Florian Solich - Steuerberater, Master of Arts (Taxation), M.A.
Leitsatz
Die entgeltliche Übernahme ärztlicher Notfalldienste durch einen Arzt (unter Freistellung des ursprünglich eingeteilten Arztes von sämtlichen Verpflichtungen im Zusammenhang mit diesem Dienst) ist unabhängig davon, wem gegenüber diese sonstige Leistung erbracht wird, als Heilbehandlung i. S. d. § 4 Nr. 14 a) UStG umsatzsteuerfrei.
Tenor
Auf die Revision des Klägers werden das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 09.05.2023, 15 K 1953/29 U und die Einspruchsentscheidung vom 16.06.2020 aufgehoben.
Die Umsatzsteuer für die Jahre 2012 – 2016 wird unter Änderung der Umsatzsteuerbescheide vom 24.10.2019 für 2012 – 2016 auf jeweils 0 EUR festgesetzt.
(…)
Tatbestand
A (Kläger und Revisionskläger) ist selbstständiger Arzt in der Allgemeinmedizin.
In den Jahren 2012 – 2016 übernahm A, in eigener Verantwortung als Vertreter für andere Ärzte den Notfalldienst. A hatte dafür seinerzeit mit der örtlich zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung (KV) eine Vereinbarung über die freiwillige Teilnahme am ärztlichen Notdienst abgeschlossen.
Gegenüber den vertretenen Ärzten rechnete A ein Stundenhonorar (in EUR) ab. Die Rechnung war ohne gesonderten Umsatzsteuerausweis und ohne einen Hinweis zur Steuerbefreiung ausgestellt.
Darüber hinaus rechnete A die i. R. d. Notfalldienstes tatsächlich erbrachten ärztlichen Leistungen entweder direkt gegenüber Privatpatienten oder bei gesetzlich Versicherten über die KV ab.
Daneben führte A in den Streitjahren für die Polizeibehörden Blutentnahmen durch und fertigte dazu einen einseitigen ärztlichen Bericht mit Hilfe eines Vordrucks (Ankreuzbogen) an. Die Abrechnung der Blutentnahmen erfolgte über die zuständige Landeskasse. Umsatzsteuer wurde auf den Rechnungen nicht offen ausgewiesen.
Aufgrund der ärztlichen Leistungen ging A davon aus, ausschließlich steuerfreie Umsätze auszuführen. Infolge dessen gab er auch keine Umsatzsteuererklärung beim zuständigen Finanzamt ab.
Nach einer Außenprüfung nahm das Finanzamt an, dass die Übernahme des Notfalldienstes als Vertreter getrennt von der im Notfalldienst ausgeübten Heilbehandlung zu würdigen sei. Zum einen führe A gegenüber den Patienten ambulante Heilbehandlungen aus, die nach § 4 Nr. 14 a) UStG steuerfrei seien. Zum anderen erbringe A gegenüber den eingeteilten Ärzten, deren Notfalldienste er gegen Entgelt übernahm, eine sonstige Leistung, die kein therapeutisches Ziel habe. Daher seien die Einnahmen entgegen der Auffassung des A dem Steuersatz i. H. v. 19 % USt zu unterwerfen.
Soweit A für die Polizeibehörde Blutentnahmen durchgeführt habe, seien diese ebenfalls steuerpflichtig. Auch hier mangelt es an einem therapeutischen Zweck.
Mit Datum vom 24.10.2019 erließ das Finanzamt entsprechende Umsatzsteuerbescheide. Die hiergegen eingelegten Einsprüche hatten keinen Erfolg. Die Einspruchsentscheidung wurde am 16.06.2020 erlassen.
Das Finanzgericht wies die Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2023, S. 1257 veröffentlichten Urteil ab, denn die von A vereinnahmten Gelder für die Vertretung im ärztlichen Notfalldienst stehen nicht im Zusammenhang mit einer nach § 4 Nr. 14 a) UStG steuerfreien Heilbehandlung. A habe die Gelder von den vertretenen Ärzten für eine in der Übernahme des Notfalldienstes liegenden sonstigen Leistung erhalten, die nicht als steuerfreie Heilbehandlung anzusehen ist. Auch die Leistungen aus der Blutentnahme seien darin nicht inbegriffen.
Mit der Revision rügte A die Verletzung materiellen Rechts hinsichtlich der Beurteilung der Vertretung für Notfalldienste. Das Finanzgericht habe die entgeltliche Übernahme der Vertretung von Notfalldiensten abweichend des BFH-Urteils vom 02.08.2018, V R 37/17 (BFHE 263, 63) unzutreffend behandelt. Einer steuerfreien Heilbehandlung stehe es nicht entgegen, dass diese nicht gegenüber einem Patienten erbracht werde. Maßgebend sei allein die Art und Inhalt der erbrachten Leistung. Sie hat auch dann einen heilberuflichen Charakter, wenn sie für eine eventuelle Versorgung von Patienten diene.
Die Vorentscheidung weiche im Übrigen auch vom Urteil des Finanzgerichts Niedersachsen vom 23.01.2010, 11 K 186/19 (EFG 2020, S. 561) ab.
Die steuerliche Beurteilung des Finanzamts über die getätigten Blutentnahmen für die Polizeibehörden verfolgte A im Klageverfahren nicht weiter.
A beantragt daher, das Urteil des Finanzgerichts und die Einspruchsentscheidung vom 16.06.2020 aufzuheben sowie die Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre vom 24.10.2019 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer für 2012 – 2016 auf jeweils 0 EUR festgesetzt wird.
Das Finanzamt beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Einspruchsentscheidung
Die Revision des A ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Stattgabe der Klage im noch beantragten Umfang (§ 126 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 FGO).
Das Finanzgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Übernahme der Vertretung im ärztlichen Notfalldienst steuerpflichtig sei. Die Vorentscheidung kann daher keinen Bestand haben.
Das Finanzgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass – wie auch zwischen den Beteiligten unstreitig ist – A mit der Übernahme der ärztlichen Notfalldienste sonstige Leistungen gegen Entgelt erbracht hat. Der Senat sah daher von weiteren Ausführungen ab.
Entgegen der Vorentscheidung ist die entgeltliche Übernahme von ärztlichen Notfalldiensten durch einen Arzt als Heilbehandlung anzusehen und somit von der Umsatzsteuer befreit.
Hinweis
Nach § 4 Nr. 14 a) UStG sind Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut, Hebamme oder einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit durchgeführt werden, steuerfrei.
Die Vorschrift beruht auf Art. 132 Abs. 1 c) der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 (MwStSystRL), wonach Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die i. R. d. Ausübung von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Beruf durchgeführt werden, steuerfrei sind.
Der Begriff der Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin umfasst Leistungen, die der Diagnose, der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen dienen und demnach einen therapeutischen Zweck haben.
Daraus folgt aber nicht zwangsläufig, dass die therapeutische Zielsetzung einer Leistung in einem besonders engen Sinn zu verstehen ist.
Zu den Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin gehören auch präventive Maßnahmen.
Dienen Leistungen einem therapeutischen Zweck, steht die Steuerbefreiung nicht entgegen, wenn sie umsatzsteuerrechtlich nicht gegenüber Patienten oder Krankenkassen erbracht werden. Für die Steuerfreiheit kommt es nicht auf die Person des Leistungsempfängers an, da sich die personenbezogenen Voraussetzungen der Steuerfreiheit auf den Leistenden bezieht, der Träger eines ärztlichen oder arztähnlichen Berufs sein muss (vgl. u. a. BFH-Urteil vom 18.03.2015, XI R 15/11, BFHE 249, 359, BStBl. II 2015, S. 1058, Rz. 19; BFH-Urteil vom 18.08.2011, V R 27/10, BFHE 235, 58, Rz. 24; BFH-Urteil vom 08.08.2013, V R 8/12, BFHE 242, 548, Rz. 18; BFH-Urteil vom 02.08.2918, V R 37/17, BFHE 263, 63, Rz. 16).
Das Finanzgericht hat den vorliegenden Sachverhalt dahingehend gewürdigt, dass es sich bei den Zahlungen des A um ein Entgelt dafür gehandelt hat, dass dieser die zu vertretenen Ärzte von ihrer Verpflichtung zur Durchführung des ärztlichen Notfalldienstes freistellt. Nach der Würdigung des Finanzgerichts wollten sich die zu vertretenen Ärzte damit einen Vorteil verschaffen. Hierbei hat das Finanzgericht jedoch nicht berücksichtigt, dass A die zum Notdienst eingeteilten Ärzte nur deshalb durch die Übernahme des Dienstes freistellen konnte, weil er dann selbst den ärztlichen Notdienst durchführt.
Die vertretungsweise Übernahme des Notdienstes gewährleistetet eine zeitnahe Behandlung von Notfallpatienten im jeweiligen Einsatzgebiet. Die Bereitschaft, jederzeit und unmittelbar privat- und kassenärztliche Leistungen in Notfällen zu Zeiten zu erbringen, zu denen eine haus- oder fachärztliche Versorgung nicht stattfindet, dient an sich einem therapeutischen Zweck.
Laut Ansicht des BFH hatte sich A während des Bereitschaftsdienstes bereitgehalten, um gesundheitliche Gefahrensituationen bei Notfallpatienten zu erkennen, ggfs. sofort entsprechende Maßnahmen einzuleiten und damit einen größtmöglichen Erfolg einer späteren Behandlung in einer Klinik, bei einem Fach- oder Hausarzt sicherzustellen (BFH-Urteil vom 02.08.2018, V R 37/17, BFHE 263, 63, Rz. 17; Finanzgericht Niedersachsen vom 23.01.2020, 11 K 186/19, EFG 2020, S. 561).
Es ist für die leistungsbezogene Voraussetzung des § 4 Nr. 14 a) UStG ohne Belang, wenn A die in Gestalt einer vertretungsweisen Übernahme eines ärztlichen Notfalldienstes liegende sonstige Leistung gegenüber einem anderen Arzt, der zur Ausführung eines solchen Dienstes ursprünglich eingeteilt und verpflichtet war, erbracht hat. Denn für die Steuerfreiheit i. S. d. UStG kommt es nicht auf die Person des Leistungsempfängers an.
Fazit
Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze handelt es sich bei der Übernahme der ärztlichen Notfalldienste durch A als Vertreter der zunächst eingeteilten Ärzte um umsatzsteuerfreie Heilbehandlungen i. S. d. § 4 Nr. 14 a) UStG.
Danach sind im vorliegenden Fall nur die übrigen, im Revisionsverfahren nicht mehr im Streit stehenden Umsätze des A aus Blutabnahmen für die Polizeibehörde steuerbar und steuerpflichtig, da diese Leistungen nicht therapeutischen Zwecken dienen, sondern der Beweiserhebung im Zusammenhang mit einem strafrechtlich oder öffentlich-rechtlich geführten Verfahren.
Quelle: BFH-Urteil vom 14.05.2025, XI R 24/23