgesellschaft sein kann (BMF-Schreiben vom 20.08.2015, BStBl. I 2015, S. 649).
Der Senat schließt sich aber der herrschenden Meinung in der Literatur an.
Aus der tatbestandlichen Bezugnahme auf einen Gewinnabführungsvertrag i. S. d. § 291 Abs. 1 AktG folgt nach der Senatsrechtsprechung eine zivilrechtliche Betrachtungsweise. Eine ertragssteuerliche Organschaft setzt voraus, dass der gesamte Vertrag nach den Maßstäben des Zivilrechts wirksam abgeschlossen wird und die zivilrechtlichen Verpflichtungen aus dem Vertrag erfüllt werden. Deshalb ist Gegenstand der Abführungsverpflichtung – auch für steuerliche Zwecke – der Jahresüberschuss i. S. d. § 301 S. 1 AktG und nicht etwa der steuerrechtlich ermittelte Gewinn. Aus der Maßgeblichkeit des handelsrechtlichen Jahresüberschusses folgt, dass auch die Gewinnermittlung im Einzelnen handelsrechtlichen Vorgaben zu folgen hat. Denn wenn den handelsrechtlichen Gewinnermittlungsvorschriften nicht gefolgt wird, führt das zu einer Abweichung vom handelsrechtlich definierten Jahresergebnis und zu einer „Nichterfüllbarkeit“ der Pflichten aus dem abgeschlossenen Gewinnabführungsvertrag.
Dieser handelsrechtliche Grundsatz der Maßgeblichkeit hat zur Folge, dass der Gewinnanteil des (atypisch) still Beteiligten als Aufwand (Abführungsverpflichtung aus einem Teilabführungsvertrag i. S. d. § 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG) zu erfassen ist, der den abzuführenden Jahresüberschuss mindert. Dieses (geminderte) Jahresergebnis stellt den „ganzen Gewinn“ i. S. d. § 291 Abs. 1 S. 1 AktG dar, der handels- und steuerrechtlich abzuführen ist.
Aus der in § 14 Abs. 1 S. 1 KStG enthaltenen Formulierung „Gewinnabführungsvertrag i. S. d. § 291 Abs. 1 AktG“ kann entgegen der Ansicht des BMF nicht geschlossen werden, dass es als unvereinbar gilt, wenn neben einem Gewinnabführungsvertrag i. S. d. § 291 Abs. 1 AktG auch ein Teilgewinnabführungsvertrag (§ 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG) besteht.
Die Literaturauffassung, die aus der zivilrechtlichen Qualifizierung der (atypisch) stillen Beteiligung als Teilgewinnabführungsvertrag die Folgerung zieht, dass mit dem parallelen Abschluss eines Gewinnabführungsvertrags (§ 291 Abs. 1 S. 1 AktG) nicht mehr der „ganze Gewinn“ abgeführt wird/werden kann (z. B. Berninger, DB 2004, S. 297) überzeugt nicht.
Sie steht auch im Wertungswiderspruch zu der im Ertragssteuerrecht nahezu einhellig vertretenen Auffassung, dass Zahlungen der abführungspflichtigen Kapitalgesellschaft an den an ihr typisch still beteiligten Gesellschafter als Betriebsausgabe zu behandeln sind, als solche den Gewinn mindern und der hiernach verbleibende Gewinn als der „ganze Gewinn“ i. S. d. § 14 Abs. 1 S. 1 KStG zu betrachten ist. Es wird also die stille Beteiligung an der abführungspflichtigen Kapitalgesellschaft steuerrechtlich nicht als „organschaftsschädlich“ betrachtet, obgleich sie zivilrechtlich nicht anders als eine atypisch stille Beteiligung als Teilgewinnabführungsvertrag qualifiziert wird.
Die Senatsurteile vom 04.03.2009, I R 1/08 (BFHE 225, 312, BStBl. II 2010, S. 407) und vom 10.05.2017, I R 93/15 (BFHE 259, 49, BStBl. II 2019, S. 278) stehen nicht entgegen.
Fazit
Da die atypisch stille Beteiligung an der A-GmbH der Abführung des „ganzen Gewinns“ auf der Grundlage des bestehenden Gewinnabführungsvertrags nicht entgegensteht und die übrigen Voraussetzungen der Organschaft auch erfüllt sind, war der Klage für die Streitjahre stattzugeben.
Quelle:
- BFH-Urteil vom 11.12.2024, I R 33/22