Inhaltsverzeichnis
1. Gegenüberstellung der Vorschriften
Teil A: Abgrenzung der §§ 371 und 153 AO | Berichtigung nach § 153 AO |
Der Stpfl. hat bereits vorsätzlich (§ 370 AO) hinterzogen und übt jetzt tätige Reue | Der Stpfl. hat eine objektiv unrichtige Steuererklärung gutgläubig (weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit) abgegeben und erkennt dies später |
Hinweis auf die Regelungen des § 378 III AO in den Fällen der leichtfertigen Steuerverkürzung | Rechtsfolge |
➢ Verstoß gegen § 153 AO stellt eine Tathandlung i.S. des § 370 I Nr. 2 AO und einen Taterfolg gemäß § 370 Abs. 4 Satz 1 AO dar | |
➢ Die Verpflichtung trifft auch den/die Erben und die Personen nach §§ 34, 35 AO; vgl. § 153 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 45 AO | |
➢ § 371 IV AO ist bei mehreren nach § 153 AO verpflichteten Personen zu beachten (z.B. Erben in in den Fällen des § 153 Abs. 1 Satz 2 AO) |
Die ordnungsgemäße Berichtigung nach § 153 AO und die Selbstanzeige gemäß § 371 AO schließen sich gegenseitig aus!
2. Grundsätze des § 153 AO unter Hinweis auf den AEAO zu § 153 AO
Erkennen der objektiv unrichtigen Erklärung innerhalb der Festsetzungsfrist
Eine Berichtigungspflicht gem. § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO besteht nur, wenn ein Steuerpflichtiger nachträglich vor Ablauf der steuerlichen Festsetzungsfrist erkennt, dass eine von ihm oder für ihn abgegebene Steuererklärung unrichtig oder unvollständig ist und es dadurch zu einer Verkürzung von Steuern gekommen ist.
Maßgebend ist bei den Fallgestaltungen des § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO die reguläre Festsetzungsfrist von vier Jahren (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO), weil es sich um einen „gutgläubigen“ Steuerpflichtigen handelt!
In Bezug auf die Fehlerhaftigkeit definiert der BMF-Anwendungserlass in Tz. 2.1, dass eine Erklärung objektiv unrichtig ist, wenn sie „entgegen § 90 Abs. 1 Satz 2, § 150 Abs. 2 Satz 1 AO nicht alle steuerlich erheblichen Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß offenlegt“.
Nachträgliches „Erkennen“ der Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit
Das entscheidende Kriterium für die Abgrenzung einer schlichten Korrektur gem. § 153 AO von einer strafbefreienden Selbstanzeige ist der Zeitpunkt, zu dem dem Steuerpflichtigen die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der von ihm abgegebenen oder verantworteten Steuererklärung bewusst war.
Während der Steuerpflichtige bei einer schlichten Korrektur den Fehler erst im Nachhinein „nachträglich“ bemerkt, wird bei der Verwirklichung eines zu einer Selbstanzeige gem. § 378 Abs. 3, § 371 AO führenden Steuerdelikts der Fehler leichtfertig oder sogar (bedingt) vorsätzlich begangen. Die anerkannten Definitionen von Vorsatz und Leichtfertigkeit finden sich in den Tz. 2.6 und 2.7 des BMF-Anwendungserlasses.
Annahme von Vorsatz oder Leichtfertigkeit
Es liegt auf der Hand, dass der subjektive Tatbestand eines Steuerdelikts nicht immer einfach nachzuweisen ist und oftmals nur aus äußeren (objektiven) Beweisanzeichen Rückschlüsse auf das Vorliegen von Vorsatz oder Leichtfertigkeit möglich sind. In dieser Hinsicht enthält der BMF- Anwendungserlass in Tz. 2.5 folgende klare Aussage:
„Nicht jede objektive Unrichtigkeit legt den Verdacht einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit nahe. Es bedarf einer sorgfältigen Prüfung durch die zuständige Finanzbehörde, ob der Anfangsverdacht einer vorsätzlichen oder leichtfertigen Steuerverkürzung gegeben ist. Insbesondere kann nicht automatisch vom Vorliegen eines Anfangsverdachts allein aufgrund der Höhe der steuerlichen Auswirkung der Unrichtigkeit der abgegebenen Erklärung oder aufgrund der Anzahl der abgegebenen Berichtigungen ausgegangen werden“.
Zeitpunkt der Anzeige und Berichtigung
Nach dem gesetzlichen Wortlaut des § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 AO ist der Steuerpflichtige verpflichtet, einen nachträglich erkannten Fehler „unverzüglich anzuzeigen und die erforderliche Richtigstellung vorzunehmen“.
Die besondere Brisanz einer „unverzüglichen Anzeige“ liegt darin, dass eine nicht rechtzeitig oder gar vorsätzlich nicht erstattete Berichtigungsanzeige zu einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen gem. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO führen kann (vgl. Tz. 2.5 und 5.3 des BMF-Anwendungserlasses).
3. Fallbeispiel zu § 153 Abs. 1 Satz 2 AO = Erkennen der Unrichtigkeit von Steuererklärungen des Erblassers durch den Erben
Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 AO durch den Erblasser für die Veranlagungszeiträume 15 bis 18 (Vorsatz, § 15 StGB)
ESt-Verkürzung: 10.000 €/Jahr durch Nichterfassung von Mieteinnahmen aus einem Mehrfamilienhaus im Alleineigentum des Erblassers (§ 21 EStG + 25.000 €)
Tod des Erblassers: 30. Juni 19; Alleinerbe ist sein Sohn
Sohn prüft die Unterlagen des Vaters und erkennt zweifelsfrei die Steuerhinterziehung des Vaters in den Jahren 15 bis 18
Abgabe der ESt-Erklärung 19 für den Zeitraum 01.01. – 30.06.19 durch den Sohn für den Erblasser (§ 45 AO) ohne die Mieteinnahmen aus dem Mehrfamilienhaus (ESt-Verkürzung 5.000 € und § 21 EStG +12.500 €)
Abgabe der ESt-Erklärung des Sohnes für das Jahr 19 und 20 ohne die Mieteinnahmen (ESt 19 +5.000 € und ESt 20 +10.000 €)
Fragestellung
Wie ist der Sachverhalt für den Erblasser strafrechtlich und für den Erben strafrechtlich und steuerlich zu würdigen?
Strafrechtliche und steuerliche Würdigung für die beteiligten Personen
Anwendung der Grundsätze des BGH-Urteils vom 22.01.2018, Az. 1 StR 535/17
Erblasser | Sohn |
Strafrecht Strafverfolgungshindernis durch den Tod des Täters | Strafrecht ESt 15 - 18 = 1 Tathandlung und 1 Taterfolg, weil die Angaben durch ein und dieselbe Handlung zu erbringen gewesen wäre Zeitpunkt: Erkennen der Anzeigepflicht ESt 19 (Erblasser und Erbe) und 20 (Erbe) Zeitpunkt: Bekanntgabe der Steuerbescheide |
Steuerliche Rechtsfolgen § 45 AO: Festsetzungsfrist beträgt 10 Jahre nach § 169 Abs. 2 S. 2 AO | Steuerliche Rechtsfolgen Festsetzungsfrist beträgt 10 Jahre nach § 169 Abs. 2 S. 2 AO |
ESt 15 - 19 (bis 30.06.19)
Erlass der korrigierten Steuerbescheide an den Sohn in seiner Rechtsstellung als Gesamtrechtsnachfolger des Erblassers
ESt 19 (ab 01.07.19) und 20
Erlass der korrigierten Steuerbescheide an den Sohn
Korrekturvorschriften
Korrektur der ESt-Bescheide 15 bis 20 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO bzw. nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2c AO