Florian Solich - Steuerberater, Master of Arts (Taxation), M.A.
Leitsatz
Im Fall der teilentgeltlichen Übertragung von Wirtschaftsgütern erfolgt für Zwecke der Ermittlung des Gewinns aus einem privaten Veräußerungsgeschäft eine Aufteilung in einen voll entgeltlichen und einen voll unentgeltlichen Teil nach dem Verhältnis der Gegenleistung zum Verkehrswert des übertragenen Wirtschaftsguts. Dies gilt auch bei einem unter den Anschaffungskosten liegenden Entgelt.
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 29.05.2024, 3 K 36/24 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Tatbestand
Streitpunkt zwischen den Parteien ist, ob bei einer teilentgeltlichen Übertragung i. R. d. § 23 EStG ein privates Veräußerungsgeschäft vorliegt.
A (Kläger und Revisionsbeklagte) erwarb 2014 ein bebautes Grundstück für 143.950 EUR. Das Grundstück wurde vermietet und war teilweise fremdfinanziert.
Im März 2019 übertrag A die Immobilie (Verkehrswert: 210.000 EUR) auf seine Tochter (B). Das Bankdarlehen hatte zu diesem Zeitpunkt noch eine Restschuld von 115.000 EUR. B übernahm die Bankverbindlichkeit im Rahmen der Übertragung und finanzierte diese neu. A leistete dafür eine Vorfälligkeitsentscheidung i. H. v. 4.000 EUR.
Im Wege der Veranlagung 2019 erfasste das Finanzamt (Beklagte und Revisionskläger) den Vorgang als privates Veräußerungsgeschäft (§ 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG). Die Übertragung sei nach Maßgabe des Verkehrswerts und der von B übernommenen Bankverbindlichkeit in einen unentgeltlichen und einen entgeltlichen Vorgang aufzuteilen. Soweit die Übertragung entgeltlich erfolgt sei, liegt auch eine private Veräußerung vor.
in EUR | in % | |
Verkehrswert | 210.000 | 100,00 |
Entgeltlicher Teil | 115.000 | 54,76 |
Unentgeltlicher Teil | 95.000 | 45,24 |
Veräußerungserlös | 115.000 | |
Anschaffungskosten | - 78.828 | |
Absetzung für Abnutzung 2014 - 2019 | + 6.672 | |
Vorfälligkeitsentschädigung | - 2.191 | |
Veräußerungsgewinn | 40.653 |
Der Steuerbescheid 2019 wurde am 03.03.2021 erlassen. Am 06.05.2021 und 09.11.2021 ergingen jeweils ein aus nicht strittigen Gründen geänderte Steuerbescheid. Der gegen die Erfassung des privaten Veräußerungsgeschäfts eingelegte Einspruch blieb erfolglos.
Das Finanzgericht gab der Klage mit Urteil vom 29.05.2024, 3 K 36/24 statt. Begründet wurde die Klage damit, dass bei teilentgeltlicher Übertragung einer Immobilie unterhalb der historischen Anschaffungskosten keine Veräußerungen i. S. d. § 23 EStG ist. Zwar führe die Übernahme von Verbindlichkeiten durch den Erwerber zu Anschaffungskosten, im Wege der teleologischen Reduktion sei die teilentgeltliche Übertragung im Wege der vorweggenommenen Erbfolge aus dem Tatbestand des § 23 EStG auszuscheiden. Bei Übertragungen unter den historischen Anschaffungskosten komme es zu keinem realisierten Wertzuwachs, der einer Besteuerung zugänglich sei. Anderenfalls unterliege ein fiktiver steuerlicher Ertrag aus einem Vermögenstransfer im Wege der vorweggenommenen Erbfolge ohne positiven Cashflow beim Übertragenden der Ertragsbesteuerung. In Folge wird A ein Gewinn zugerechnet, ohne dass ihm im Gegenzug entsprechende Finanzmittel zugeflossen sind.
Mit der Revision trägt das Finanzamt vor: Die angefochtene Entscheidung stehe in Widerspruch zum Urteil des BFH vom 12.12.2023, IX R 15/23. Im Fall der teilentgeltlichen Übertragung von Wirtschaftsgütern des Privatvermögens sei eine Aufteilung in einen voll entgeltlichen und einen voll unentgeltlichen Teil nach dem Verhältnis der Gegenleistung zum Verkehrswert des Wirtschaftsguts vorzunehmen. Die Anschaffungskosten seien dann entsprechend der Entgeltlichkeitsquote aufzuteilen.
Ferner sei durch die Übernahme einer Verbindlichkeit von B eine Gegenleistung bzw. ein Entgelt gegeben. Insoweit liegt A ein Wertzuwachs vor, der die steuerliche Leistungsfähigkeit erhöhe. Die vom Finanzgericht angewandte modifizierte Trennungstheorie widerspreche § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 23 Abs. 1 S. 3 und § 23 Abs. 3 S. 1 EStG.
Die Streitparteien stellten im Verfahren folgende Anträge:
- Das Finanzamt beantragt das Urteil des Finanzgerichts vom 29.05.2024, 3 K 36/24 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
- A beantragt die Revision zurückzuweisen.
A hält dabei an seiner Ansicht fest, dass in Fällen, in denen der Veräußerungserlös unterhalb der historischen Anschaffungskosten liegt, kein Wertzuwachs und damit kein Veräußerungsgewinn erzielt werde. Sein Vermögen habe sich auch nicht erhöht, sondern unter Ansatz des Verkehrswerts um 95.000 EUR (= 210.000 EUR - 115.000 EUR) vermindert. Zudem hätte weder er noch seine Tochter B durch die Übernahme der Verbindlichkeit eine Kaufpreiszahlung gesehen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 FGO).
Das Finanzgericht hat rechtsfehlerhaft das Vorliegen eines Gewinns aus privaten Veräußerungsgeschäften (§ 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG) verneint. Damit liegt eine Verletzung des Bundesrechts vor. Das Urteil ist daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Durch die Übertragung ist A im Streitjahr ein Fall des § 22 Nr. 2 i. V. m. § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG zuzurechnen.
Als Anschaffung und Veräußerung gelten im Regelfall der entgeltliche Erwerb und die entgeltliche Übertragung eines Wirtschaftsgutes auf eine andere Person aufgefasst (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 23.07.2019, IX R 28/18, BFHE 265, 258, BStBl. II 2019, S. 701, Rz. 18, m. w. N.). Die Übernahme von Schulden gilt als entgeltliche Gegenleistung (Senatsurteil vom 03.09.2019, IX R 8/18, BFHE 266, 173, BStBl. II 2020, S. 122, Rz. 14., m. w. N.).
Der Kläger hat das Grundstück in 2014 erworben und im März 2019 und damit innerhalb der Zehnjahresfrist veräußert. Mit der Schuldübernahme durch die Tochter i. H. v. 115.000 EUR hat A auch ein Entgelt erzielt, was einen (teil-)entgeltlichen Veräußerungsvorgang darstellt.
Darüber hinaus hat A im Streitjahr einen Gewinn bzw. Verlust i. S. d. § 23 Abs. 1 EStG in Höhe des Unterschiedsbetrags aus Veräußerungspreis, Anschaffungs- oder Herstellkosten, abzgl. in Abzug gebrachte Abschreibungen, zzgl. den übrigen Werbungskosten entstanden.
Im Rahmen der teilentgeltlichen Übertragung von Wirtschaftsgütern des Privatvermögens erfolgt nach ständiger Rechtsprechung für einkommensteuerliche Zwecke eine Aufteilung in einen voll entgeltlichen und einen voll unentgeltlichen Teil nach dem Verhältnis der Gegenleistung zum Verkehrswert der übertragenen Wirtschaftsgüter (vgl. u. a. Senatsurteil vom 12.12.2023, IX R 15/23, Rz. 21). Die Anschaffungskosten werden dann nach einer Teilentgeltlichkeitsquote ermittelt.
Diese Grundsätze gelten auch für teilentgeltliche Übertragungen in den Fällen des § 23 EStG (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 12.12.2023, IX R 15/23, Rz. 22).
Eine solche Aufteilung entspricht auch dem Gesetzeswortlaut. Der Gesetzgeber definiert eindeutig in § 23 Abs. 1 S. 1 EStG und § 23 Abs. 1 S. 3 EStG eine zwingende Unterscheidung von voll entgeltlichen und voll unentgeltlichen Übertragungen. Nur der voll entgeltliche Teil gilt als veräußert.
Das daraus abzuleitende Aufteilungsgebot in einen voll entgeltlichen und einen voll unentgeltlichen Teil ist keine Besteuerung eines fiktiven Sachverhalts, sondern lediglich ein Hilfsmittel zur Beschreibung der Rechtsfolgen, die das Gesetz an den tatsächlich verwirklichten Sachverhalt knüpft (so in Bezug auf § 17 EStG und des Senatsurteils vom 12.12.2023, IX R 15/23, Rz. 22 f.).
A kann sich daher nicht darauf berufen, er habe mit der Schuldübernahme durch die Tochter im Ergebnis weniger erhalten als seine historischen Anschaffungskosten. Denn bezogen auf den entgeltlichen Teil der Übertragung von 54,76 % stehen seinen anteiligen Anschaffungskosten i. H. v. 78.828 EUR ein Entgelt von 115.000 EUR gegenüber. A hat damit auf den entgeltlichen Teil einen Wertzuwachs generiert.
Fazit
Im Urteilsfall spielt es keine Rolle, dass A und dessen Tochter B von einer insgesamt unentgeltlichen Übertragung ausgegangen sind. Laut BFH-Urteil ist für die Besteuerung auf die objektiv verwirklichten Besteuerungsmerkmale abzustellen. Subjekte Erwägungen, wie z. B. eine Spekulations- oder Überschusserzielungsabsicht sind unerheblich.
Das Finanzgericht ist bei der Ermittlung der Einkünfte aus einem privaten Veräußerungsgeschäft von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Das Urteil kann deshalb keinen Bestand haben und ist damit aufzuheben. Vielmehr ist unter Beachtung der dargestellten Grundsätze der Veräußerungsgewinn gem. § 23 Abs. 3 EStG zu ermitteln.
Daraus ergibt sich dann zutreffend der vom Finanzamt angesetzte steuerbare Veräußerungsgewinn i. H. v. 40.655 EUR.
Die Sache gilt als spruchreif. Der an der Stelle der angefochtenen Einkommensteuerbescheide 2019 vom 03.03.2021 und 06.05.2021 getretene Einkommensteuerbescheid vom 09.11.2021 erfasst die Einkünfte aus dem privaten Veräußerungsgeschäft des A.
Die Klage ist abzuweisen.
Quelle:
- BFH-Urteil vom 11.03.2025, IX R 17/24