Kapitalforderungen und Kapitalschulden werden nach § 12 Abs. 1 Satz 1 BewG grundsätzlich mit dem Nennwert bewertet.
Beispiel
- Girokontobestand zum Todestag
- Steuererstattungsanspruch
- Offene Arztrechnung
Für Einkommensteuererstattungen ergibt sich aus § 10 Abs. 1 Satz 3 ErbStG für Stichtage nach dem 28.12.2020, dass eine Entstehung nicht vorausgesetzt wird (Änderung der bisherigen Rechtsauffassung). Es genügt, dass der Anspruch vom Erblasser herrührt. Auf eine Festsetzung oder Bestandskraft kommt es ebenfalls nicht an. Bei Steuerschulden hat der BFH bereits mit Urteil vom 4.7.2012 (BStBl II S. 790) entschieden, dass ein Abzug auch möglich ist, wenn die Steuerschuld nur verursacht, also noch nicht zwingend auch entstanden ist, vgl. R E 10.8 Abs. 3 und R E 10.3 Abs. 3 ErbStR.
Ferner genügt zum Beispiel bei der Arztrechnung, dass die Verpflichtung entstanden ist, auch wenn die Rechnung selbst noch nicht eingegangen ist. Auch bis zum Stichtag bereits entstandene Zinsen sind zu berücksichtigen. Auf die
Gutschrift kommt es nicht an.
Abweichung vom Nennwert:
1. Uneinbringliche Forderungen werden nicht angesetzt, § 12 Abs. 2 BewG. Ist eine Forderung teilweise uneinbringlich, wird sie dem Grad der Zweifelhaftigkeit entsprechend abgesetzt.
Beispiel
Der Erblasser hatte eine Forderung gegen seinen Freund in Höhe von 10.000 €. Am Stichtag war der Freund bereits zahlungsunfähig (Privatinsolvenz). Die Forderung des Erblassers gehört zwar zum Nachlass, ist jedoch aufgrund der Uneinbringlichkeit mit 0 € zu bewerten, § 12 Abs. 2 BewG.
2. Forderungen und Schulden, die extrem verzinst werden (unter 3% oder über 9%) und deren Kündbarkeit für längere Zeit (das heißt für mindestens vier Jahre) ausgeschlossen ist, werden abweichend vom Nennwert angesetzt. Die Höhe der Abweichung ergibt sich aus der Differenz der extremen Verzinsung zum jeweiligen Grenzzinssatz von 3 %, bzw. 9 %, kapitalisiert auf die Laufzeit der Anlage.
Beispiel
Der Erblasser hatte eine Forderung in Höhe von 10.000 €, die zu 2 % verzinst ist. Die Kündbarkeit ist am Stichtag für noch 5 Jahre ausgeschlossen. Die Forderung muss für Zwecke der Erbschaftsteuer bewertet werden. Da die Forderung extrem niedrig (unter 3 %) verzinst ist und die Kündbarkeit für mindestens vier Jahre (ab dem Bewertungsstichtag) ausgeschlossen ist, wird die Forderung abweichend vom Nennwert bewertet, § 12 Abs. 1 und Abs. 3 BewG, Erlass vom 09.09.2022, BStBl I S. 1351, , Tz II 1.2.2 und 3.2. Die zum Grenzzinssatz von 3 % fehlende Verzinsung beträgt 1 % (3 % abzüglich 2 %). Dies entspricht auf den Nennwert der Forderung bezogen einen „Zinsverlust“ von jährlich 100 €. Diesen „Verlust“ erleidet der Anleger bis zum Ende der Laufzeit, also noch 5 Jahre. Der Betrag von 100 € wird daher auf 5 Jahre kapitalisiert. Dabei ist von einem Zinssatz von 5,5 % auszugehen. Die entsprechenden Vervielfältiger ergeben sich aus den Tabellen im Erlass vom 09.09.2022 (insbesondere Tabellen 1 und 2). Diesen Tabellen wurde der Zinssatz von 5,5 % zugrunde gelegt (entsprechend § 12 Abs. 3 BewG). Aus Tabelle 2 ergibt sich ein Vervielfältiger von 4,388 bei einer Laufzeit von 5 Jahren.
Die jährliche Zinsdifferenz von 100 € kapitalisiert auf 5 Jahre ergibt einen Abweichungsbetrag von 438,80 € (100 € x 4,388). Die Forderung von 10.000 € ist damit um die Zinsdifferenz von 438,80 € zu kürzen, wodurch sich ein Gegenwartswert von 9.561,20 € ergibt.
Liegt die Abweichung in einer besonders hohen Verzinsung (über 9 %) erhöht sich der Wert der Forderung, bzw. Schuld um den entsprechenden, kapitalisierten Zinsbetrag, der über dem Grenzzinssatz von 9 % liegt.
3. Forderungen und Schulden, die unverzinst sind und deren Kündbarkeit mehr als ein Jahr (bezogen auf den Bewertungsstichtag) ausgeschlossen ist, werden abweichend vom Nennwert bewertet.
Im Wesentlichen werden zwei Fälle unterschieden:
a) Die Forderung/ Schuld ist am Ende der Laufzeit in einem Betrag fällig.
Die Forderung/ Schuld wird abweichend vom Nennwert bewertet und ist entsprechend § 12 Abs. 3 BewG abzuzinsen. Dabei ist die Tabelle 1 (Erlass vom 09.09.2022) anzuwenden.
Beispiel
Der Erblasser hatte eine unverzinsliche Schuld in Höhe von 10.000 €, die drei Jahre nach dem Bewertungsstichtag in einem Betrag fällig ist.
Die Schuld ist als Nachlassverbindlichkeit § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG abzugsfähig und nach § 10 Abs. 1 Satz 2 ErbStG in Verbindung mit § 12 Abs. 1 ErbStG nach den allgemeinen Bewertungsvorschriften zu bewerten. Nach § 12 Abs. 1 BewG erfolgt die Bewertung grundsätzlich mit dem Nennwert. Da jedoch die Schuld unverzinst ist und die Kündbarkeit für mehr als ein Jahr ausgeschlossen ist, wird die Schuld abweichend vom Nennwert angesetzt. Der Gegenwartswert der Schuld ermittelt sich durch Anwendung des Vervielfältigers aus Tabelle 1 für die Restlaufzeit von drei Jahren (0,852) auf den Nennwert der Schuld.
10.000 € x 0,852 = 8.520 €
Wenn die Restlaufzeit keine vollen Jahre beträgt, muss der Vervielfältiger aus Tabelle 1 durch Interpolation ermittelt werden. Dabei wird eine taggenaue Berechnung durchgeführt.
Beispiel
Die unverzinste Schuld des Erblassers (10.000 €) ist in einem Betrag nach 4 Jahren 3 Monaten und 15 Tagen fällig.
Volle Monate werden dabei mit 30 Tagen (banktechnisch) angesetzt. Demnach ist die Schuld in 4 Jahren und 105 Tagen fällig. Aus der Tabelle 1 wird nun der Zwischenwert zwischen 4 und 5 Jahren für die 105 Tage wie folgt errechnet:
Vervielfältiger für 4 Jahre | 0,807 |
Vervielfältiger für 5 Jahre | 0,765 |
Differenz | 0,042 |
Davon 105/360 | 0,012 |
Vervielfältiger für 4 Jahre 105 Tage: 0,807 – 0,012 = | 0,795 |
Gegenwartswert: 10.000 € x 0,795 = | 7.950 € |
b) Die Forderung/ Schuld wird in gleich bleibenden Raten getilgt.
Die Forderung/ Schuld wird abweichend vom Nennwert bewertet, § 12 Abs. 1 und Abs. 3 BewG. Dabei ist insbesondere die Tabelle 2 (Erlass vom 09.09.2022) anzuwenden.
Beispiel
Der Erblasser hatte eine unverzinsliche Forderung, die in gleich bleibenden Jahresraten in Höhe von 5.000 € getilgt wird. Am Stichtag besteht noch eine Restlaufzeit von 5 Jahren.
Die Forderung ist für Zwecke der Erbschaftsteuer zu bewerten, § 12 Abs. 1 ErbStG, § 12 Abs. 1 und Abs. 3 BewG, jedoch abweichend vom Nennwert, da die Forderung unverzinst ist und die Restlaufzeit noch mehr als ein Jahr beträgt. Die Berechnung des Gegenwartswertes erfolgt mittels Tabelle 2 (Vervielfältiger für 5 Jahre 4,388 angewendet auf den Jahreswert). Der Jahreswert beträgt 5.000 € (jährlich zu zahlende Rate). Der Gegenwartswert ergibt 5.000 € x 4,388 = 21.940 €.
Auch hierbei kann eine Interpolation erforderlich werden, wenn die Restlaufzeit keine vollen Jahre beträgt. Ferner kann es auch eine tilgungsfreie Zeit zu Beginn der Laufzeit geben (Aufschubzeit), wenn die Zahlungen erst zu einem späteren Zeitpunkt vertraglich beginnen sollen.
Die Aufschubzeit und die Tilgungszeit werden dabei stets in vollen Zahlungsperioden ausgedrückt. Dies soll zu einer Vereinfachung bei der Interpolierung führen. Zahlungsperiode ist der Zeitraum, für den eine Zahlung (Tilgung) geleistet wird. Die Berechnung der Laufzeiten erfolgt immer bezogen auf den Bewertungsstichtag als Ausgangstag.
Beispiel
Der Erblasser hatte eine unverzinsliche Schuld in Höhe von 100.000 €. Die Schuld ist in gleich hohen vierteljährlichen Raten je 10.000 € zu tilgen. Die erste Rate ist am 15.02.24 fällig. Bewertungsstichtag (Todestag) ist der 01.10.22.
Zahlungsperiode: 1 Quartal (Zeitraum von drei Monaten)
Aufschubzeit: 01.10.22 bis 31.12.23 (1 Jahr 3 Monate, bzw. 5 tilgungsfreie Zahlungsperioden/ Quartale)
Tilgungszeit: 01.01.24 bis 30.06.26 (2 Jahre 6 Monate, bzw. 10 Zahlungsperioden/ Quartale zu je 10.000 €)
Jahreswert: 4 Raten pro Jahr zu je 10.000 € = 40.000 €
Die Berechnung kann nun auf zwei verschiedenen Wegen erfolgen. Rechnerisch können sich durch Rundungen bei den Vervielfältigern geringfügige Differenzen ergeben.
1. Berechnungsmethode: Die Berechnung erfolgt mittels Tabelle 2 für die Tilgungszeit. Das Ergebnis wird mittels Tabelle 1 für die Aufschubzeit abgezinst. Diese Berechnung entspricht der Verfahrensweise wie im Erlass vom 09.09.2022. Dieser Methode liegt der Gedanke zugrunde, dass zunächst die Forderung/ Schuld auf den Beginn der Tilgungszeit berechnet wird und das Ergebnis wie eine in einem Betrag fällige Forderung/ Schuld auf den Stichtag abgezinst wird.
Vervielfältiger für 2 Jahre (Tabelle 2) | 1,897 |
Vervielfältiger für 3 Jahre (Tabelle 2) | 2,772 |
Differenz | 0,875 |
Davon 6/12 | 0,438 |
Vervielfältiger für 2 Jahre 6 Monate: 1,897 + 0,438 = | 2,335 |
Vervielfältiger für 1 Jahr (Tabelle 1) | 0,948 |
Vervielfältiger für 2 Jahre (Tabelle 1) | 0,898 |
Differenz 0,05 x 3/12 = | 0,012 |
Vervielfältiger für 1 Jahr 3 Monate: 0,948 – 0,012 = | 0,936 |
Gegenwartswert: Jahreswert 40.000 € x 2,335 x 0,936 = | 87.422 € |
2. Berechnungsmethode: Die Berechnung kann alternativ auch nur mittels Tabelle 2 (Erlass vom 09.09.2022) erfolgen. Dazu wird der Vervielfältiger für die gesamte Laufzeit (3 Jahre und 9 Monate) um den Vervielfältiger für die Aufschubzeit (1 Jahr und 3 Monate) gekürzt. Dieser Berechnung liegt der Gedanke zugrunde, dass der Tabellenwert für die „hinteren“ Jahre der Laufzeit herangezogen wird.
Vervielfältiger für 3 Jahre (Tabelle 2) | 2,772 |
Vervielfältiger für 4 Jahre (Tabelle 2) | 3,602 |
Differenz | 0,830 |
Davon 9/12 | 0,622 |
Vervielfältiger für 3 Jahre 9 Monate: 2,772 + 0,622 = | 3,394 |
Vervielfältiger für 1 Jahr (Tabelle 2) | 0,974 |
Vervielfältiger für 2 Jahre (Tabelle 2) | 1,897 |
Differenz | 0,923 |
Davon 3/12 | 0,231 |
Vervielfältiger für 1 Jahr 3 Monate: 0,974 + 0,231 = | 1,205 |
Gegenwartswert: Jahreswert 40.000 € x (3,394 – 1,205) = | 87.560 € |
4. Stille Beteiligungen: Typisch stille Beteiligungen werden ggf. abweichend vom Nennwert nach § 12 Abs. 1 BewG bewertet. Auch die typisch stille Beteiligung stellt eine Kapitalforderung dar. Die atypisch stille Beteiligung ist ein Anteil am Betriebsvermögen und wird demnach entsprechend als Betriebsvermögen bewertet. Für die Bewertung einer typisch stillen Beteiligung gibt R B 12.4 ErbStR das Bewertungsverfahren vor. Danach wird vom Nennwert abgewichen, wenn der Durchschnittsertrag (ermittelt aus den letzten drei vor dem Bewertungsstichtag abgelaufenen Wirtschaftsjahren) unter 3%, bzw. über 9% liegt und die Kündbarkeit für längere Zeit (das heißt für mehr als 5 Jahre) ausgeschlossen ist. Die Höhe der Abweichung ergibt sich aus dem fünffachen Unterschiedsbetrag der durchschnittlichen Verzinsung und dem Grenzzinssatz von 3%, bzw. 9%.
Beispiel
Nennwert der Einlage | 50.000 € |
Durchschnittsertrag der letzten drei vor dem Stichtag abgelaufenen Wirtschaftsjahre | 8.500 € |
Dadurch ergibt sich eine durchschnittliche Verzinsung der Einlage von (8.500 €/50.000 €) | 17 % |
Abweichung vom Nennwert: 17 % - Grenzzinssatz 9 | 8 % |
x 5 | 40 % |
Ansatz der typisch stillen Beteiligung 140 % von 50.000 € = | 70.000 € |