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Abgabenordnung | Steuerfachwirtprüfung

Aufhebung oder Änderung gem. § 173 Abs. 1 AO

Aufhebung oder Änderung gem. § 173 Abs. 1 AO

Begriffliches

Notwendige Schlüsselbegriffe

Eine der am häufigsten zur Anwendung kommende Korrekturvorschrift ist § 173 AO. 

Gegenüberstellung der Tatbestandsmerkmale:

§ 173 Abs. 1 Nr. 1 AO

= Steuer +

§ 173 Abs. 1 Nr. 2 AO

= Steuer -

Tatsache oder BeweismittelTatsache oder Beweismittel
nachträgliches bekannt werden für FAnachträgliches bekannt werden für FA
 

kein grobes Verschulden des Stpfl. oder Fall des § 173 Abs. 1 Nr. 2 S. 2 AO

kein Fall der Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO

kein Fall der Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO

Tatsachen

Tatsache - AEAO zu § 173 Nr. 1 -

Definition: Objektiver Lebenssachverhalt, der ganz oder teilweise einen steuerlichen Tatbestand erfüllt; alles, was Merkmal einer steuerrechtlichen Vorschrift sein kann = Auswirkungen auf materiellrechtliche Besteuerungsgrundlagen der Einzelsteuergesetze; zB: BE, BA, WK, SA, agB, Umsätze, Vorsteuer, Abgrenzung BV-PV usw.

Für die Anwendung von § 173 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AO ist jeder Lebenssachverhalt getrennt voneinander zu betrachten = Unmaßgeblich ist zeitlicher/sachlicher Zusammenhang bzw. Zusammentreffen in einem Veranlagungszeitraum

Beispiel

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Grundsätzlich ist die Schuhgröße eines Steuerpflichtigen keine Tatsache im Sinne des § 173 AO. Wenn aber der Stpfl. Arbeitsschuhe in Größe 36 als Werbungskosten absetzen möchte, kann die Schuhgröße eine Tatsache werden, die von steuerlicher Relevanz ist. Sollte er tatsächlich Größe 44 haben, muss geklärt werden, warum Größe 36 Werbungskosten sein sollen. Die Größe kann also auch zur steuerlich relevanten Tatsache werden.

Keine Tatsache ist die falsche rechtliche Beurteilung eines dem FA vorliegenden Sachverhaltes = Bloße Schlussfolgerung iS falscher Rechtsanwendung; zB unzutreffender Entnahmewert eines Grundstücks im Rahmen einer Betriebsaufgabe (§ 16 EStG)

Beispiel

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Heinz Höh betreibt ein Gewerbe. Bei seiner Gewinnermittlung und der anschließenden Veranlagung für 01 hat er für mehrere geringwertige Wirtschaftsgüter die Vollabschreibung nach § 6 Abs. 2 EStG in Anspruch genommen. Nach Eintritt der Bestandskraft seines Bescheids beantragt Höh die Absetzung für Abnutzung nach § 7 Abs. 1 EStG für die bereits nach § 6 Abs. 2 EStG abgeschriebenen Wirtschaftsgüter. Er will eine Korrektur wegen neuer Tatsachen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO, da er im Folgejahr mehr Gewinn erzielt und darum mehr Abschreibung in Anspruch nehmen möchte.

Es liegt keine neue Tatsache im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr, 1 AO vor, dadurch kann der Bescheid für 01 auch nicht nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert werden. Es liegen keine objektiv neuen Tatsachen vor. Höh hat vielmehr von seinem Bewertungswahlrecht Gebrauch gemacht, was er nun revidieren möchte.

 

Beweismittel

Welche Beweismittel zu einer Korrektur nach § 173 AO führen können, ergibt sich aus § 92 AO (z.B. Urkunden, wie Kaufverträge, Rechnungen, Belege usw.). 

Korrekturen wegen nachträglicher neuer Beweismittel sind selten, was auch an den immer ausführlicher und damit umfangreicher werdenden Vordrucken liegt.

⇒ Beweismittel führen idR nur dann zu einer Änderung nach § 173 AO, falls sie mit einer steuerlich erheblichen Tatsache in Zusammenhang stehen!

Beispiel

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Der Vermieter Großhans hat einen Wanderarbeiter spontan mit Gartenarbeiten an seinem vermieteten Mehrfamilienhaus beschäftigt und ihm den Lohn bar gezahlt. Er beantragt die Berücksichtigung dieser Aufwendungen als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung (§ 21 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG und § 9 Abs. 1 S. 1 EStG). Das FA lehnt die Anerkennung wegen fehlenden Nachweises der Aufwendungen ab (§ 160 AO), der Zahlungsempfänger kann nicht genannt werden und ist nicht greifbar für das Finanzamt. Nach Eintritt der Unanfechtbarkeit des ESt-Bescheids gelingt es Großhans, den Wanderarbeiter ausfindig zu machen, der dem FA den Sachverhalt bestätigt.

Die Aussage des Wanderarbeiters (§ 93 Abs. 1 AO) ist ein neues Beweismittel i.S.v. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO. Da den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden trifft, kann der Bescheid berichtigt werden.

Nachträgliches Bekanntwerden - AEAO zu § 173 Nr. 2 -

Für eine Änderung nach § 173 AO kommt es nicht auf den Kenntnisstand des Steuerpflichtigen, sondern allein auf den Kenntnisstand des Finanzamts an.

Maßgebender Zeitpunkt und zuständige Dienststelle

Grundsätzlich nach abschließender Zeichnung bzw. Freigabe der Bearbeitung zur Weitergabe der Daten an das Rechenzentrum der entsprechenden Steuerfestsetzung; maßgeblich ist die Kenntnis bei Erlass des Erstbescheides oder eines nachfolgenden Änderungsbescheides!

Ausnahmen

Wegen der nur punktuellen Prüfung bleibt die dem FA bereits bekannte Tatsache weiterhin neu, wenn nur eine Korrektur nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO, § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO und § 10d EStG vorgenommen wird = Spätere Korrekturen nach § 173 Abs. 1 Nr 1 und 2 AO bleiben weiterhin zulässig!

Kenntnisstand der für die Steuerfestsetzung zuständigen Dienststelle

Eine Tatsache gilt nicht als bekannt, wenn irgendeine Stelle des Finanzamts davon Kenntnis erhält. Vielmehr kommt es auf den Kenntnisstand der für den Steuerfall zuständigen Person an. Entscheidend ist Kenntnisstand der organisatorisch zuständigen Dienststelle (z.B. Veranlagungsbereich) einschl. der mit der Sache befassten Rechtsbehelfsstellen.

Bekannt gelten alle Informationen, die sich aus den geführten Akten des Steuerpflichtigen ergeben, die anderen Behörden über ein elektronisches Informationssystem zur Verfügung gestellt worden sind und auf die der zuständige Steuerbeamte Zugriff hat oder die sich in schriftlicher Form innerhalb des für den Steuerfall zuständigen Bezirks befinden = Gesamter Akteninhalt gilt als bekannt; dies gilt auch bei Einsatz eines Risikomanagements und nur punktueller Überprüfung der Steuererklärung; BFH/NV 2019, S. 1057.

Kenntnis anderer Dienststellen ist unschädlich; zB Bewertungsstelle im Verhältnis zur Veranlagungsstelle für die Einkommensteuer; Veranlagungsstelle für die Einkommensteuer im Verhältnis zur Veranlagungsstelle für die Körperschaftsteuer, BFH/NV 2014, S. 1351.

Beispiel

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Stpfl. stellt im Januar 05 einen Antrag auf Änderung des endgültig erlassenen Einkommensteuerbescheides 02 vom 12.11.04 wegen irrtümlich nicht geltend gemachter WK aus § 21 EStG iHv 5.000 €.

Aufgrund einer Kontrollmitteilung erfuhr das FA im März 05, dass der Stpfl. BE aus § 15 EStG iHv 10.000 € nicht erklärt hatte.

Ebenfalls im März 05 ergeht ein geänderter F-Bescheid 02 über die Beteiligung des Stpfl. an der Grundstücks-Invest-KG; die bisher erfassten Einkünfte erhöhen sich von 40.000 € auf 70.000 €.

Im April 05 änderte das FA den EStB 02 ...

Variante I

... nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO wegen der anteiligen Einkünfte aus der KG (zvE + 30.000 €)

Variante II

... nach §§ 173 Abs. 1 Nr. 2 und § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO wegen der WK aus § 21 EStG und der anteiligen Einkünfte aus der KG (zvE + 25.000 €)

Im Juli 05 ändert das FA den Bescheid erneut gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO und erfasst die BE iHv 10.000 €.

Lösungshinweise

Variante I

Der Bescheid durfte nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert werden, weil bei einer Änderung allein nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO weiterhin die Kenntnis der maßgeblichen Dienststelle des FA bei abschließender Zeichnung des Bescheides vom 12.11.04 ist.

⇒ Tatsache bezüglich der Betriebseinnahmen gilt weiterhin als neu; vgl. AEAO zu § 173, Tz 2.4.!

Variante II

Die erneute Korrektur ist nicht zulässig, weil die steuererhöhende Tatsache bereits bei Erlass des im April 05 ergangenen Änderungsbescheides bekannt war.

In diesem Fall handelt es sich nicht um eine neue Tatsache iS des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO und somit besteht ein formelles Verbot zur Festsetzung der materiell zutreffenden Steuer.

⇒ Auf einen Einspruch (§ 347 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO) des Stpfl. ist der geänderte Bescheid vom Juli 05 aufzuheben!

Rechtserheblichkeit

Als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal ist ferner zu prüfen, ob die nachträglich bekannt gewordene Tatsache oder das Beweismittel auch rechtserheblich, also von relevanz ist.

Rechtserheblichkeit liegt vor, wenn das FA bei rechtzeitiger Kenntnis der Tatsache oder des Beweismittels schon bei der ursprünglichen Veranlagung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer höheren oder niedrigeren Steuer gelangt wäre (AEAO Nr. 3 zu § 173).

Grobes Verschulden

Allgemeine Grundsätze - AEAO zu § 173 Nr. 5 und 6 -

Grobes Verschulden umfasst Vorsatz (mit Wissen und Wollen) oder grobe Fahrlässigkeit des Stpfl. oder seines Vertreters.

Grob fahrlässig handelt, wer die ihm nach seinen persönlichen Verhältnissen zumutbare Sorgfaltspflicht in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt; dies gilt gleichermaßen für Steuererklärungen auf Papier und elektronisch erstellten Steuererklärungen (vgl. AEAO zu § 173 Nr. 5.6).

Ein Verschulden seines steuerlichen Beraters bei der Anfertigung der Steuererklärung muss sich der Stpfl. zurechnen lassen. Dieses gilt auch dann, wenn er seinem Steuerberater Unterlagen vorenthält, die steuerlich relevant sein können, BFH/NV 2012, S. 370.

Kein grobes Verschulden: Allgemeine Versehen oder Irrtümer, Rechenfehler, Unkenntnis steuerrechtlicher Bestimmungen für den Normalbürger; gilt auch bei Vergessen errechneter Verluste in das elektronische Formular zur ESt-Erklärung; BFH/NV 2012, S. 545 und BStBl II 2017, S. 7.

Beispiele für grobes Verschulden - Gültigkeit auch bei elektronischer Fertigung der Steuererklärung

  • Hinnahme einer zu hohen Schätzung ohne Einlegung Einspruch bzw. Versäumnis der Einspruchsfrist bei festgestellten Tatsachen im Zeitraum, in dem der Bescheid noch anfechtbar war
  • Nichtbeachtung ausdrücklicher Hinweise im Erklärungsvordruck bzw. den Erläuterungen dazu; zB Unterstützung bedürftiger Personen, Ausbildungsfreibetrag
  • Zurechnung des Verschuldens des Steuerberaters, wenn er es unterlässt, den Mandanten im Rahmen der Erstellung der ESt-Erklärung nach steuermindernden Tatsachen (zB Krankheitskosten als außergewöhnliche Belastungen gemäß § 33 EStG) zu fragen
  • Der Steuerpflichtige handelt auch dann regelmäßig grob fahrlässig i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO, wenn er bei elektronsicher Fertigung der Erklärung die dem elektronischen Elster-Formular beigefügten Erläuterungen zur Einkommensteuererklärung unbeachtet lässt. Dies gilt allerdings nur, soweit solche Erläuterungen für einen steuerlichen Laien ausreichend verständlich, klar und eindeutig sind (vgl. AEAO zu § 173 Nr. 5.6)

Aufhebung oder Änderung gem. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO

§ 173 Abs. 1 AO differenziert nach höherer und niedrigerer Steuer, was die folgende Abbildung zeigt. Die Einzelheiten werden anschließend erläutert.

Bitte Beschreibung eingeben

Soweit neue Tatsachen oder Beweismittel zuungunsten des Stpfl. dem FA nachträglich bekannt werden, sind die Steuerbescheide ohne weiteres aufzuheben oder zu ändern (§ 173 Abs. 1 Nr. 1 AO). Wie das Wort „soweit“ zum Ausdruck bringt, handelt es sich, wie meistens im Berichtigungsverfahren, um eine punktuelle Berichtigung. Es wird nur eine Korrektur durchgeführt, soweit die neue Tatsache reicht.

Aufhebung oder Änderung gem. § 173 Abs. 1. Nr. 2 AO

Vorbemerkungen

Die Nummer 2 ist, wie bereits oben beschrieben deutlich eingeschränkt. Hier kommt als weitere Voraussetzung die Unschuld des Steuerpflichtigen hinzu, denn ihn darf kein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden treffen. Da nach immer mehr steuerlich relevanten Fakten im Vordruck explizit gefragt wird, was bei Nichtbeantwortung zum groben Verschulden führt, kommt immer seltener eine Korrektur infrage.

Aufhebung oder Änderung gem. § 173 Abs. 1 Nr. 2 S. 1 AO

Soweit Tatsachen oder Beweismittel zugunsten des Stpfl. dem FA nachträglich bekannt werden, kann eine Korrektur nur dann erfolgen, wenn den Stpfl. kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt geworden sind.

Aufhebung oder Änderung gem. § 173 Abs. 1 Nr. 2 S. 2 AO

Nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 S. 2 AO ist allerdings das grobe Verschulden unbeachtlich, wenn die neuen Tatsachen zugunsten des Stpfl. in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit neuen Tatsachen zu seinen Ungunsten stehen.

Beispiel

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Der in Moers wohnhafte Dieter Barrios (DB) ist als selbständiger Architekt tätig und Alleineigentümer eines vermieteten Mehrfamilienhauses in Aachen. Darüber hinaus ist er als Kommanditist an der Bau-KG beteiligt.

DB hat seine Einkommensteuererklärung für 11 im August 13 beim Finanzamt Moers abgegeben. Der gemäß § 164 Abs. 1 AO unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangene Einkommensteuerbescheid 11 wurde am 03.01.14 zur Post gegeben. Die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung wurden ebenso erklärungsgemäß i.H.v. 75.000 € angesetzt wie die Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit i.H.v. 412.000 €. Der Gewinnanteil aus der Beteiligung an der Bau-KG wurde entsprechend den Verhältnissen des Vorjahres mit 30.000 € berücksichtigt. Die Einkommensteuer ist auf 205.000 € festgesetzt worden. 

Im Februar 15 wird der Bescheid vom 03.01.14 antragsgemäß geändert, weil DB bisher nicht berücksichtigte Betriebsausgaben von 12.000 € geltend gemacht hatte. Mit gemäß § 164 Abs. 2 AO geänderten Einkommensteuerbescheid 11 vom 16.03.15 wird der Gewinn aus § 18 EStG auf 400.000 € und die festgesetzte Einkommensteuer auf 200.000 € herabgesetzt. Aus den Erläuterungen des Bescheides ergibt sich, dass der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben wurde.

Am 15.12.16 richtet DB das nachfolgend auszugsweise dargestellte Schreiben an das Finanzamt Moers, weil er seine Einnahmen aus freiberuflicher Tätigkeit nicht zutreffend erklärt hat und „sein Gewissen erleichtern will“. Darüber hinaus hat er bei einer nochmaligen Überprüfung des Steuerbescheides entdeckt, dass die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung fehlerhaft ermittelt worden sind. Es handelt sich um die folgenden materiell zutreffend dargestellten Sachverhalte:

1. Grundstück Aachen, Tivolistr. 7

DB hatte sich bei der Ermittlung der als Werbungskosten geltend gemachten Schuldzinsen verrechnet. Entsprechend den Angaben einer der Einkommensteuererklärung 11 beigefügten und nachstehend dargestellten Zusammenstellung wurden nur 25.000 € statt zutreffend 35.000 € als Werbungskosten berücksichtigt:

          Zinsen Darlehen Dt. Bank                        20.000 €

          Zinsen Darlehen Volksbank                      15.000 €

          Gesamtbetrag                                         25.000 €        (richtig: 35.000 €)

Die Belege über die Schuldzinsen waren der Steuererklärung ebenfalls beigefügt. Die Einkünfte aus dem Grundstück Aachen, Tivolistr. 7 sind daher um 10.000 € und die Einkommensteuer um 4.000 € herabzusetzen. Der Fehler ist dem Finanzamt bei der Prüfung der Steuererklärung nicht aufgefallen.

2. Einkünfte als Architekt

Im Jahre 11 hat DB Einnahmen aus einem Planungsauftrag i.H.v. 15.000 € nicht in der Gewinnermittlung erfasst, da er der Auffassung war, dass er ohnehin viel zu viel Steuern zahle. Damit die Nichterklärung der Einnahmen dem Finanzamt nicht auffällt, hat er mit den Einnahmen im Zusammenhang stehende Aufwendungen zur Erstellung der Baupläne i.H.v. 3.000 € in der Gewinnermittlung für 11 ebenfalls nicht geltend gemacht.

Der gesamte Sachverhalt war für das Finanzamt aus den mit der Steuererklärung eingereichten Unterlagen nicht erkennbar. DB hat zweifelsfrei vorsätzlich gehandelt und den Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt. Die Einkünfte aus § 18 EStG erhöhen sich somit um 4.800 €.

Bei der Überprüfung der Steuerakte des DB ist durch das Finanzamt Moers zusätzlich festgestellt worden, dass das zuständige Finanzamt Kempen mit Datum vom 10.08.16 (Tag der Aufgabe zur Post) einen gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a AO geänderten Feststellungsbescheides für 11 für die Bau-KG erlassen hat. Der gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG anzusetzende Gewinnanteil für DB beträgt nunmehr 24.000 €. Hierdurch ergibt sich eine Herabsetzung der Einkommensteuer um 2.400 €.

Aufgaben

Bitte nehmen Sie in der nachstehend dargestellten Reihenfolge zu folgenden Punkten Stellung:

Aufgabe 1: Grundstück Aachen, Tivolistr. 7

1.1 Ermitteln Sie die reguläre Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer 11.

1.2. Erläutern Sie, nach welchen Korrekturvorschriften der Einkommensteuerbescheid 11 geändert werden kann. Gehen Sie in diesem Zusammenhang nur auf folgende Vorschriften ein:

  • § 164 AO
  • § 129 AO
  • § 173 AO
  • § 173a AO

Aufgabe 2: Einkünfte als Architekt

2.1 Berechnen Sie die Festsetzungsfrist für die hinterzogene Einkommensteuer iHv 4.800 €.

2.2 Erläutern Sie, nach welchen Korrekturvorschriften der Einkommensteuerbescheid 11 geändert werden kann. Gehen Sie in diesem Zusammenhang nur auf § 173 AO ein.

Aufgabe 3: Gewinnanteil aus der Beteiligung an der Bau-KG

3.1 Berechnen Sie die Festsetzungsfrist für die Anpassung des Einkommensteuerbescheides 11 in Bezug auf den geänderten Gewinnanteil.

3.2 Nach welcher Korrekturvorschrift ist der Einkommensteuerbescheid 11 zu ändern?

Lösung:

Aufgabe 1: Grundstück Aachen, Tivolistr. 7

Die Festsetzungsfrist beginnt gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO iVm §§ 149 Abs. 1 Satz 1 AO mit Ablauf des 31.12.13, weil im August 13 die Einkommensteuererklärung 11 eingereicht worden ist.

Sie beträgt nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO vier Jahre und endet somit mit Ablauf des 31.12.17 (§ 108 Abs. 1 AO i.V.m. § 188 Abs. 2 BGB).

§ 164 AO

Eine Korrektur nach § 164 Abs. 2 AO kommt nicht in Betracht, weil der Vorbehalt der Nachprüfung mit dem gemäß § 164 Abs. 2 AO geänderten Bescheid vom 16.03.15 aufgehoben worden ist.

Somit ist für die materiellen Fehler getrennt zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Änderung gemäß den §§ 129, 173 und 173a AO erfüllt sind.

§ 129 AO

Bei dem Rechenfehler handelt es sich um eine offenbare Unrichtigkeit nach § 129 AO, die beim Erlass des Verwaltungsaktes unterlaufen ist.

Zwar gilt § 129 AO grundsätzlich nur für offenbare Unrichtigkeiten, die das Finanzamt verursacht hat ("beim Erlass des Verwaltungsaktes unterlaufen"). Eine Ausnahme gilt jedoch für sog. "Übernahmefehler"; dh für klar erkennbare offenbare Unrichtigkeiten des Stpfl. in der Steuererklärung einschließlich der hiermit eingereichten Anlagen, die das Finanzamt sich somit zu eigen gemacht hat (AEAO zu § 129 Nr. 3 und 4 Abs. 1). Diese Voraussetzung ist erfüllt, weil die Zusammenstellung der Schuldzinsen einschließlich der entsprechenden Belege der Einkommensteuererklärung 11 als Anlagen beigefügt waren.

Es besteht ein berechtigtes Interesse des Stpfl. an der Berichtigung, weil die Steuern gleichmäßig nach Maßgabe der Einzelsteuergesetze festzusetzen sind, § 129 Satz 2 iVm § 85 AO. Die Einkommensteuer 11 ist um 4.000 € herabzusetzen.

§ 173 AO

Eine Korrektur gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ist nicht zulässig, weil die fehlerhaften Angaben bezüglich der Schuldzinsen aus den Anlagen zur Steuererklärung erkennbar waren und somit keine neue Tatsache für den zuständigen Sachbearbeiter des Finanzamts vorliegt.

§ 173a AO

Ebenso kann eine Änderung des Bescheides gemäß § 173a AO erfolgen, weil es sich um einen Rechenfehler des Stpfl. bei Erstellung der Steuererklärung handelt. Dass der Fehler für das Finanzamt erkennbar war, ist im Rahmen des § 173a AO unerheblich (AEAO zu § 173a Nr. 1).

Aufgabe 2: Einkünfte als Architekt

Bezüglich des gemäß § 370 AO hinterzogenen Steueranspruchs beträgt die Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO zehn Jahre. Somit endet die diese insoweit erst mit Ablauf des 31.12.23 (§ 108 Abs. 1 AO i.V.m. § 188 Abs. 2 BGB).

Es kommt eine Änderung gemäß § 173 AO in Betracht, weil es sich bei dem Lebenssachverhalt um neue Tatsachen für das Finanzamt handelt. Bei abschließender Zeichnung des geänderten Einkommensteuerbescheides 11 vom 16.03.15 war für den zuständigen Bearbeiter des Finanzamts Moers weiterhin nicht erkennbar, dass die Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben aus der freiberuflichen Tätigkeit fehlerhaft erklärt worden waren.

Im vorliegenden Fall ist zu beachten, dass es sich um zwei neue Tatsachen i.S. des § 173 AO handelt, denn es werden bei einer bereits im Steuerbescheid erfassten Einkunftsart nachträglich Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben bekannt (AEAO zu § 173 Nr. 6.1). Die Einnahmen i.H.v. 15.000 € stellen eine steuererhöhende Tatsache nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO dar, während die Ausgaben i.H.v. 3.000 € als steuermindernde Tatsache unter § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zu definieren sind.

Das hinsichtlich der Betriebsausgaben grundsätzlich zu prüfende grobe Verschulden für eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ist in diesem Fall unbeachtlich, weil die steuermindernde Tatsache in einem unmittelbaren sachlichen Zusammenhang mit den Einnahmen als Tatsache iS des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO steht, § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO. Die Einkommensteuer 11 erhöht sich somit um 4.800 €.

Aufgabe 3: Gewinnanteil aus der Beteiligung an der Bau-KG

Wegen des Gewinnanteils aus der Beteiligung an der Bau-KG ist die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 10 Satz 1 AO maßgebend, weil es sich bei dem Feststellungsbescheid um einen Grundlagenbescheid für die Einkommensteuer handelt.

Die Ablaufhemmung endet mit Ablauf des 13.08.18, §§ 122 Abs. 2 Nr. 1 und 171 Abs. 10 Satz 1 AO.

Der Einkommensteuerbescheid ist diesbezüglich gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zu ändern. Die Einkommensteuer 11 ist daher um 2.400 € herabzusetzen.

Der Einkommensteuerbescheid 11 vom 16.03.15 ist gemäß § 129, § 173 Abs. 1 Nr. 1 und 2, § 173a und § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO dergestalt zu ändern, als die Einkommensteuer insgesamt um 1.600 € auf 198.400 € herabzusetzen ist.

Hinweis

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Hat das FA in solchen Fällen allerdings die neuen Tatsachen zuungunsten des Stpfl. bestandskräftig veranlagt, so kann eine Korrektur von mit diesen im Zusammenhang stehenden neuen Tatsachen zugunsten des Stpfl. nur noch erfolgen, wenn den Stpfl. kein grobes Verschulden an dem verspäteten Vorbringen trifft. Die Bestandskraft der Änderung zuungunsten des Stpfl. durchbricht den Zusammenhang mit nachträglich bekannt gewordenen Tatsachen zu seinen Gunsten.

Prüfungstipp

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Die Besonderheit des Falles und damit der große Unterschied zu obigem Übungsfall liegt darin, dass die Stpfl. bisher keine Einkünfte aus gewerblicher Tätigkeit erklärt hatte (im Übungsfall hatte RR zusätzliche Einkünfte aus bereits bekannter freiberuflicher Tätigkeit). Wären solche Einkünfte in der bestandskräftigen Veranlagung bereits berücksichtigt gewesen, so wäre bei einem Zusammenhang der Betriebsausgaben mit den Betriebseinnahmen § 173 Abs. 1 Nr. 2 S. 2 AO zur Anwendung gekommen.

Der unterschiedliche Tatsachenbegriff bei der ESt und der USt - AEAO zu § 173 Nr. 6 -

EinkommensteuerUmsatzsteuer

Im Bereich der Einkunftsarten stellt der Gewinn/Verlust bzw. der Überschuss der Einnahmen über die WK in folgenden Fällen 1 Tatsache iS des § 173 AO dar:

  • Bei einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nach § 162 AO
  • Beim nachträglichen bekannt werden einer bisher nicht erklärten Einkunftsart
  • Beim nachträglichen bekannt werden einer selbständigen Erwerbsgrundlage (= Einkunfts-quelle) innerhalb einer bekannten und bereits im Steuerbescheid erfassten Einkunftsart (zB weiteres Grundstück im Rahmen der Einkünfte aus V+V)

           - Gewinn = § 173 I Nr. 1 AO

           - Verlust = § 173 I Nr. 2 AO

              ⇒ Kein Fall von § 173 Abs. 1 Nr. 2 S. 2 AO;                  Berücksichtigung im Rahmen des § 177 AO

Sowohl steuerpflichtige Umsätze als auch die Vorsteuerbeträge stellen 2 getrennt zu betrachtende Tatsachen dar

  • USt          =         § 173 I Nr. 1 AO
  • Vorsteuer =          § 173 I Nr. 2 AO 

Bei wirtschaftlichem Zusammenhang zwischen der Erhöhung der USt durch steuerpflichtige Umsätze und nachträglich bekannt gewordenen Vorsteuerbeträgen ist § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO zu beachten!

 

 

 

 

 

 

Sofern bei einer bereits erfassten Einkunftsart bzw. Einkunftsquelle nachträglich BE und BA (bzw. Einnahmen und Werbungskosten) bekannt werden, so handelt es sich um 2 Tatsachen

  • BE/Einnahmen =         § 173 I Nr. 1 AO
  • BA/WK =                    § 173 I Nr. 2 AO!

⇒ Grobes Verschulden ist nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz      2 AO bei wirtschaftlichem Zusammenhang der              beiden Tatsachen unbeachtlich

Getrennte Betrachtung von § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO (Berichtigungsobergrenze) und § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO (Berichtigungsuntergrenze) im Rahmen von § 177 AO!

 

Die Abgrenzung des Tatsachenbegriffs ist wichtig für

  • § 173 I Nr. 2 Satz 2 AO = Die Prüfung des groben Verschuldens kann nur dann unterbleiben, wenn 2 neue                                               Tatsachen iS von § 173 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AO vorliegen!
  • § 177 AO                       = Kompensation von materiellen Fehlern im Rahmen der Korrektur nach § 173 AO!