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Arbeits- und Sozialversicherungsrecht (Mündliche Prüfung) - Leistungsstörungen im Arbeitsverhältnis

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Arbeits- und Sozialversicherungsrecht (Mündliche Prüfung)

Leistungsstörungen im Arbeitsverhältnis

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Leistungsstörungen im Arbeitsverhältnis

Leistungsstörungen im Arbeitsrecht bezeichnen Fälle, in denen die vertraglich geschuldeten Leistungen nicht, nicht ordnungsgemäß oder nicht rechtzeitig erbracht werden.

Als Einführung in die Thematik schauen wir uns das folgende Lernvideo an:

 

Ohne Arbeit kein Lohn

Es gilt der Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn”. In Situationen, in denen die Arbeitsleistung ohne Verschulden einer der Parteien nicht erbracht werden kann, entfällt der Anspruch auf Arbeitsentgelt grundsätzlich gemäß § 326 Abs. 1 BGB. 

Aufgrund der existentiellen Bedeutung des Arbeitsentgelts und der Schutzwürdigkeit des Arbeitnehmers ist dies in vielen Fällen (z.B. im Fall der Krankheit des Arbeitnehmers) nicht interessengerecht. Es gibt daher Sonderregelungen, die den Lohnanspruch des Arbeitnehmers entgegen der Regel des § 326 Abs. 1 BGB aufrechterhalten.

Ein Fall der Aufrechterhaltung des Lohnanspruches des Arbeitnehmers ist bei dessen Krankheit,  der vorübergehenden Veränderungen und bei Gründen, die aus der Sphäre des Arbeitgebers stammen, gegeben. 

 

 

Krankheit des Arbeitnehmers

Ist der Arbeitnehmer krank, gewährt ihm das Entgeltfortzahlungsgesetz einen sechswöchigen Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts, wenn er krankheitsbedingt an der Erbringung der Arbeitsleistung gehindert ist, ohne dass ihn ein Verschulden trifft. 

Voraussetzung hierfür ist, dass das Arbeitsverhältnis bereits mindestens vier Wochen ununterbrochen bestehen muss, § 3 Abs. 3 EntgFG. 

Außerdem muss der Arbeitnehmer krank sein und die Krankheit muss der Grund für die Arbeitsunfähigkeit sein. Hätte der Arbeitnehmer sowieso nicht gearbeitet – z.B. weil er sich an einem Streik beteiligt hätteBAG, NZA 2019, 163 –, besteht kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung gemäß § 3 EntgFG. 

Merke

„Arbeitsunfähigkeit besteht, wenn der Arbeitnehmer in Folge [der] Krankheit seine vertraglich geschuldete Tätigkeit objektiv nicht ausüben kann oder objektiv nicht ausüben sollte, weil die Heilung nach ärztlicher Prognose hierdurch verhindert oder verzögert würde.“BAG, NZA 2017, 240, Rn. 14

Bei der Prüfung der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit muss immer die konkrete Tätigkeit in den Blick genommen werden.

Beispiel

Ein Rechtsanwalt, der sich den Knöchel verstaucht hat, wird objektiv seine Tätigkeit weiterhin wahrnehmen können. Bei einem verstauchten Handgelenk kann dies anders aussehen. 

Der Anspruch aus § 3 Abs. 1 EntgFG besteht auch dann nicht, wenn die Arbeitsunfähigkeit vom Arbeitnehmer zu verschulden ist. Dabei meint Verschulden aber nicht Vorsatz oder Fahrlässigkeit (wie z.B. bei § 276 Abs. 1 BGB), sondern ein Verschulden „gegen sich selbst”.BAG, NZA 2015, 801, Rn. 14 Erforderlich ist ein „grober oder gröblicher Verstoß gegen das Eigeninteresse eines verständigen Menschen und damit ein besonders leichtfertiges oder vorsätzliches Verhalten“.BAG, NZA 2017, 240, Rn. 36 

Beispiel

Einen solchen groben Verstoß gegen sein Eigeninteresse begeht z.B., wer betrunken Auto fährt, einen Unfall verursacht und sich dabei arbeitsunfähig verletzt.Waltermann, Arbeitsrecht, 20. Auflage 2021, Rn. 222

Beispiel

Ein Sportunfall gilt dann als schuldhaft, wenn der Arbeitnehmer auf eine Weise Sport ausübt, die seine Fähigkeiten und Kräfte deutlich übersteigt. Dasselbe gilt bei der Teilnahme an einer gefährlichen Sportart.Vgl. BAG, BeckRS 1981, 2047

Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht nur für einen Zeitraum von maximal sechs Wochen. Ist der Arbeitnehmer länger krank, muss er nach den sechs Wochen einen Anspruch auf Krankengeld gegen seine Krankenkasse geltend machen, §§ 44 ff. SGB V. 

Erkrankt der Arbeitnehmer erneut, steht ihm der Anspruch aus § 3 Abs. 1 EntgFG grundsätzlich nochmal zu. Davon gibt es zwei Ausnahmen: 

Einheit des Verhinderungsfalls: Erkrankt der Arbeitnehmer während einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit erneut an einer anderen Krankheit, beginnt der Sechs-Wochen-Zeitraum nicht erneut zu laufen (hätte der Arbeitnehmer zwischenzeitlich wieder gearbeitet, würde der Zeitraum bei einer anderen Krankheit erneut beginnen).Junker, Grundkurs Arbeitsrecht, 24. Auflage 2025, Rn. 284

Fortsetzungserkrankung: Erkrankt der Arbeitnehmer erneut an derselben Krankheit, werden die Krankheitszeiten zusammengerechnet. Der Arbeitnehmer erhält insgesamt sechs Wochen Entgeltfortzahlung. Dies gilt dann nicht (Rückausnahme), wenn der Arbeitnehmer mindestens sechs Monate nicht wegen derselben Krankheit arbeitsunfähig war oder wenn seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit mindestens zwölf Monate vergangen sind, § 3 Abs. 1 S. 2 EntgFG.Junker, Grundkurs Arbeitsrecht, 24. Auflage 2025, Rn. 284

Schließlich darf dem Arbeitgeber kein Leistungsverweigerungsrecht zustehen. Gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 EntgFG ist der Arbeitgeber berechtigt, die Fortzahlung des Arbeitsentgelts zu verweigern, solange keine ärztliche Bescheinigung vorliegt. Gem. § 5 EntgFG hat der Arbeitnehmer eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen, wenn die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Tage dauert. Der Arbeitgeber ist jedoch berechtigt, die ärztliche Bescheinigung auch früher zu verlangen.  

 

Vorübergehende Verhinderung

Auch außerhalb einer Krankheit kann es vorkommen, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung nicht erbringen kann. Gründe können z.B. der Tod eines nahen Angehörigen, die Hochzeit eines Kindes oder ein Umzug sein. Trifft den Arbeitnehmer kein Verschulden an der Verhinderung und handelt es sich um eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit, behält der Arbeitnehmer seinen Vergütungsanspruch gemäß § 616 BGB. Der Entgeltanspruch geht nicht nach § 326 Abs. 1 BGB unter.

Zunächst muss überhaupt eine Verhinderung vorliegen. Das ist nicht nur bei Unmöglichkeit (§ 275 Abs. 1 BGB) der Fall, sondern auch bei Unzumutbarkeit gegeben.Junker, Grundkurs Arbeitsrecht, 24. Auflage 2025, Rn. 276

Beispiel

So ist es einem Arbeitnehmer nicht zumutbar, nicht auf die Beerdigung seiner Eltern zu gehen und stattdessen zu arbeiten. Anders sieht es bei Terminen aus, die der Arbeitnehmer sich selbst so gelegt hat. Legt der Arbeitnehmer einen Arzttermin in die Arbeitszeit, begründet dies keinen Fall des § 616 BGB, außer die Wahrnehmung des Termins ist nur in der Arbeitszeit möglich.Junker, Grundkurs Arbeitsrecht, 24. Auflage 2025, Rn. 276

Die Verhinderung muss auch in der Person des Arbeitnehmers liegen. Allgemeine Umstände, die die Erbringung der Arbeitsleistung verhindern, fallen nicht unter § 616 BGB. Allgemeine Umstände liegen dann vor, wenn typischerweise viele Personen von einem Hinderungsgrund betroffen sind.Junker, Grundkurs Arbeitsrecht, 24. Auflage 2025, Rn. 276

Beispiel

Nicht unter § 616 BGB fällt es, wenn ein Zug ausfällt oder der Arbeitsplatz aufgrund starken Schneefalls nicht erreicht werden kann.vgl. Junker, Grundkurs Arbeitsrecht, 24. Auflage 2025, Rn. 276

Ein weiteres Erfordernis ist, dass die Verhinderung ohne Verschulden des Arbeitnehmers eingetreten ist. Hierbei geht es – genau wie bei der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall – nicht um ein Verschulden gegenüber Dritten (mit dem Maßstab des § 276 BGB), sondern um ein Verschulden gegen sich selbst.Joussen, BeckOK ArbR, § 616 BGB, Rn. 42 Schuldhaft handelt, wer „gröblich gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartenden Verhalten verstößt“.BAG, NZA 1984, 1706 (1707)

Der Arbeitgeber ist schließlich nur zur Weiterzahlung des Lohns verpflichtet, wenn es sich um einen verhältnismäßig nicht erheblichen Zeitpunkt handelt. Für die Frage, wann ein erheblicher Zeitraum vorliegt, ist eine sog. belastungsbezogene Abwägung vorzunehmen. Bei dieser ist die Dauer des Arbeitsverhältnisses ins Verhältnis zu der Art der Verhinderung zu setzen.Junker, Grundkurs Arbeitsrecht, 24. Auflage 2025, Rn. 276

Beispiel

M ist Muslim und seit acht Jahren bei G beschäftigt. Er legt regelmäßig Pausen ein, um die nach seinem Glauben vorgeschriebenen Gebete zu verrichten. Die Arbeitsunterbrechung aufgrund religiöser Verpflichtungen ist ein subjektives Leistungshindernis gemäß § 616 BGB. Handelt es sich nur um mehrminütige Gebetspausen, liegt auch ein verhältnismäßig nicht erheblicher Zeitraum vor. Der Arbeitnehmer ist allerdings verpflichtet, den Zeitpunkt des Gebets – innerhalb der vom Islam vorgegebenen Zeiträume – mit seinem Arbeitgeber abzusprechen.LAG Hamm, NZA 2002, 1090 (1091 f.)

 

Annahmeverzug des Arbeitgebers

Ein weiterer Fall, in dem der Arbeitnehmer seinen Lohn erhält, ohne dass er die Arbeitsleistung erbringt, ist der sog. Annahmeverzug. Annahmeverzug liegt vor, wenn der Arbeitgeber die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nicht annimmt und die weiteren Voraussetzungen vorliegen. 

Grundsätzlich ist für den Annahmeverzug des Arbeitgebers erforderlich, dass der Arbeitnehmer diesem die Arbeitsleistung tatsächlich anbietet, § 294 BGB.Junker, Grundkurs Arbeitsrecht, 24. Auflage 2025, Rn. 271

Beispiel

Dies kann z.B. dadurch erfolgen, dass der Arbeitnehmer zu dem Arbeitgeber hingeht und sagt: „Ich möchte arbeiten, sag mir, was ich tun soll.”

Ist das Arbeitsverhältnis dagegen unwirksam gekündigt, ist nach Ablauf der Kündigungsfrist (bei der außerordentlichen Kündigung sofort) kein Angebot des Arbeitnehmers mehr erforderlich. Durch die Kündigung bringt der Arbeitgeber zum Ausdruck, dem Arbeitnehmer keinen Arbeitsplatz mehr bereitzustellen und kommt damit einer erforderlichen Mitwirkungshandlung gemäß § 296 BGB nicht nach.Waltermann, Arbeitsrecht, 20. Auflage 2021, Rn. 231

Kein Annahmeverzug liegt vor, wenn der Arbeitnehmer außerstande ist, die Arbeitsleistung zu erbringen, § 297 BGB

Beispiel

Ein solches Unvermögen i.S.d. § 297 BGB liegt z.B. dann vor, wenn der Arbeitnehmer den Betriebsleiter eines Kunden des Arbeitgebers beleidigt und deshalb ein Hausverbot für die Arbeitsstelle erhält, welches es ihm rechtlich unmöglich macht, dorthin zu gelangen und seine Arbeit zu verrichten.Vgl. BAG, NZA 2017, 124

Zudem wird von der Rechtsprechung gefordert, dass der Arbeitnehmer leistungswillig ist. Begründet wird dies damit, dass „ein leistungsunwilliger Arbeitnehmer sich selbst außer Stande setze, die Arbeitsleistung zu bewirken“.BAG, NZA 2012, 858, Rn. 16

Die Annahme der Leistung darf dem Arbeitgeber schließlich nicht ausnahmsweise unzumutbar sein.

Betriebsrisikolehre

Eine weitere Ausnahme von dem Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn” ist die sog. Betriebsrisikolehre, § 615 S. 3 BGB. Nach der Betriebsrisikolehre „[muss] der Arbeitgeber, dem die wirtschaftliche Initiative und das Entscheidungsrecht in Fragen der Betriebsführung zusteht, auch insoweit die Verantwortung und damit die Folgen tragen, die sich daraus ergeben, [dass] die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers und die Entgegennahme der Arbeitsleistung durch den Arbeitgeber aus Gründen unmöglich wird, die in seinem [Einflussbereich] liegen“.BAG, BeckRS 1963, 1, Rn. 8 Zusammengefasst heißt dies: Da der Arbeitgeber entscheidet, wie er seinen Betrieb führt, muss er auch das Risiko tragen, dass die Annahme der Arbeitsleistung aus innerhalb des Betrieb liegenden Gründen unmöglich wird.

Voraussetzung ist, dass sich die Unmöglichkeit der Annahme der Arbeitsleistung durch den Arbeitgeber aus betriebstechnischen Gründen ergibt.Junker, Grundkurs Arbeitsrecht, 24. Auflage 2025, Rn. 290

Beispiel

Betriebstechnische Gründe liegen z.B. dann vor, wenn die Maschinen nicht funktionieren oder es einen Stromausfall aufgrund eines starken Unwetters gibt.Fischinger/Straub JuS 2016, 210

Keine betriebstechnischen Gründe liegen vor, wenn etwa ein Zug wegen Glatteis ausfällt oder eine Straße gesperrt ist. Das Risiko, pünktlich am Arbeitsplatz zu erscheinen (Wegerisiko), trägt der Arbeitnehmer.BAG 08.12.1982 – 4 AZR 134/80

Hinweis

Es kommt also der Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn” zur Anwendung. Der Arbeitnehmer erhält keinen Lohn für die Zeit, in der er nicht oder zu spät zur Arbeit erscheint.

Das Betriebsrisiko ist vom Wirtschaftsrisiko und dem Arbeitskampfrisiko abzugrenzen.

Bei dem Wirtschaftsrisiko geht es um das Risiko des Arbeitgebers, dass die Arbeitsleistung sinnvoll verwertbar ist. Fälle, in denen die Entgegennahme der Arbeitsleistung durch den Arbeitgeber wirtschaftlich sinnlos ist, fallen unter dem Annahmeverzug und damit unter die Regelung des § 615 S. 1 BGB.Joussen, BeckOK Arbeitsrecht, § 615 BGB, 72. Edition, Stand: 01.06.2024, Rn. 90; Junker, Grundkurs Arbeitsrecht, 23. Auflage 2024, Rn. 292

Bei dem Arbeitskampfrisiko geht es um das Risiko, an einer Arbeitskampfmaßnahme nicht teilnehmende Arbeitnehmer nicht (zumutbar) beschäftigen zu können. Das Arbeitskampfrisiko darf aufgrund des Grundsatzes der Kampfparität nicht auf den Arbeitgeber abgewälzt werden. Der Vergütungsanspruch der Arbeitnehmer entfällt.Junker, Grundkurs Arbeitsrecht, 24. Auflage 2025, Rn. 293

Vertiefung

Unbezahlte Freistellung

Neben den soeben erörterten Ausnahmen von dem Grundsatz „ohne Arbeit kein Lohn”, gibt es auch Fälle, in denen der Arbeitnehmer unbezahlt freigestellt ist und keinen Lohn von seinem Arbeitgeber erhält, er jedoch stattdessen einen Ausgleich von anderer Stelle bekommt. Derartige Fälle sind z.B. Arbeitnehmer in Elternzeit. Diese erhalten Elterngeld von der Elterngeldstelle. Ein weiteres Beispiel sind Arbeitnehmer, die sich um ein krankes Kind kümmern. Letztere können Kinderkrankengeld von ihrer Krankenkasse erhalten. 

Darüber hinaus gibt es aber natürlich auch die klassische unbezahlte Freistellung, in der nicht gearbeitet wird und auch kein Lohn bezahlt wird (etwa während einer einjährigen Weltreise des Arbeitnehmers).