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Abgabenordnung | Steuerfachwirtprüfung - Aufhebung oder Änderung gem. § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO

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Abgabenordnung | Steuerfachwirtprüfung

Aufhebung oder Änderung gem. § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO

Aufhebung oder Änderung gem. § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO

  • Erlass, Aufhebung, Änderung oder Berichtigung eines Grundlagenbescheids iSv § 171 X AO als Ausgangspunkt für die Korrektur eines oder mehrerer Folgebescheide!
  • Bindungswirkung des Grundlagenbescheides für den Ansatz der Besteuerungsgrundlagen in den Folgebescheiden, § 182 I AO.

Begriff: Grundlagenbescheid (vgl. AEAO zu § 175 Nr. 1.1)

Steuerliche Grundlagenbescheide

  • Verwaltungsakte im Sinne der AO

Außersteuerliche Verwaltungsakte

  • Erlass durch ressortfremde Behörden

§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO spricht davon, dass ein Grundlagenbescheid erlassen, aufgehoben oder geändert wird.

Was unter einem Grundlagenbescheid zu verstehen ist, definiert § 171 Abs. 10 Satz 1 AO.

Steuerliche Grundlagenbescheide

  • Feststellungsbescheide (§§ 179-183 AO),
  • Steuermessbescheide (§ 184 AO – Gewerbesteuer- und Grundsteuermessbescheide),
  • Zerlegungsbescheide (§ 188 AO),
  • Zuteilungsbescheide (§ 190 AO),
  • Bescheide über die Festsetzung der Einkommensteuer (und Körperschaftsteuer) für die Festsetzung des Solidaritätszuschlags und die Kirchensteuer,
  • Entscheidungen über Billigkeitsmaßnahmen nach § 163 AO

Außersteuerliche Verwaltungsakte ressortfremder Behörden

  • Verwaltungsakte der zuständigen Behörden, die den Grad einer Behinderung i.S.d. § 33b EStG darstellen (vgl. AEAO zu § 175 Nr. 1.1),
  • die Bescheinigung nach § 7h Abs. 2 EStG der zuständigen Gemeindebehörden darüber, ob Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen i.S.d. § 177 BauGB durchgeführt wurden

Rechtsfolgen

  • Sofern ein Grundlagenbescheid erlassen, aufgehoben oder geändert wird, so muss ("ist") der Folgebescheid gemäß § 175 I Nr. 1 AO zu ändern (Punktberichtigung!)

 

  • Es handelt sich um eine Punktberichtigung („soweit“)

 

  • Hinweis auf § 171 X Satz 1 AO als Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist für den Erlass des Folgebescheides aufgrund der Auswirkungen durch den F-Bescheid

 

  • Hinweis auf § 171 X Sätze 2 und 3 AO hinsichtlich der Ablaufhemmung für einen außersteuerlichen Verwaltungsakt!

 

  • Hinweis auf § 171 X Satz 4 AO als Ablaufhemmung gesondert festzustellender Einkünfte und einer Außenprüfung bei dem Beteiligten der Gesellschaft!

 

Umfang der Anpassung des Folgebescheides an den Grundlagenbescheid

Die Bindungswirkung beschränkt sich nicht auf die bloße mechanische Übernahme von Zahlen, sondern fordert, dass der Folgebescheid vollständig und zutreffend an den Regelungsinhalt des Grundlagenbescheides angepasst wird; BFH/NV 2016, S. 889.

 

Die Bindungswirkung erfordert, dass das Finanzamt im Folgebescheid alle Folgerungen aus dem Erlass, der Änderung oder Aufhebung des Grundlagenbescheids zieht. Solange die gesondert festgestellten Besteuerungsgrundlagen im Folgebescheid nicht oder nicht vollständig berücksichtigt sind, ist die dem Grundlagenbescheid zugedachte Aufgabe nicht erfüllt.

 

Beispiel

Hier klicken zum AusklappenM ist Gesellschafter der Personengesellschaft P-KG. Daneben erzielt er als Einzelunternehmer Einkünfte als Architekt. Er hat die Einkünfte aus einem an die P-KG verpachteten Grundstück rechtsfehlerhaft in seiner ESt-Erklärung 04 als Einkünfte aus V+V erklärt (16.000 €). Der endgültige und formell bestandskräftige EStB 04 enthält keine Abweichungen von den erklärten Besteuerungsgrundlagen.

Im Rahmen einer Außenprüfung bei der KG wird zweifelsfrei festgestellt, dass M aus der Verpachtung des Grundstücks einen Gewinn iHv 20.000 € erzielt hat, der gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG als gewerbliche Einkünfte zu erfassen ist. Im gemäß § 164 Abs. 2 AO geänderten F-Bescheid 04 vom 21.09.07 wird sein Gewinnanteil daher um 20.000 € erhöht.

Noch vor Erlass des geänderten Einkommensteuerbescheides für 04 trägt M materiell rechtlich zutreffend vor, dass er bei der Ermittlung der Einkünfte aus § 18 EStG Betriebsausgaben iHv 6.000 € nicht geltend gemacht hat. Nach den zutreffenden Feststellungen des Finanzamts trifft M hieran grobes Verschulden.

Daraufhin erhält M im Januar 08 ein Schreiben seines Wohnsitz-Finanzamtes. Hieraus ergibt sich, dass beabsichtigt sei, den Einkommensteuerbescheid 04 wegen der Beteiligungseinkünfte gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zu ändern und die Einkünfte gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG um 20.000 € zu erhöhen. Gleichzeitig seien die Einkünfte aus V+V gemäß § 129 AO um 16.000 € herabzusetzen.

Eine Berücksichtigung der Betriebsausgaben von 6.000 € könne wegen des groben Verschuldens nicht erfolgen.

Fragestellung

Ist die Rechtsansicht des Finanzamts zutreffend?


Lösungshinweise
Die Änderung der Einkünfte aus § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und § 21 EStG ist materiell zutreffend erfolgt; jedoch umfasst die Korrekturvorschrift des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO auch sog. Folgewirkungen des erlassenden Feststellungsbescheides.

Somit ist die Herabsetzung der Einkünfte aus V+V nicht unter § 129 AO, sondern ebenfalls unter § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zu definieren, weil dieser Sachverhalt mit bindender Wirkung für den Folgebescheid im Feststellungsbescheid geregelt worden ist; vgl. BFH/NV 2016, S. 889 mwN.

§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO hat als Spezialvorschrift Vorrang vor den Korrekturvorschriften gemäß § 172 ff. AO. 

Eine Berücksichtigung der bisher nicht geltend gemachten Betriebsausgaben iHv 8.000 € kann wegen des M zuzurechnenden groben Verschuldens nicht nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO erfolgen.

Jedoch kommt eine Saldierung des materiellen Fehlers (§ 177 abs. 3 AO) im Rahmen der Korrektur durch § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO in Betracht. Der Berichtigungsrahmen ist wie folgt zu ermitteln:


Korrektur gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO                           Einkünfte +4.000 €

-RF-Saldierung, § 177 Abs. 1 AO: BA + 6.000 €, höchstens         Einkünfte  -4.000 €

Verbleibende Differenz                                                                              0 €

Ergebnis

Nach alledem unterbleibt eine Änderung des Einkommensteuerbescheides 04 mangels Änderung der bisher festgesetzten Einkommensteuer.

Sollten in der Zukunft weitere Korrekturen des Einkommensteuerbescheides 04 mit steuererhöhender Wirkung erfolgen, verbleibt eine Saldierungsmöglichkeit gemäß § 177 Abs. 1 AO iHv 2.000 €.

Merke

Hier klicken zum Ausklappen

Die Folgerungen aus § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO sind solange im Folgebescheid zu ziehen, wie die Festsetzungsfrist für den Folgebescheid noch nicht abgelaufen ist.