Inhaltsverzeichnis
- Unternehmer
- Allgemein
- Steuerfähigkeit/Arten von Unternehmern
- Natürliche Personen und Gesellschaften
- Sonderfall: juristische Personen des öffentlichen Rechts
- Sonderfall: Personenzusammenschlüsse/Personengesellschaften
- Diffenzierung: Innengesellschaft/Außengesellschaft
- Gewerbliche und berufliche Tätigkeit
- Allgemeines
- Tätigkeit
- Sonderfall: Gesellschaftsrechtliche Beteiligungen
- Nachhaltigkeit
- Einnahmeerzielungsabsicht
- Selbstständige Ausübung
- Sonderfall: geschäftsführender Gesellschafter
- Beginn und Ende der Unternehmereigenschaft
- Beginn der Unternehmereigenschaft
- Ende der Unternehmereigenschaft
- Klassische Klausurfallen
- Sonderfall: Umsatzsteuerliche Organschaft
- Finanzielle Eingliederung
- Wirtschaftliche Eingliederung
- Organisatorische Eingliederung
- Fallbeispiel
Unternehmer
Allgemein
Der umsatzsteuerliche Unternehmerbegriff ist in § 2 UStG geregelt. Unternehmer ist gem. § 2 Abs. 1 S. 1 UStG, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Gewerblich oder beruflich ist gem. § 2 Abs. 1 S. 3 UStG jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn die Absicht, Gewinn zu erzielen fehlt. Die Gewerblichkeitsdefinition im UStG unterscheidet sich damit von der des EStG in § 15 Abs. 2 EStG. Eine Gewinnerzielungsabsicht ist für die Begründung der umsatzsteuerlichen Unternehmereigenschaft nicht erforderlich.
Der umsatzsteuerliche Unternehmerbegriff ist sehr weit gefasst. Unternehmer im Sinne des § 2 Abs. 1 UStG können natürliche und juristische Personen, aber auch Personenzusammenschlüsse sein.
Sie erhalten nun zunächst eine Übersicht zum Unternehmer in der Umsatzsteuer:
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Abschließend erhalten Sie eine Übersicht zu den Personenvereinigungen im folgenden Video. Unter anderem werden die konkreten Anwendungsfälle thematisiert und die Frage geklärt, wie Personenvereinigungen im Wirtschaftsleben in Erscheinung treten können.
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Gewerbliche und berufliche Tätigkeit
Allgemeines
Sie erhalten im folgenden Video eine Übersicht zur gewerblichen und beruflichen Tätigkeit. Unter anderem wird auf die Definition, historische Entwicklung und die Kriterien für die gewerbliche und berufliche Tätigkeit eingegangen:
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Unter einer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit versteht man nach § 2 Abs. 1 S. 3 UStG jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen. Eine Gewinnerzielungsabsicht ist hingegen nicht erforderlich. Damit geht der umsatzsteuerliche Gewerbebetriebsbegriff über den Begriff des Gewerbebetriebs i.S.d. § 15 Abs. 2 EStG hinaus.
Merke
Der Begriff ist für die Zwecke der Umsatzsteuer vollständig getrennt von anderen Rechtsgebieten zu betrachten.
Es sind für die Prüfung einer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit drei Tatbestandsmerkmale notwendig:
- Die Ausübung der Tätigkeit
- Die Nachhaltigkeit der Tätigkeit
- Die Absicht der Einnahmenerzielung
Tätigkeit
Tätigkeit i.S.d. Umsatzsteuergesetzes ist das Erbringen von Leistungen. Die Bewertung, ob eine Leistung vorliegt, erfolgt dabei nach wirtschaftlichen und nicht nach rein rechtlichen Maßstäben (A. 2.3 Abs. 1 S. 3 UStAE). Die Tätigkeit muss sich nach außen hin als unternehmerische Tätigkeit einordnen lassen. Entsprechend sind unternehmerische und nichtunternehmerische Tätigkeiten voneinander abzugrenzen (A. 2.3 Abs. 1a UStAE).
Sonderfall: Gesellschaftsrechtliche Beteiligungen
Das bloße Erwerben, Halten und Veräußern von gesellschaftsrechtlichen Beteiligungen ist keine unternehmerische Tätigkeit. Der Gesellschafter einer Gesellschaft ist grundsätzlich im Hinblick auf dieses Beteiligungsverhältnis kein Unternehmer (A. 2.3 Abs. 2 f. UStAE). Die bezogenen Dividenden und Gewinnbeteiligungen stellen kein Entgelt im Rahmen eines Leistungsaustausches dar. Gleichwohl kann es aber unter bestimmten Voraussetzungen auch zwischen Gesellschaft und Gesellschafter zu einem umsatzsteuerlichen Leistungsaustausch kommen.
Eine reine Holdingtätigkeit, deren Zweck sich im Halten und dem Verwalten von Beteiligungen erschöpft, ist keine Tätigkeit i.S.d. UStG und die Holding somit kein Unternehmer (A. 2.3 Abs. 3 S. 4 UStG). Eine Holding mit aktivem Eingriff in das Tagesgeschäft der Tochterunternehmen betätigt sich hingegen wirtschaftlich und ist somit Unternehmer i.S.d. § 2 Abs. 1 UStG. Entsprechend kann die Holding dann unter Umständen auch einen Vorsteuerabzug geltend machen.
Nicht unternehmerische und somit nicht wirtschaftliche Tätigkeiten sind Tätigkeiten von Vereinen basierend auf dem Vereinszweck, hoheitliche Aufgaben juristischer Personen des öffentlichen Rechts, sowie das bloße Halten, Erwerben und Veräußern von Gesellschaftsbeteiligungen.
Nachhaltigkeit
Die Prüfung der Nachhaltigkeit der Tätigkeit erfolgt anhand einer Gesamtabwägung der Umstände des Einzelfalls. Nach A. 2.3 Abs. 5 S. 4 UStAE sind folgende Kriterien als positive Merkmale für eine Nachhaltigkeit anzusehen:
- Mehrjährige Tätigkeit(en)
- Planmäßiges Handeln
- Tätigkeiten mit Wiederholungsabsicht
- Ausführungen von mehreren Umsätzen
- Beteiligung am Markt
- Unterhaltung eines Geschäftslokals
Einnahmeerzielungsabsicht
Bei der Einnahmeerzielungsabsicht kommt es darauf an, ob die Tätigkeit im Rahmen eines Leistungsaustauschs ausgeübt wird und dass dieser sodann nicht nur gelegentlich erfolgen darf. Maßgeblich ist die Nachhaltigkeit der Tätigkeit. Die Einnahmenerzielungsabsicht ist nicht mit der Gewinnerzielungsabsicht einhergehend.
Die Einnahmeerzielung muss sich auf eine Tätigkeit beziehen, die zu einem Leistungsaustausch im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 UStG führt oder eine vorbereitende Tätigkeit für einen solchen Leistungsaustausch darstellt (A. 2.6 Abs. 1 UStAE). Die Unternehmereigenschaft setzt voraus, dass Leistungen gegen Entgelt (nicht zwingend Geld) erbracht werden. Ein Gewinn muss damit nicht erzielt werden. Es ist ausreichend, wenn jemand die Tätigkeit zur Begleichung seiner Selbstkosten oder eines Teiles davon betreibt. Wird kein Entgelt zwischen den Parteien vereinbart, so ist stets zu prüfen, ob die Leistung tatsächlich unentgeltlich erfolgt.
Vorsicht
Die Umsatzsteuerbarkeit kann nicht lediglich dadurch vermieden werden, dass für eine Leistung kein Entgelt vereinbart wird. Auch hier sind stets die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen und zu prüfen, inwieweit es sich tatsächlich um eine unentgeltliche Leistung handelt.
Beispiel
Peter Müller sammelt seit Jahren hochwertige Schreibgeräte eines Luxusherstellers. Er hat eine beachtliche Sammlung an Füllfederhaltern aufgebaut. Es gelingt ihm diese nun an andere Sammler schrittweise zu verkaufen.
Die Sammlung ist dem privaten Bereich des Peter Müller zuzurechnen. Sie stellen eine Sachgesamtheit dar. Sie können Gegenstand einer oder mehrerer Lieferungen sein. Die private Vermögensumschichtung stellt auch dann keine unternehmerische Tätigkeit dar, wenn sie nachhaltig erfolgt (A. 2.3 Abs. 6 S. 2 UStAE). Etwas anderes würde nur gelten, wenn sich Peter Müller wie ein Unternehmer am Markt verhalten würde wie bspw. einzelne Stücke mit Veräußerungsabsicht erwirbt oder einen Internetshop eröffnen würde.
Beispiel
Der Student Peter organisiert in seiner Freizeit Kaninchen-Ausstellungen. Er verlangt einen Eintrittspreis von nur 1 € pro Person. Seine Kosten werden niemals durch die Einnahmen gedeckt.
Im einkommensteuerlichen Sinne handelt es sich um einen Betrieb der Liebhaberei, da keine Gewinnerzielungsabsicht besteht. Die Verluste, welche Peter erzielt, bleiben daher außer Ansatz, wenn es um die Ermittlung des zu versteuernden Einkommens geht.
Umsatzsteuerlich dagegen ist die Tätigkeit sehr wohl als selbstständig anzusehen, da die Tätigkeit auf eigene Rechnung und auf eigene Verantwortung erfolgt. Darüber hinaus ist Peter unternehmerfähig denn er führt nachhaltig Leistungen gegen Entgelt aus.
Peter übt die Tätigkeit nachhaltig aus, da zumindest die Absicht der Wiederholung besteht, hier sogar, schärfer noch, die Wiederholung selbst vollzogen wird. Darüber hinaus ist eine Einnahmeerzielungsabsicht gegeben, denn er verlangt einen Eintrittspreis von jedem Besucher. Insofern ist Peter im umsatzsteuerlichen Sinne als Unternehmer anzusehen, die einkommensteuerliche Liebhaberei der Kaninchen-Ausstellungen ist umsatzsteuerlich keine Liebhaberei, sondern eine steuerbare Tätigkeit. Er wird Umsatzsteuer abführen müssen.
Beispiel
Franziska Schulländer ist neidisch auf ihre Freundin, die ein stattliches Taschengeld erhält und sich viele schöne Kleidungsstücke kaufen kann. Sie sammelt daher im Familien- und Freundeskreis alte Spielsachen sowie Zeitschriften ein und verkauft diese an einen Altpapierhändler bzw. einen Secondhand-Spielwarenladen in der Nachbarschaft. Sie veräußert die Gegenstände dabei zu üblichen Marktpreisen.
Franziska Schulländer tritt wie ein Händler am Markt auf und übt durch den Verkauf auch eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit aus. Die Ausübung erfolgt dabei auch selbstständig, da sie das Unternehmerrisiko trägt und die Unternehmerinitiative entfaltet. Es liegt keine Weisungsgebundenheit vor. Eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit liegt vor, weil sie nachhaltig mit dem Ziel der Einnahmenerzielung tätig ist. Sie ist Unternehmerin im Sinne des § 2 Abs. 1 S. 1 UStG. Die zivilrechtliche Beschränkung der Geschäftsfähigkeit nach § 106 BGB ist für ihre Unternehmerfähigkeit nicht von Relevanz.
Selbstständige Ausübung
Weitere Voraussetzung für die Unternehmereigenschaft i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG ist, dass der Unternehmer die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbstständig ausübt. Eine Negativabgrenzung zu dem Begriff Selbständigkeit ist in § 2 Abs. 2 UStG zu finden.
Natürliche Personen sind nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 UStG dann nicht selbstständig tätig, wenn sie derart in ein Unternehmen eingegliedert sind, dass sie verpflichtet sind den Weisungen des Unternehmers Folge zu leisten. Die Prüfung erfolgt dabei nach wirtschaftlichen Aspekten und nicht nach zivilrechtlichen Ausgestaltungen. Eine Beurteilung ist anhand der Risikozurechnung und Erfolgspartizipation der jeweiligen Person vorzunehmen. Die Eingliederung durch bsp. einen Arbeitsvertrag, einer vorgegebenen Arbeitszeit, Urlaub oder Schulden der Arbeitskraft gegen Vergütung, sprechen grundsätzlich gegen eine umsatzsteuerliche Selbstständigkeit.
Natürliche Personen können sowohl selbständig, als auch nicht selbständig tätig sein.
Hinweis
Grundsätzlich führt die wirtschaftliche Abhängigkeit von einem Arbeitgeber jedoch nicht zwangsläufig zum Ausschluss der Unternehmerstellung im Sinne des § 2 Abs. 1 UStG. Es kommt immer auf das Gesamtbild der Verhältnisse an. Die Merkmale, die für oder gegen eine Unternehmerstellung sprechen, sind für den Einzelfall gegeneinander abzuwiegen und individuell zu gewichten (A. 2.2 Abs. 1 S. 4-6 UStAE).
Beispiel
Der selbstständige LKW-Fahrer Josef Stahlhauer führt für die Stadtwerke Wermelskirchen Klärschlammtransporte durch. Neben den gesetzlichen Bestimmungen ist er verpflichtet, die Auflagen der Stadtwerke bezüglich der Sicherheitsbestimmungen und Maßnahmen zum Qualitätserhalt durchzuführen. die Zeiten der Abholung und Ankunft werden durch die Stadtwerke vorgegeben.
Josef Stahlhammer schuldet den Stadtwerken nicht seine Arbeitsleistung, sondern die Transportleistung (§ 1 Abs. 3 LStDV). Er ist selbstständig tätig. Die Auflagen bezüglich der Sicherheit und der Lieferzeiten sind kein hinreichendes Indiz, um ein Arbeitnehmerverhältnis zu begründen (R 19 LStR).
Sonderfall: geschäftsführender Gesellschafter
Die Frage, ob ein Gesellschafter-Geschäftsführer als selbständig i.S.d. UStG und damit als eigenständiger Unternehmer anzusehen oder ob er aufgrund einer Eingliederung in das Unternehmen unselbständig ist, ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu prüfen.
Bei natürlichen Personen kommt es stets darauf an, ob der Geschäftsführer aufgrund eines gesonderten Anstellungsvertrags (bsp. Arbeitsvertrag) tätig wird oder nicht. Zu prüfen ist dann, ob sich daraus eine Weisungsgebundenheit ergibt.
Zivilrechtlich hat der Geschäftsführer eine Doppelstellung. Er ist einerseits Organ der Gesellschaft (Organschaftsverhältnis), andererseits kann er auch als Angestellter der Gesellschaft tätig sein (Angestelltenverhälntis). Beide Rechtsverhältnisse sind zu trennen. Für die umsatzsteuerliche Prüfung ist stets die Ausgestaltung des Innenverhältnises (Angestelltenverhältnis) relevant.
Im Personengesellschaftsrecht gilt der Grundsatz der Selbstorganschaft. Dieser besagt, dass die Vertretung der Gesellschaft nach außen grundsätzlich von den Gesellschaftern selbst aufgrund ihrer Gesellschafterstellung erfolgt. (Gesellschafter-)Geschäftsführer einer Personengesellschaft können diese Tätigkeit sowohl selbständig, als auch weisungsgebunden ausüben. Maßgeblich sind die konkreten Umstände des Einzelfalls.
Für Kapitalgesellschaften gilt der Grundsatz der Fremdorganschaft. Dieses Prinzip besagt, dass bei einer Kapitalgesellschaft die Vertretungsbefugnisse nach außen von einem gesonderten Organ wahrgenommen werden müssen. Geschäftsführer kann damit eine dritte Person, aber auch ein Gesellschafter sein. Wird der Gesellschafter tätig, so geschieht dies jedoch nicht aufgrund seiner Gesellschafterstellung, sondern wegen der Bestellung als Organ. (Gesellschafter-)Geschäftsführer einer Kapitalgesellschaft können i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 1 UStG selbstständig tätig sein, wenn sie keinen Weisung unterliegen. Werden sie jedoch aufgrund eines „klassischen“ Arbeitsvertrags tätig, so gilt die Weisungsgebundenheit regelmäßig als gegeben.
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Vorsicht
Einen Sonderfall stellt die Geschäftsführertätigkeit einer Kapitalgesellschaft dar. Häufigster Praxisfall ist hierbei die GmbH & Co. KG. In diesen Fällen übernimmt die GmbH als Komplementär (aufgrund ihrer handelsrechtlichen Verpflichtung) die Geschäftsführertätigkeit für die KG. Ob die GmbH in diesem Fall selbständig oder unselbständig tätig wird, bestimmt sich danach, ob sie in das Unternehmen der KG eingegliedert ist und somit eine Weisungsbefugnis besteht. Die Eingliederungsvoraussetzungen richten sich nach den Voraussetzungen der umsatzsteuerlichen Organschaft (s.u.) (A. 2.2 Abs. 6 UStAE).
Beginn und Ende der Unternehmereigenschaft
In diesem Kapitel behandeln wir den Beginn und das Ende der Unternehmereigenschaft und betrachten dieses Thema im folgenden Lernvideo.
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Beginn der Unternehmereigenschaft
Die Unternehmereigenschaft beginnt schon mit den vorbereitenden Handlungen für die entgeltliche Tätigkeit. Der Vorsteuerabzug kann in dem Voranmeldezeitraum erfasst werden, in dem die Rechnung dem Unternehmer zugeht, sofern die Voraussetzungen nach § 15 UStG vorliegen. Voraussetzung ist, dass
- die spätere Ausführung entgeltlicher Leistungen beabsichtigt ist (Verwendungsabsicht) und
- die Ernsthaftigkeit dieser Absicht erkennbar ist und
- glaubhaft gemacht werden kann.
Wenn der Unternehmer später keine erfolgreiche Einnahmenerzielungsabsicht realisieren kann, dann sind die Vorsteuerabzüge auch weiterhin zu akzeptieren und müssen nicht rückgängig gemacht werden (A. 2.6 Abs. 1 Satz 2 UStAE).
Hinweis
Vgl. dazu auch A. 2.6. UStAE.
Bei einer Kapitalgesellschaft kommt es für die Beurteilung des Beginns der Unternehmereigenschaft ebenfalls auf eine Prognoseentscheidung an. Auch Kapitalgesellschaften in Gründung können Unternehmer sein. Zu unterscheiden sind hierbei die verschiedenen zivilrechtlichen Gründungsstadien:
- die Vorgründungsgesellschaft,
- die Vorgesellschaft und
- die zivilrechtlich entstandene Kapitalgesellschaft nach der Eintragung in das Handelsregister.
Eine Vorgründungsgesellschaft ist als Unternehmer anzusehen, sofern sie Vermögensgegenstände für die spätere Übertragung auf die Kapitalgesellschaft erwirbt. Die Umsätze der späteren Kapitalgesellschaft werden dann für den Zweck der Einnahmeerzielung der Vorgründungsgesellschaft zugerechnet, da die Übertragung auf die Kapitalgesellschaft eine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung im Ganzen nach § 1 Abs. 1a UStG darstellt. Mit dem BMF-Schreiben vom 12.04.2022 erklärt die Finanzverwaltung die BFH Rechtsprechung vom 11.11.2015 und die einhergende EuGH-Rechtsprechung nach langer Rechtsunsicherheit für anwendbar. Es wird im UStAE unter 15.2b ein Abs. 4 eingeführt, danach wird den grds. nichtunternehmerischen Gesellschaften (Vorgründungsgesellschaften) unter bestimmten Umständen der Vorsteuerabzug gewährt. Maßgebend sind insoweit die beabsichtigten Umsätze der Kapitalgesellschaft. Bei Übertragungen außerhalb eines Leistungsaustausches besteht das Recht auf Vorsteuerabzug, wenn es sich bei der bezogenen Leistung aus Sicht der (geplanten) Gesellschaft um einen Investitionsumsatz handelt und die Gesellschaft grundsätzlich vorsteuerabzugsberechtigt ist. Als Investitionsumsatz können sowohl Lieferungen als auch sonstige Leistungen zählen.
Die Vorgesellschaft besteht im Zeitraum zwischen dem Abschluss des notariellen Vertrags und der Eintragung in das Handelsregister. Die Vorgesellschaft ist nach den Maßstäben der späteren Kapitalgesellschaft zu beurteilen und erlangt somit mit dem notariellen Vertragsschluss die Unternehmereigenschaft. Die Vorgesellschaft führt hierdurch eine nach außen gerichtete Tätigkeit aus und kann die Absicht der entgeltlichen Leistungserbringung nachweisen (A. 2.6 Abs. 1 Satz 1 UStAE). Die Vorgesellschaft kann für die Aufwendungen der Gesellschaftsgründung bereits den Vorsteuerabzug nach § 15 UStG geltend machen, da die Leistungen der späteren Tätigkeit entgeltlichen Leistungserbringungen zuzurechnen sind und nicht den gesellschaftsrechtlichen Vorgängen im Rahmen der Gründung. Die Notarrechnung für den Gesellschaftsvertrag kann bereits von der Vorgesellschaft für den Vorsteuerabzug verwendet werden.
Bei einer Personengesellschaft entsteht die Gesellschaft bereits mit dem Abschluss des Gesellschaftsvertrags. Die erste, auf eine Unternehmertätigkeit nach außen gerichtete, Tätigkeit stellt damit den Beginn der Unternehmereigenschaft nach § 2 Abs. 1 UStG dar (A. 2.6 Abs. 1 UStAE).
Ende der Unternehmereigenschaft
Die Unternehmereigenschaft endet mit dem letzten Tätigwerden des Unternehmers. Das letzte Tätigwerden kann auch in der Abmeldung des Gewerbebetriebs liegen. Die Veräußerung von Gegenständen des Betriebsvermögens gehört noch zur Tätigkeit des Unternehmers. Die Vorsteuer für Leistungen, die im Rahmen des Unternehmerns bezogen worden sind, können noch geltend gemacht werden, wenn die Rechnungstellung erst nach Beendigung der unternehmerischen Tätigkeit erfolgt. Die Unternehmereigenschaft erlischt mit der Beseitigung aller Rechtsbeziehungen (A. 2.6 Abs. 6 Satz 6 UStAE).
Bei einer Personengesellschaft führen die zivilrechtlichen Bestimmungen zur Beendigung einer Personengesellschaft nicht zum Ende der umsatzsteuerrechtlichen Unternehmerschaft, die ebenfalls erst nach der Beseitigung aller Rechtsbeziehungen endet. Zu den entsprechenden Beziehungen zählen auch die Beziehungen zur Finanzverwaltung (A. 2.6 Abs. 6 Satz 6 UStAE). Bei einer Kapitalgesellschaft endet die Unternehmereigenschaft ebenfalls mit der Beseitigung aller Rechtsbeziehungen und nicht bereits mit der Löschung im Handelsregister (A. 2.6 Abs. 6 Satz 7f. UStAE).
Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens führt zu keinem Ende der Unternehmertätigkeit, da die Umsätze durch den Insolvenzverwalter als gesetzlicher Vertreter des Unternehmers ausgeführt werden (A. 2.1 Abs. 7 Satz 1 UStAE). Die Unternehmereigenschaft eines Einzelunternehmens kann auch nach der Einbringung in eine Kapitalgesellschaft gegen die Gewährung von Gesellschaftsrechten fortbestehen, sofern danach ein Grundstück an die Kapitalgesellschaft verpachtet wird.
Prüfungstipp
In der Steuerberaterprüfung 2016 wurde der Punkt im Rahmen eines Handwerksbetrieb, der eingebracht worden ist, und danach das Grundstück verpachtet worden ist, abgeprüft. Wenn das Verpachtungsunternehmen und das Pächterunternehmen die Voraussetzungen für eine Organschaft erfüllen, dann verbleibt der eingebrachte Betrieb im Unternehmen des bisherigen Betriebsinhabers.
Klassische Klausurfallen
Wir betrachten eine klassische Klausurfalle im folgenden Lernvideo. Es geht um natürliche Personen als Unternehmer.
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Sonderfall: Umsatzsteuerliche Organschaft
Das Umsatzsteuerrecht kennt neben dem Ertragsteuerrecht ebenfalls eine Organschaft (A. 2.8 UStAE). Zentraler Unterschied ist jedoch, dass hinsichtlich der umsatzsteuerlichen Organschaft kein Wahlrecht des Steuerpflichtigen vorliegt. Liegen die Voraussetzungen von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG vor, so entsteht die umsatzsteuerliche Organschaft automatisch. In der Praxis kann dies sowohl Vor- als auch Nachteile haben.
Nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG liegt eine Organschaft vor, wenn die Organgesellschaft (OG) finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers (OT) eingegliedert ist. Hinsichtlich des Vorliegens der umsatzsteuerlichen Organschaft sind die folgenden Punkte zu prüfen:
- finanzielle Eingliederung;
- wirtschaftliche Eingliederung;
- organisatorische Eingliederung.
Hinweis
Es erfolgt eine Prüfung anhand der Umstände des Einzelfalls. Nicht erforderlich ist, dass alle drei Merkmale gleichstark ausgeprägt sind! Entscheidend ist das sich ergebende Gesamtbild.
Zentrale Folge der umsatzsteuerlichen Organschaft ist, dass die Organgesellschaft nicht mehr eigenständiger Unternehmer ist, sondern als Unternehmensteil des Organträgers zu betrachten ist. Die Organgesellschaft verliert somit ihre Selbstständigkeit. Organträger und Organgesellschaft werden ein Unternehmer i.S.d. § 2 UStG (das Unternehmen des Organträgers).
Eine weitere Folge ist, dass Leistungen zwischen den Unternehmensteilen Organträgers und Organgesellschaft oder zwischen mehreren Organgesellschaften aus umsatzsteuerlicher Sicht, nicht steuerbare Innenumsätze darstellen. Dies gilt jedoch nur für Innenleistungen der inländischen Unternehmensteile (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG, A. 2.9 UStAE).
Organträger kann jeder Unternehmer sein (juristische und natürliche Personen und Personenvereinigungen). Als Organgesellschaft kommen ausweislich des Wortlauts von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG nur juristische Personen (Kapitalgesellschaften) in Betracht. Nach neuerer Rechtsprechung kann auch eine Personengesellschaft Organgesellschaft sein. Hintergrund ist, dass die MwStSystRL als maßgebliche Rechtsquelle keine Differenzierung zwischen juristischen Personen und Personengesellschaften vorsieht und damit das nationale Recht entsprechend anzupassen bzw. auszulegen war. Der EuGH hat mit Urteil vom 15.4.2021, Rs. C-868/19 klargestellt, dass eine Einschränkung, dass Personengesellschaften nur Organgesellschaften sein können, wenn alle Gesellschafter finanziell in den Organträger eingegliedert sind, gegen Unionsrecht verstößt.
Bis zu einer Neuregelung können Steuerpflichtige sich nun entweder unmittelbar auf Unionsrecht beziehen oder die bisherige nationale Regelung (bzw. Auffassung des BFH V. Senats oder der Finanzverwaltung) weiter anwenden, so dass sie in der Zwischenzeit die Wahl haben, welcher Rechtsauffassung sie folgen wollen.
Dieses Video gibt Ihnen einen Überblick über die Vorschrift der Organschaft:
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Hinweis
Im Rahmen der umsatzsteuerlichen Organschaft haben sich (insbesondere im Hinblick auf die Einbindung von Personengesellschaften) in den letzten Jahren einige Neuerungen ergeben. Es lohnt sich diese Entwicklungen – auch für die mündliche Prüfung – im Auge zu behalten
Finanzielle Eingliederung
Die finanzielle Eingliederung (A. 2.8 Abs. 5-5b UStAE) setzt voraus, dass der Organträger im Besitz der entscheidenden Anteilsmehrheit an der Organgesellschaft ist, die es ihm ermöglicht durch Mehrheitsbeschluss seinen Willen in der Organgesellschaft durchzusetzen. Dies ist regelmäßig bei Beteiligungen von über 50% der Fall.
Vorsicht
In Ausnahmefällen können auch Stimmbindungsverträge eine Rolle spielen.
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Beispiel
Die Einzelunternehmerin Friederike Lehrmeister hält 70% der Anteile an der Süßwaren Einkaufs GmbH. Jakobus Müller hält die anderen 30% der Anteile. Die Gesellschaftssatzung sieht vor, dass Entscheidungen mit absoluter Mehrheit gefällt werden.
Die Süßwaren Einkaufs GmbH ist finanziell in das Einzelunternehmen der Friederike Lehrmeister eingegliedert.
Grundsätzlich können ausweislich des Wortlauts von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG nur juristische Personen Organträger sein. Diese Voraussetzung ist im Zuge der Rechtsprechung des EuGHs und des BFHs nunmehr unter bestimmten Umständen auch auf Personengesellschaften erweitert worden. Problematisch sind in diesem Zusammenhang die gesellschaftsrechtlichen Vorgaben. Während das Kapitalgesellschaftsrecht schon seit jeher auf dem Prinzip der Mehrstimmigkeit beruht und damit ein Mehrheitsrecht kennt, beruht das Personengesellschaftsrecht auf dem Prinzip der Einstimmigkeit.
Merke
In der Praxis existieren auch bei Personengesellschaften Mehrheitsentscheidungen, wenn die Gesellschaftsverträge dies entsprechend vorsehen. Die BFH Rechtsprechung zur umsatzsteuerlichen Organschaft mit Personengesellschaften knüpft jedoch an den Grundfall (Einstimmigkeitsprinzip) an!
Die finanzielle Eingliederung einer Personengesellschaft setzt voraus, dass Gesellschafter der Personengesellschaft neben dem Organträger nur Personen sind, die nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG in das Unternehmen des Organträgers finanziell eingegliedert sind, so dass die erforderliche Durchgriffsmöglichkeit selbst bei der stets möglichen Anwendung des Einstimmigkeitsprinzips gewährleistet ist. Zwischen dem Organträger und der Organgesellschaft muss eine unmittelbare oder mittelbare Beteiligung gegeben sein. Der EuGH hat in einem Urteil vom 15.04.2021 entschieden, dass auch eine Personengesellschaft in einen Organkreis eingebunden sein kann, wenn nicht alle Stimmrechte im Organkreis gehalten werden.
Wirtschaftliche Eingliederung
Unter der wirtschaftlichen Eingliederung zwischen dem Organträger und der Organgesellschaft müssen enge wirtschaftliche Beziehungen, die dem Willen des Organträgers unterworfen sind, bestehen (A. 2.8 Abs. 6 UStAE). Es muss jedoch keine Abhängigkeit der Organgesellschaft vom Organträger vorliegen.
Merke
Für die Beurteilung der wirtschaftlichen Eingliederung kann auch die Historie der Entstehung einer Tochtergesellschaft eine Rolle spielen (Beispiel: Eine Tochtergesellschaft wurde speziell zur Versorgung eines bestimmten Marktes gegründet).
Bei einer Betriebsaufspaltung in ein Besitzunternehmen (z.B. Personengesellschaft) und eine Betriebsgesellschaft (i.d.R. Kapitalgesellschaft) und Verpachtung des Betriebsvermögens durch das Besitzunternehmen an die Betriebsgesellschaft steht die durch die Betriebsaufspaltung entstandene Betriebsgesellschaft im Allgemeinen in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Besitzunternehmen.
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Organisatorische Eingliederung
Organisatorische Eingliederung (A. 2.8 Abs. 7-11 UStAE) bedeutet, dass die mit der finanziellen Eingliederung verbundene Möglichkeit der Beherrschung der Tochtergesellschaft durch die Muttergesellschaft in der laufenden (Kern-)Geschäftsführung tatsächlich wahrgenommen wird. Der Organträger muss im Rahmen der Geschäftsführung seinen Willen bei der Organgesellschaft durchsetzen.
Die organisatorische Eingliederung setzt i.d.R. die personelle Verflechtung der Leitungsgremien beider Gesellschaften voraus (A. 2.8 Abs. 8 UStAE). Eine entsprechende Verflechtung kann etwa dann angenommen werden, wenn zwischen den Leitungsgremien der beiden Gesellschaften Personenidentität besteht. Dies kann bei der Identität von Geschäftsführern gegeben sein, aber auch wenn (andere) Mitarbeiter des Organträgers in der Geschäftsführung der Organgesellschaft tätig sind. In letzterem Fall wird ein Weisungsrecht aufgrund des (parallel) bestehenden Arbeitsverhältnisses mit dem Organträger angenommen.
Merke
Auch hier sind die Umstände des Einzelfalls entscheidend. Insbesondere, wenn das Leitungsgremium der Organgesellschaft aus mehreren Personen besteht und nur teilweise Personenidentität vorliegt. Hier spielen Kriterien wie Stimmenmehrheit und Letztentscheidungsbefugnis oder Weisungsbefugnisse eine Rolle.
Beispiel
Der Einzelunternehmer Friedrich Beherrscher hält 70% der Anteile an der Schokoladenfabrikation GmbH. Er ist gleichzeitig Geschäftsführer der Schokoladenfabrikation GmbH.
Es liegt eine organisatorische Eingliederung zwischen dem Einzelunternehmen des Friedrich Beherrschers und der Schokoladenfabrikation GmbH vor, da die Leitungsgremien durch dieselbe Person besetzt sind. Es liegt ebenfalls eine finanzielle Eingliederung vor, da Friedrich Beherrscher über die Stimmrechtsmehrheit seinen Willen in der GmbH durchsetzen kann.
Eine organisatorische Eingliederung kann auch ohne personelle Verflechtung gegeben sein, wenn der Organträger aufgrund entsprechender Konzern- oder Geschäftsführungsrichtlinien seinen Willen durchsetzen und darüber in den Kernbereich der laufenden Geschäftsführung eingreifen kann (A. 2.8 Abs. 10 UStAE).
Hinweis
In der Praxis bietet die Ausgestaltung dieser Konzern-/Geschäftsführungsrichtlinien regelmäßig Gestaltungsspielraum, um das (ungewollte) Entstehen einer umsatzsteuerlichen Organschaft zu vermeiden
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Fallbeispiel
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