von Florian Solich - Steuerberater, Master of Arts (Taxation), M.A.
Leitsatz
Soweit die Einnahmen einer Holdingkapitalgesellschaft ausschließlich aus nach § 8b Abs. 1 KStG (weitgehend) steuerfreien Beteiligungseinkünften bestehen, ist bei ihr eine zwangsläufige Überzahlersituation aufgrund der „Art der Geschäfte“ dauerhaft gegeben.
Sieht die Satzung einer Holdingkapitalgesellschaft vor, dass die Gesellschaft auch eine weitere Geschäftstätigkeit entfalten darf, mit der sie die Überzahlersituation vermeiden könnte, kommt es nicht darauf an, wenn die Gesellschaft von dieser Möglichkeit tatsächlich dauerhaft keinen Gebrauch macht und nach ihrer Struktur auch nicht dazu in der Lage wäre, eine solche weitere Geschäftstätigkeit auszuüben. Dasselbe gilt, wenn die Gesellschaft von der Ermächtigung zwar Gebrauch macht, dabei aber nicht am Markt tätig wird und wenn sie ohne vorherige Änderung ihrer Struktur nicht in der Lage wäre, die entfaltete Tätigkeit mit Gewinn am Markt anzubieten.
Der Dauerhaftigkeit einer solchen Situation steht nicht entgegen, dass die Gesellschaft ihre Struktur ändern könnte.
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 15.03.2021, 7 K 1827/18 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin und Revisionsbeklagte (A) eine Freistellungsbescheinigung i. S. d. § 44a Abs. 5 S. 4 EStG beanspruchen kann.
A ist eine GmbH. Gegenstand des Unternehmens ist neben dem Halten und Verwalten eigenen Vermögens auch die Beratung von Unternehmen (ohne Rechts- und Steuerberatung). Die Klägerin ist zu 100 % an der XY GmbH beteiligt. Weitere Beteiligungen hat A nicht.
Aus der bestehenden Beteiligung erzielt A jährliche Ausschüttungen. Die Beratungsleistungen dienen dazu, dass jährliche Ausschüttungsvolumen ihrer Tochtergesellschaft zu erhöhen. Da A über kein eigenes Personal verfügt, kauft sie die Beratungsleistungen ein und stellt sie der Tochtergesellschaft weitgehend kostendeckend zur Verfügung.
Die festgesetzte Körperschaftsteuer war in der Vergangenheit niedriger als die anzurechnende Kapitalertragssteuer.
Mit Schreiben vom 11.10.2016 beantragte A eine Freistellungsbescheinigung (§ 44a Abs. 5 S. 4 EStG) mit Gültigkeit ab 01.01.2016.
Das Finanzamt lehnte den Antrag ab. A erhob Einspruch, welcher aber erfolglos war. A ging daraufhin in das Klageverfahren. Die Klage hatte aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2021, 759 veröffentlichten Gründen Erfolg.
Mit seiner Revision rügte das Finanzamt die Verletzung von § 44a Abs. 5 S. 1 EStG. Das Finanzgericht habe die Vorschriften fehlerhaft ausgelegt, indem es auf die tatsächliche von der Klägerin ausgeübten Tätigkeit abgestellt habe und nicht darauf, dass A nach der Satzung Beratungsleistungen erbringen dürfte.
Das Finanzamt beantragt deshalb das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
A beantragt die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen. Die Revision sei deshalb unzulässig, da das Finanzamt nicht ausreichend darlegte, woraus sich die Verletzung materiellen Rechts durch die Entscheidung des Finanzgerichts ergibt. Das Finanzgericht habe immerhin richtigerweise entschieden, dass die Voraussetzungen des § 44a Abs. 5 S. 1 EStG erfüllt sind und daher eine Freistellungsbescheinigung ausgestellt werden kann.
Vertiefung
§ 44a Abs. 5 S. 1 EStG
Bei Kapitalerträgen i. S. d. § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 5 - 7, Nr. 8 - 12 sowie S. 2, die einem unbeschränkt (…) einkommensteuerpflichtigen Gläubiger zufließen, ist der Steuerabzug nicht vorzunehmen, wenn die Kapitalerträge Betriebseinnahmen des Gläubigers sind und die Kapitalertragssteuer bei ihm auf Grund der Art seiner Geschäfte auf Dauer höher wäre als die gesamte festzusetzende Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Finanzamts ist zulässig. Das Finanzamt macht dabei geltend, dass das Finanzgericht den Tatbestand „auf Grund der Art seiner Geschäfte“ fehlerhaft ausgelegt hatte (sog. Rechtsanwendungsfehler).
Die Revision ist aber unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO), denn das Finanzgericht hat rechtsfehlerfrei erkannt, dass A einen Anspruch auf Erteilung einer Freistellungsbescheinigung gem. § 44a Abs. 5 S. 4 EStG hat.
Zwischen den Gesellschaften ist es unstrittig, dass die Ausschüttungen der Tochtergesellschaft bei A als Betriebseinnahmen zu erfassen sind. Das Finanzgericht hat dazu festgestellt, dass A‘s Kapitalertragssteuer in der Vergangenheit stets höher war als die festgesetzte Körperschaftsteuer.
Strittig ist daher allein die Beurteilung, ob die Überzahlersituation seine Ursache in der von A geführten „Art der Geschäfte“ hatte und ob die Situation damit auf Dauer besteht.
Hinweis
Der BFH hat § 44a Abs. 5 S. 4 EStG bisher restriktiv ausgelegt. Die Überzahlersituation muss danach aus der Geschäftsstruktur hervorgehen (vgl. u. a. BFH-Urteil vom 27.08.1997, I R 22/97, BFHE S. 184, 334, BStBl. II 1997, S. 817; BFH-Urteil vom 29.03.2020, I R 32/99, BFHE S. 192, 59, BStBl. II 2000, S. 496; Verweis auf BT-Drucks. 12/2501, S. 20).
Die Geschäftstätigkeit muss so geprägt sein, dass ein wirtschaftlich besseres Ergebnis zwangsläufig nicht erzielt werden kann.
Wäre es dem Steuerpflichtigen tatsächlich und nach seinem satzungsmäßigen Unternehmensgegensand möglich, die Überzahlersituation abzuwenden, gilt dies nicht als strukturell bedingt (BFH-Urteil vom 27.08.1997, I R 22/97, BFHE S. 184, 334, BStBl. II 1997, S. 817; BFH-Urteil vom 29.03.2020, I R 32/99, BFHE S. 192, 59, BStBl. II 2000, S. 496).
Der BFH hat deshalb einen Anspruch auf die Freistellungsbescheinigung ausgeschlossen, wenn die Überzahlersituation nicht auf die „Art der Geschäfte“ zurückzuführen war, sondern nur auf die Art und Weise, wie diese Geschäfte ausgeübt wurden (BFH-Urteil vom 27.08.1997, I R 22/97, BFHE S. 184, 334, BStBl. II 1997, S. 817).
Die Überzahlersituation liegt dauerhaft vor, wenn ihr Ende auf einen noch nicht feststehenden und nicht absehbaren Zeitpunkt fällt (BFH-Urteil vom 20.12.1995, I R 118/94, BFHE S. 179, 396, BStBl. II 1996, S. 199).
Der Senat schließt sich der bisherigen BFH-Rechtsprechung an. Soweit die Einnahmen einer Holdingkapitalgesellschaft ausschließlich nach § 8b Abs. 1 KStG überwiegend steuerfrei sind, ist auf Ebene der Holdinggesellschaft zwangsläufig eine Überzahlerstruktur durch die „Art der Geschäfte“ dauerhaft gegeben, denn gemäß § 43 Abs. 1 S. 3 EStG ist § 8b Abs. 1 KStG beim Kapitalertragssteuerabzug nicht zu berücksichtigen. Die überwiegende Steuerfreiheit von Beteiligungserträgen wird erst durch die Anrechnung der einbehaltenen und abgeführten Kapitalertragssteuer bewirkt.
Fazit
Nach diesen Maßstäben hat das Finanzgericht richtigerweise erkannt, dass A eine Bescheinigung i. S. d. § 44a Abs. 5 S. 4 EStG auszustellen ist.
A ist zwar keine reine Holdingkapitalgesellschaft, da die Satzung neben dem Halten und Verwalten eigener Beteiligungen auch die Erbringung von Beratungsleistungen vorsieht und diese auch erbringt. Auf Grundlage der tatsächlichen Feststellungen konnte das Finanzgericht rechtsfehlerfrei würdigen, dass die Voraussetzungen des § 44a Abs. 5 S. 1 EStG dennoch erfüllt sind.
Zum einen bietet A die Beratungsleistungen nicht für jedermann an, sondern berät ausschließlich die Tochtergesellschaft. Zum anderen ist sie durch fehlendes Personal auch nicht dafür ausgestattet, Beratungsleistungen mit Gewinn frei am Markt anbieten zu können.
Dadurch beruht die Überzahlersituation auch nicht auf der „Art der Geschäfte“ und nicht auf der Art und Weise, wie A seine Geschäfte erbringt.
Ob A für die von ihr eingekauften Beratungsleistungen von der Tochtergesellschaft auch einen höheren Preis als den Einkaufspreis hätte verlangen können, ist unerheblich. Ein solch fremdüblicher Preis (i. w. S.) wäre am Markt realisierbar gewesen. Ein Dritter hätte in einem solchen Fall ohne Zwischenschaltung der A als Vermittler die Beratungsleistungen selbst in Auftrag gegeben.
Rechtmäßig hat das Finanzgericht anerkannt, dass die Überzahlersituation von A auch dauerhaft besteht. Das Finanzgericht sah keine Anhaltspunkte, dass sich an der bisherigen Unternehmens- und Gesellschaftsstruktur in absehbarer Zeit eine Änderung ergeben kann. Daraus hat das Finanzgericht auf die Dauerhaftigkeit der Unternehmenssituation geschlossen.
Quelle:
- BFH-Urteil vom 12.12.2023, VIII R 31/21