Inhaltsverzeichnis
- Wiedereinsetzung gem. § 110 AO
- Begriff der Wiedereinsetzung
- Wiedereinsetzungsfähige Fristen
- Fristversäumnis ohne Verschulden
- Einzelfälle aus der Rechtsprechung
- Verschulden bei Tätigkeiten Dritter
- Vorbemerkungen
- Verschulden von Hilfspersonen
- Verschulden von Vertretern
- 'Wiedereinsetzungsverfahren'
- Antrag und Antragsfrist gemäß § 110 Abs. 2 AO
- Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag gemäß § 110 Abs. 4 AO
Wiedereinsetzung gem. § 110 AO
Begriff der Wiedereinsetzung
§ 110 AO sowie auch § 56 FGO regeln die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, denn durch die Versäumung gesetzlicher Fristen können dem Steuerpflichtigen immense finanzielle Nachteile entstehen. Zur Vermeidung von Härtefällen gibt es die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Hinweis
Gerade im Hinblick auf Klausuren sind immer wieder die Tatbestände des § 110 AO zu überprüfen!
Wiedereinsetzungsfähige Fristen
Das erneute wiedereinsetzen einer bereits abgelaufenen Frist kommt nur bei wiedereinsetzungsfähigen Fristen und deren erstmalige Versäumung in Betracht.
Wiedereinsetzungsfähige Fristen sind
Einspruchsfrist nach § 355 Abs. 1 AO
Frist für den Antrag auf eine schlichte Änderung zugunsten des Steuerpflichtigen nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a AO
Wiedereinsetzungsfrist nach § 110 Abs. 2 Satz 1 AO
- Antragsfrist nach § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG
Verjährungsfristen stellen keine wiedereinsetzungsfähigen Fristen dar nach §§ 169 ff. AO sowie §§ 228 ff. AO. Diese sogenannten Maximalfristen können durch den Steuerpflichtigen nicht eingehalten werden, da es sich um eine zwingende gesetzliche Folge handelt. Der Gesetzgeber misst hier bei Ablauf der Verjährungsfristen dem Rechtsfrieden vorrangige Bedeutung zu.
Fristversäumnis ohne Verschulden
Eine Wiedereinsetzung der Frist kommt nur für die Steuerpflichtigen in Betracht, die eine Frist schuldlos versäumt haben. Beispielsweise weil der Steuerpflichtige wegen objektiver äußerer Umstände nicht in der Lage war, die Frist einzuhalten siehe hierzu § 110 Abs. 1 Satz 1 AO. Bei der Prüfung des Verschuldens führt bereits einfache Fahrlässigkeit zum Ausschluss der Wiedereinsetzung.
Etwas anderes kann nach der Rechtsprechung dann gelten, wenn bei einem Steuerpflichtigen die Abwesenheit zur Regel wird beispielsweise bei Handelsvertretern.
Ein Unternehmer beispielsweise der Geschäftsführer einer GmbH muss nach Auffassung des Bundesfinanzhofes Vorsorge treffen, wenn er sich auf längere Urlaubs- oder Geschäftsreisen begibt und dies für ihn zumutbar ist, beispielsweise weil die GmbH eine entsprechende Verwaltung hat. Dies gilt entsprechend für den Geschäftsführer der Komplementär-GmbH einer GmbH & Co. KG.
In Fällen, in denen eine erforderliche Begründung oder Anhörung eines Beteiligten durch das Finanzamt unterlassen und dadurch die rechtzeitige Anfechtung des Verwaltungsaktes unterlassen wurde, geht das Gesetz in § 126 Abs. 3 AO von einem fehlenden Verschulden aus siehe hierzu AEAO Nr. 3 zu § 126 und Nr. 3 zu § 91.
Denn durch die fehlende Begründung ist der Steuerpflichtige daran gehindert etwaige Nachforschungen anzustellen.
Einzelfälle aus der Rechtsprechung
Urlaub
Wenn der Steuerpflichtige während des gesamten Verlaufs der Frist abwesend war, so kann der Urlaub ein Wiedereinsetzungsgrund in den vorigen Stand sein. Hierbei werden Privatpersonen und Unternehmer unterschiedlich behandelt.
Beim Urlaub einer Privatperson von mehr als sechs Wochen muss vom Steuerpflichtigen ein Postnachsendeantrag gestellt beziehungsweise ein Vertreter bestellt werden. Unternehmer haben dies bereits bei einem kürzeren Urlaub (ohne Zeitbegrenzung) zu erledigen.
Krankheit
Eine Krankheit kann ein Wiedereinsetzungsgrund in den vorigen Stand sein, wenn der Steuerpflichtige handlungsunfähig war und wenn zusätzlich die Krankheit unvorhersehbar eintrat. Wichtig ist bei der Einsetzung in den vorigen Stand, dass der Antrag innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen ist gemäß § 110 Abs. 2 Satz 1 AO.
Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragsstellung glaubhaft zu machen, die versäumte Handlung ist innerhalb der Antragsfrist nachzuholen.
Beispiel
Der Bekanntgabetag des Steuerbescheides liegt auf dem 16.03. des Jahres 01. Die einmonatige Einspruchsfrist endet daher am 16.04. des Jahres 01 um 24 Uhr, also am Ende des Tages. Da der Einspruch erst hiernach, nämlich am 12.05. eingeht, ist dieser verspätet eingegangen. Es ist jedoch so, dass der Steuerpflichtige die Frist schuldlos nicht eingehalten hat, denn er war durch seinen komatösen Zustand daran gehindert, Einspruch einzulegen. Die Wiedereinsetzungsfrist beginnt am Tag nach Wegfall des Hindernisses, also am 09.05. Hiernach hat der Steuerpflichtige noch einen Monat Zeit, Einspruch einzulegen. Da der 12.05. des Jahres 01 innerhalb dieser einmonatigen Frist liegt, ist die erstmalige Versäumnis der Frist unbeachtlich, der Einspruch gilt als fristgemäß eingelegt.
Merke
Kurze Fristüberschreitung
Eine kurzfristige Fristüberschreitung zählt ebenso nicht als Wiedereinsetzungsgrund. Es ist grundsätzlich in Ordnung, dass der Steuerpflichtige bis zum letzten Tag einer Frist wartet, doch hat er dann eine erhöhte Sorgfaltspflicht zu tragen. Sollte das Finanzamt einen Verwaltungsakt nicht begründen, so kann dies einen Wiedereinsetzungsgrund darstellen, wenn der Steuerpflichtige hierdurch die Frist versäumt nach § 126 Abs. 3 AO. Für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist darüber hinaus eine Frist von einem Jahr maßgeblich. Nach Ablauf des einen Jahres nach dem Ende der versäumten Frist kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt und die versäumte Handlung auch nicht nachgeholt werden, es sei denn, dass dies vor Ablauf der Jahresfrist in Folge höherer Gewalt unmöglich war nach § 110 Abs. 3 AO.
Wenn insgesamt die Voraussetzungen des § 110 Abs. 3 AO vorliegen, so muss dem Steuerpflichtigen die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden. Er wird also dann so behandelt, als habe er die Frist eingehalten.
Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist also keine Fristverlängerung. Darüber hinaus ist sie keine Ermessensentscheidung des Finanzamtes, sondern mit einem Rechtsanspruch für den Steuerpflichtigen verbunden.
Für einen zusammenfassenden Überblick über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand betrachten wir folgendes Lernvideo.
Verschulden bei Tätigkeiten Dritter
Vorbemerkungen
Häufig werden von Steuerpflichtigen auch dritte Personen zur Mitwirkung bei der Erledigung von Einsprüchen herangezogen.
Beispiel
Der Steuerpflichtige lässt seinen Einspruch durch einen Angestellten zur Post bringen.
- Die Steuerpflichtige bittet ein 12-jähriges Nachbarskind, ihren Einspruch gegen eine Zwangsgeldfestsetzung zur Post zu bringen.
Der Steuerberater des Steuerpflichtigen fertigt als Vormund seines Mündels einen Einspruch.
Der Komplementär der KG fertigt einen Einspruch gegen den Umsatzsteuer-Bescheid der Kommanditgesellschaft.
Die AG beauftragt den Steuerberater mit der Erledigung eines Einspruchs gegen ihren Körperschaftsteuer-Bescheid.
Kommt es nun in den aufgeführten Fällen zu Fristversäumnissen, weil die mitwirkenden Personen ihre Aufträge nicht ordnungsgemäß erledigt haben, so ist jeweils zu prüfen, ob die Personen gesetzliche beziehungsweise rechtsgeschäftlich bestellte Vertreter nach § 80 Abs. 1 AO sowie § 164 BGB waren oder ob es sich um sonstige Hilfspersonen handelte, die als so genannte Erfüllungsgehilfen, aber ohne Vertretungsmacht auftraten.
Lösung:
In den Fällen des Beispiels 1 und 2 handelt es sich tatsächlich um Hilfspersonen, in den restlichen Beispielen um Vertreter.
Verschulden von Hilfspersonen
Werden Hilfspersonen zur Erfüllung mit herangezogen, kommt es auf das Verschulden des Steuerpflichtigen direkt an. In unserem Beispiel waren dies die Fälle 1 und 2.
Man unterscheidet folgende Verschulden:
Auswahlverschulden,
Überwachungsverschulden oder
Organisationsverschulden.
Auswahlverschulden
Von einem Auswahlverschulden spricht man, wenn der Steuerpflichtige die Hilfsperson falsch ausgewählt hat.
Überwachungsverschulden
Von einem Überwachungsverschulden spricht man, wenn der Steuerpflichtige die Hilfsperson nicht ausreichend überwacht hat.
Organisationsverschulden
Von einem Organisationsverschulden spricht man, wenn der Fehler auf eine mangelnde innerbetriebliche Organisation zurückzuführen ist.
Reine Hilfstätigkeiten
Werden durch das geschulte Kanzleipersonal arbeiten erledigt, muss der Steuerberater die Ausführung der Tätigkeit hier nicht kontrollieren. Werden in diesem Zusammenhang Fristen versäumt, weil beispielsweise das Rechtsbehelfsschreiben eine falsche Postleitzahl trägt oder an die falsche E-Mail-Adresse oder Faxnummer gesetzt wurde, kann auch hier eine Wiedereinsetzung gewährt werden.
Lösung zum Beispiel:
Im Beispiel 1 hat der Steuerpflichtige einen sonst zuverlässigen Angestellten mit dem Auftrag betraut, so ist in diesem Fall ein Auswahlverschulden nicht zu erkennen, auch wenn der Angestellte den Auftrag nicht ausführt. Dementsprechend ist eine Wiedereinsetzung zu gewähren.
Im Beispiel 2 ist der Steuerpflichtigen ein Auswahlverschulden anzulasten, wenn das 12-jährige Kind seinen Auftrag nicht ausführt und es damit zur Versäumung der Frist kommt. Man kann nicht erwarten, dass ein Zwölfjähriges Kind die Bedeutung eines Einspruchsschreibens und die Schwere der Versäumung erkennen kann.
Verschulden von Vertretern
In den Beispielen 3, 4 und 5 handelt es sich um Vertreter.
Kommt es also durch Ihr Verschulden zu einer Versäumung von Fristen so muss nach § 110 Abs. 1 Satz 2 AO das Verschulden eines Vertreters dem Vertretenen zugerechnet werden.
Merke
'Wiedereinsetzungsverfahren'
Antrag und Antragsfrist gemäß § 110 Abs. 2 AO
Nach § 110 Abs. 2 AO ist der Antrag auf Wiedereinsetzung ist innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen.
Dabei ist zu beachten, dass die Gründe für die Wiedereinsetzung innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist dargelegt werden - siehe hierzu AEAO zu § 110, Nr. 5. Die Glaubhaftigkeit sowie Beweise können und im Anschluss noch vorgelegt werden nach § 110 Abs. 2 Satz 2 AO.
Nach § 110 Abs. 2 Satz 3 und Satz 4 AO kann auf einen Antrag zur Wiedereinsetzung verzichtet werden, wenn die versäumte Rechtshandlung innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist nachgeholt worden ist. Aber auch in diesem Falle ist darauf zu achten, dass die Gründe für die Wiedereinsetzung innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist dargelegt werden.
Die Frist des § 110 Abs. 2 Satz 1 AO ist ihrerseits eine wiedereinsetzungsfähige Frist. Wird sie unverschuldet versäumt, kommt eine Wiedereinsetzung erneut in Betracht.
Wird die Frist nicht innerhalb eines Jahres seit dem Ende der versäumten Frist durch eine Wiedereinsetzung belebt kann eine erneute Wiedereinsetzung, von Ausnahmen abgesehen, nicht mehr gewährt werden.
In diesem Fall überwiegt der Grundsatz des Rechtsfriedens dem Interesse des Betroffenen an der Prüfung der Entscheidung durch das Finanzamt vor gemäß § 110 Abs. 3 AO.
Die Jahresfrist ist nicht wiedereinsetzungsfähig.
Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag gemäß § 110 Abs. 4 AO
Nach § 110 Abs. 4 AO entscheidet die Finanzbehörde über den Antrag auf Wiedereinsetzung, die über die versäumte Handlung zu befinden hat.
Zusammenfassend sind im Rahmen des § 110 AO folgende Punkte zu prüfen:
Versäumung einer wiedereinsetzungsfähigen Frist nach § 110 Abs. 1 Satz 1 AO
Verhinderung ohne Verschulden des Steuerpflichtigen oder seines Vertreters nach § 110 Abs. 1 Satz 1 AO
Antrag auf Wiedereinsetzung nach § 110 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 2 AO
Antrag, gegebenenfalls entbehrlich nach § 110 Abs. 2 Satz 4 AO
Antragsfrist
innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses
gegebenenfalls Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist
Glaubhaftmachung von Tatsachen zur Begründung des Antrags
Nachholung der versäumten Handlung innerhalb Antragsfrist
Wahrung der Jahresfrist seit Ende der versäumten Frist nach § 110 Abs. 3 AO
Prüfungstipp
Dieser Prüfungsaufbau sollte aus dem Gesetz heraus erarbeitet werden! Nur so können Sie in der Prüfung eine Abstraktionsfähigkeit erlangen um dann den Prüfungsablauf auf die jeweilige Prüfungssituation anzuwenden.
Prüfungstipp
Wiedereinsetzung ist immer wieder Gegenstand in den Prüfungen.