Kursangebot | Abgabenordnung (Vertiefung) | Auswirkungen des Steuerstraf- und Bußgeldrechts auf das Besteuerungsverfahren

Abgabenordnung (Vertiefung)

Auswirkungen des Steuerstraf- und Bußgeldrechts auf das Besteuerungsverfahren

3.1. Festsetzungsverjährung, § 169 II S. 2, § 171 IV, V, VII und IX AO

  • Berücksichtigung der Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO

  • Die reguläre Festsetzungsfrist beträgt nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO 4 Jahre

  • Verlängerte Dauer der Festsetzungsfrist, § 169 Abs. 2 Satz 2 AO:
    • Steuerhinterziehung, § 370 AO = 10 Jahre („insoweit“)
    • Leichtfertige Steuerverkürzung, § 378 AO = 5 Jahre („insoweit“) 

  • Grundsatz der Teilverjährung ist zu beachten; „insoweit“! 

➢ In diesem Zusammenhang ist unerheblich, ob der Steuerschuldner der strafrechtlich zu  verfolgende Täter ist oder eine wirksame Selbstanzeige (§ 371 AO) vorliegt! 

➢ Steuerverkürzungen mehrerer zusammenhängender Veranlagungszeiträume und Steuerarten sind  getrennt voneinander zu betrachten; es liegen gemäß § 53 StGB jeweils selbständige Einzeltaten  vor! 

  • Anwendung des § 177 AO 

➢ Saldierung materieller Fehler bei einer Steuerhinterziehung im Sinne des § 370 AO ist auch dann  zulässig, wenn eine isolierte Änderung des Fehlers oder seine Berichtigung nach § 129 AO wegen  Ablaufs der Festsetzungsfrist nicht möglich ist; vgl. AEAO zu § 177 AO, Tz. 1! 

➢ Bildung des Berichtigungsrahmens und Saldierung, „soweit die Änderung reicht“. 

Beispiel

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Fallbeispiel mit Anwendung des § 177 AO

ESt 01, Abgabe Oktober 02, EStB 01 vom 10.02.03 unter VdN 
§ 15 EStG = Gewinn 200.000 € 
Festgesetzte Einkommensteuer: 75.000 € 

Oktober 09 
Eingang einer Kontrollmitteilung 
Steuerhinterziehung, § 370 AO: BE 01 + 60.000 €; ESt 01 + 24.000 € 

Stpfl. 
Nachreichung grob fahrlässig nicht erklärter WK V+V + 10.000 €; ESt 01 -4.000 €

Lösungshinweise 

Ende der regulären Festsetzungsfrist mit Ablauf des 31.12.06, § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1  AO, 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO, § 108 Abs. 1 AO iVm § 188 Abs. 2 BGB 

§ 370 AO: Ende insoweit mit Ablauf des 31.12.12, § 169 Abs. 2 Satz 2 AO 

BE 01WK V+V
Korrektur gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO Alternativ: § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2c AO (Wegfall des VdN mit Ablauf des 31.12.06, § 164 Abs. 4 Satz 2 AO!)Rechtsfehlersaldierung
gemäß § 177 Abs. 1 AO; gilt auch für verjährte Rechtsfehler; vgl. AEAO zu § 177 AO, Tz 1 letzter Satz
ESt 01 +24.000 €ESt 01 - 4.000 €
Festsetzung der ESt 01 durch Änderungsbescheid auf 95.000 € 

 

Ablaufhemmungen gemäß § 171 AO 

§ 171 Abs. 4: „Außenprüfung“

„Wird vor Ablauf der Festsetzungsfrist mit einer Außenprüfung begonnen ……“ 

  • Bei einer Steuerhinterziehung beträgt die Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO  zehn Jahre, so dass insoweit ein längerer Zeitraum für den zulässigen Beginn der  Außenprüfung maßgebend ist = Grundsatz der Teilverjährung ist maßgebend!

  • Geltung auch in den Fallgestaltungen der höchstmöglichen Ablaufhemmung des § 171  Abs. 4 Satz 3 AO

Beispiel

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Fallbeispiel mit aufgedeckter Steuerhinterziehung im Rahmen einer Außenprüfung 

ESt 11, Abgabe Oktober 12, Endgültiger EStB vom 10.02.13 
§ 15 EStG = Gewinn 200.000 € 
Prüfungsanordnung vom 20.11.16 = ESt 11 bis 13 
Beginn der Außenprüfung = 15.12.16 

Feststellung Prüfer Januar 17 
Steuerhinterziehung, § 370 AO: BE 11 + 60.000 €; ESt 11 + 24.000 €
Steuerhinterziehungen durch Stpfl. bereits seit dem Jahre 06 

Erweiterung der Außenprüfung durch gesonderte Prüfungsanordnung für die Jahre 06  bis 10 im März 17 und Abschluss der Prüfung im Jahre 18 und Erlass des gemäß § 173  Abs. 1 Nr. 1 AO geänderten Einkommensteuerbescheides 06; zulässig?

Lösungshinweise 

ESt 06 
Ende der regulären Festsetzungsfrist mit Ablauf des 31.12.11; 
§ 370 AO: Ende insoweit mit Ablauf des 31.12.17, § 169 Abs. 2 Satz 2 AO. 

Erweiterung für 06 somit rechtmäßig und bei Abschluss der Prüfung und Erlass des  geänderten Steuerbescheides ist § 171 Abs. 4 Satz 1 AO erfüllt, weil Beginn der  Außenprüfung aufgrund gesonderter Prüfungsanordnung im Jahre 17 und vor Ablauf  der auf 10 Jahre verlängerten Festsetzungsfrist! 

Festsetzungsfrist des § 171 Abs. 4 Satz 1 AO endet somit erst mit formeller  Unanfechtbarkeit des geänderten Einkommensteuerbescheides 06

 

§ 171 Abs. 5: „Steuerfahndung“ 

  • Hinweis auf die Regelungen in § 171 Abs. 4 AO

  • Bei Maßnahmen der Steuerfahndung ist im Regelfall die verlängerte Frist von zehn  Jahren (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO) maßgebend, weil zumindest ein Anfangsverdacht für  eine Steuerstraftat vorliegen muss

  • Maßgebend für die Ablaufhemmung ist die Außenwirkung der Maßnahmen gemäß § 171 Abs. 5 Sätze 1 oder 2 AO; Erkennbarkeit für den Stpfl.! 

§ 171 Abs. 7: „Strafverfolgungsverjährung“ 

  • Im Regelfall keine Auswirkung, weil die strafrechtliche Verjährungsfrist nach den §§  78ff StGB nur 5 Jahre im Gegensatz zur steuerlichen Verjährungsfrist von zehn Jahren  beträgt!

  • Ausnahme: Fälle des § 376 AO iVm den Tatbeständen des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1  bis 6 AO 

§ 171 Abs. 9: „Anzeige nach den §§ 153, 371 oder 378 III AO“ 

„Erstattet der Steuerpflichtige nachträglich vor Ablauf der Festsetzungsfrist ….."

  • Jahresfrist des § 171 Abs. 9 AO geht über die reguläre/verlängerte Festsetzungsfrist hinaus! 

  • § 153 AO: Festsetzungsfrist beträgt grundsätzlich 4 Jahre nach § 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2  AO = Gutgläubiger Stpfl.! 

ABER: Vorsätzlicher Verstoß des Stpfl. gegen die Berichtigungspflicht stellt eine Tathandlung nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO dar und führt zu einer  Steuerverkürzung gemäß § 370 Abs. 4 Satz 1 AO

Rechtsfolge bei Verletzung der Hinweispflicht 

Verlängerung der Festsetzungsfrist auf 10 Jahre nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO,  falls Erkennen innerhalb der regulären Festsetzungsfrist 

Weitere Besprechung des § 153 AO erfolgt im Zusammenhang mit den Regelungen des § 371 AO und der Selbstanzeige gemäß § 371 AO! 

  • § 371 AO: Festsetzungsfrist beträgt 10 Jahre nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO, weil durch die Selbstanzeige indiziert wird, dass eine vorsätzliche Steuerhinterziehung gemäß § 370 AO verwirklicht worden ist! 

  • § 378 III 3 AO: Festsetzungsfrist beträgt 5 Jahre nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO, weil die Anzeige indiziert, dass eine leichtfertige Steuerverkürzung  verwirklicht worden ist! 

Beispiel

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Fallbeispiel zur Abgrenzung zwischen § 153 AO und § 371 AO 

ESt 01, Abgabe Oktober 02, Endgültiger EStB 01 vom 10.02.03  § 15 EStG = Gewinn 200.000 € 

Variante IVariante II
Stpfl. erkennt im Oktober 06, dass er irrtümlich bar vereinnahmte BE iHv 3.000 € nicht in der G+V des Jahres 01 erfasst hat. Nach Rücksprache mit seinem Steuerberater zeigt er den Vorgang am 28.10.06 beim FA an.Stpfl. hat durch Manipulationen seiner Kasse BE iHv 40.000 € nicht in der G+V des des Jahres 01 er- fasst. Er fürchtet eine Aufdeckung und zeigt den Vorgang am 25.08.12 beim FA an.

Ende der regulären Festsetzungsfrist mit Ablauf des 31.12.06, §§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 169 Abs.  2 Satz 1 Nr. 2 AO, § 108 Abs. 1 AO iVm § 188 Abs. 2 AO 

Anzeige vom 28.10.06 Anzeige vom 25.08.12

Berichtigung der materiell fehlerhaften ESt-Erklärung 01 gemäß § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO! Gutgläubiger Stpfl. erkennt nachträglich, dass er eine unrichtige Steuererklärung abgegeben hat und es dadurch zu einer Steuerverkürzung gekommen ist.

Es handelt sich um eine Selbst- anzeige gemäß § 371 AO, weil der Stpfl. sich einer vollendeten Steuerhinterziehung gemäß § 370 AO schuldig gemacht hat.

Tatbestände des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO sind nicht erfüllt!Festsetzungsfrist dauert insoweit 10 Jahre und endet mit Ablauf des 31.12.12, § 169 Abs. 2 Satz 2 AO
Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 9 Alt. 1 AO Ende mit Ablauf des 28.10.07, § 108 Abs. 1 AO iVm §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGBAblaufhemmung gemäß § 171 Abs.9Alt.2AO
Ende mit Ablauf des 25.08.13, § 108 Abs. 1 AO iVm §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB

 

§ 108 Abs. 3 AO ist bei Ablauf der Jahresfrist zu beachten!

3.2. Korrektur der Steuerfestsetzung bzw. des sonstigen Verwaltungsaktes 

  • Korrektur gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 bzw. gegebenenfalls Nr. 2 AO (Tatzugehörige Gründe; kein  Fall von § 370 Abs. 4 Satz 3 AO) bei einer Steuerhinterziehung oder leichtfertigen  Steuerverkürzung

  • Vorrang der Korrektur gemäß § 164 Abs. 2 AO ist zu beachten; zu beachten ist jedoch  die Ausnahmeregelung des § 164 Abs 4 Satz 2 AO!

  • Durchbrechung der Änderungssperre nach einer Außenprüfung "insoweit" als eine  Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt, § 173 Abs. 2 AO

  • Im Regelfall sind gleichzeitig die Tatbestandsmerkmale des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2c AO erfüllt!

  • Rücknahme eines sonstigen Verwaltungsaktes gemäß § 130 Abs. 2 Nr. 2 AO 

 

3.3 Verhältnis des Steuerfestsetzungs- zum Steuerstrafverfahren, § 393 Abs. 1 AO 

Steuerfestsetzungsverfahren Steuerstrafverfahren
zB die Verpflichtung zur Abgabe der Steuer- Erklärung, Mitwirkungspflichten gemäß §§ 85ff AOzB die Verfolgung der Straftat durch ein Verfahren vor dem Strafgericht
Mitwirkungspflichten des Stpfl. bleiben unberührt; jedoch sind sie nicht durch Zwangsmittel (§§ 328ff AO) erzwingbarRegelungen des Strafgesetz- buches und der Strafprozess- ordnung sind maßgebend = Recht des Täters, sich nicht zu äußern
Möglichkeit der Schätzung gemäß § 162 AO! 

 

3.4 Haftung, §§ 69 und 71 AO 

  • Eine Haftung kommt nur dann in Betracht, wenn der –strafrechtliche- Steuerhinterzieher  (Täter oder Teilnehmer) nicht der Steuerschuldner ist! 
  • Anwendungsfälle sind zum Beispiel Steuerhinterziehung durch den Geschäftsführer der  GmbH zu Gunsten der GmbH (zB Umsatzsteuer) oder Steuerhinterziehung durch die  Gesellschafter einer Personengesellschaft zu Gunsten der Personengesellschaft (zB  Umsatzsteuer) 

Beispiel

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  • Vollendete Steuerhinterziehung durch den Gesellschafter-Geschäftsführer der  GmbH gemäß § 370 AO 

  • Steuerverkürzung von Körperschaftsteuer und Umsatzsteuer gemäß § 370 Abs. 1  Nr. 1 iVm Abs. 4 Satz 1 AO 

  • Nach Bekanntwerden der Steuerhinterziehung stellt die GmbH einen Antrag auf  Eröffnung des Insolvenzverfahrens, der mangels Masse abgelehnt wird 

  • Steuerforderungen können bei der Steuerschuldnerin „GmbH“ nicht mehr  realisiert werden 

  • Inanspruchnahme des Geschäftsführers als Haftungsschuldner; maßgebende  Haftungsnormen: §§ 69 und 71 AO 

3.5 Hinterziehungszinsen, § 235 AO 

  • Festsetzung immer gegen Steuerschuldner unabhängig von der Beteiligung an der Straftat; ggf.  Haftung nach § 71 AO durch Täter, der zum fremden Vorteil Steuern hinterzogen hat 

  • Anrechnung der Nachzahlungszinsen iS von § 233a AO, § 235 IV AO