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Berichtigung von materiellen Fehlern gem. § 177 AO

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Berichtigung von materiellen Fehlern gem. § 177 AO

Der § 177 AO fällt ein wenig aus dem Rahmen, wenn man ihn mit anderen Korrekturnormen vergleicht. Er kann nämlich eigenständig nicht existieren, sondern ist immer auf das Zusammenspiel mit einer anderen Korrekturnorm angewiesen.

Einführung

Die Anwendung des § 177 AO setzt immer zuerst eine Korrektur aus einem anderen Anlass voraus, ist also selbst keine eigenständige Änderungsvorschrift. Sie hängt sich quasi an andere Vorschriften dran. Andere Vorschriften eröffnen dem § 177 AO also die Möglichkeit, zu wirken.

Mitberichtigung materieller Fehler

Die folgenden Videos stellen die Mitberichtung materieller Fehler ausführlich dar.

Erster Teil

Zweiter Teil

 

Aufhebung oder Änderung gem. § 177 Abs. 1 AO

Voraussetzung für § 177 Abs. 1 AO ist das Vorliegen einer eigenständigen Korrektur zuungunsten des Steuerpflichtigen. In diesem Falle können, soweit die Änderung reicht, materielle Fehler zugunsten wie zuungunsten mit saldiert werden. Insoweit, wie die Änderung zuungunsten reicht, können Änderungen zugunsten vorgenommen werden.

Der Berichtigungsrahmen wird also bestimmt von der bisher festgesetzten Steuer und der Steuer, die sich nach der Korrektur ergeben würde.

Beispiel

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Der Fußballtrainer Jürgen Löwe (JL) hat seine Einkommensteuererklärung für das Jahr 01 beim Finanzamt eingereicht. Das FA hat das zu versteuernde Einkommen des JL auf 200.000 € festgesetzt. Später wird ihm eine neue Tatsache zuungunsten des Stpfl. mit einer Auswirkung auf das z.v.E. von +5.000 € bekannt (§ 173 Abs. 1 Nr. 1 AO). Gleichzeitig erhält das Finanzamt eine Gewinnmitteilung über eine Beteiligung des JL an der Kick-OHG, an der er seit Jahren beteiligt ist. Auswirkung auf das zu versteuernde Einkommen: + 12.000 € (§ 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO). Bei der Korrektur des Bescheids bemerkt das FA einen Rechtsfehler, den es bisher zuungunsten des JL gemacht hat. Auswirkung: -19.000 €.

Da beide Korrekturen sich zuungunsten des JL auswirken, greift § 177 Abs. 1 AO.

Der Berichtigungsrahmen bestimmt sich nach dem bisherigen zu versteuernden Einkommen von 200.000 € als Untergrenze sowie dem zu versteuernden Einkommen nach den Korrekturen (§ 173 Abs. 1 Nr. 1, § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO) = 217.000 € als Obergrenze (200.000 €  zzgl. .5.000 € und 12.000 €).
Das endgültige zu versteuernde Einkommen darf diesen Rahmen weder über- noch unterschreiten.

Nun werden alle Korrekturen und materiellen Fehler dem ursprünglichen zu versteuernden Einkommen hinzu- bzw. abgerechnet. Das Ergebnis ist das materiell-rechtlich richtige zu versteuernde Einkommen. Es beträgt (200.000 + 5.000 + 12.000 ./. 19.000) = 198.000 €.

Da die Untergrenze nicht unterschritten werden darf, verbleibt es bei einem zu versteuernden Einkommen von 200.000 €. Das FA wird folglich nicht korrigieren.

Hinweis

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Grundsätzlich dreht sich hier alles um den Steuermehr- oder Steuerminderbetrag. Zur Berechnung kann allerdings in Ausnahmefällen, wie hier auch, auf die Besteuerungsgrundlage, also das zvE zurückgegriffen werden, wenn alle Berechnungsgrößen sich in gleicher Weise auf die Steuerfestsetzung auswirken (BFH, Urteil v. 9.6.1993, I R 90/92, BStBl. II 1993, S. 822).

Beispiel

Hier klicken zum AusklappenDas FA setzt das zu versteuernde Einkommen des JL auf 180.000 € fest. Später entdeckt es einen Fehler, nämlich eine widerstreitende Steuerfestsetzung nach § 174 Abs. 2 AO mit einer Auswirkung von + 12.000 €. Bei der Korrektur stellt der Sachbearbeiter fest, dass ihm ein Rechtsfehler mit einer Auswirkung von 800 € unterlaufen ist, der sich bisher zuungunsten des Stpfl. JL ausgewirkt hat.

Beide "Fehler" wirken entgegengesetzt, so dass zunächst der eine Fehler nach § 174 Abs. 2 AO den Rahmen für den anderen Fehler nach § 177 AO eröffnet.

Der Berichtigungsrahmen bewegt sich zwischen 180.000 € und 192.000 €. Die Berücksichtigung von Korrektur und materiellem Fehler ergibt ein materiell-rechtlich richtiges zu versteuerndes Einkommen von 191.200 €. Dieser Betrag liegt innerhalb der Grenzen. Das neue zu versteuernde Einkommen beträgt also 191.200 €.

Aufhebung oder Änderung gem. § 177 Abs. 2 AO

Voraussetzung für den zweiten Absatz des § 177 AO ist das Vorliegen einer Korrekturvorschrift zugunsten des Steuerpflichtigen. In diesen Fällen können, soweit die Änderung reicht, materielle Fehler zugunsten wie zuungunsten mit saldiert werden. Auch hier kommen Fehler in Betracht, für die es keine andere Berichtigungsnorm mehr gibt.

Der Berichtigungsrahmen wird bestimmt vom bisherigen zu versteuernden Einkommen und dem Einkommen, das sich nach der Korrektur ergeben würde.

Beispiel

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Das FA hat das zu versteuernde Einkommen JL auf 50.000 € festgesetzt. Durch ein rückwirkendes Ereignis würde sich das Einkommen um 1.600 € mindern (§ 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO). Außerdem erhält das FA eine Verlustmitteilung aus einer Beteiligung an der Kick-OHG. Auswirkung auf das zu versteuernde Einkommen 3.600 € (§ 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO). Im Korrekturverfahren bemerkt das FA einen Rechtsfehler, der sich bisher auf das Einkommen mit 2.100 € zuungunsten des JL ausgewirkt hat. Was kann hier noch berichtigt werden?

Es liegen also drei Gründe für Korrekturen zugunsten des JL vor:
-§ 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO                   -1.600 €
-§ 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO                   -3.600 €

-Rechtsfehler                                      -2.100 €

Beide Korrekturen wirken sich zugunsten JL aus, so dass § 177 Abs. 2 AO greift. Der Berichtigungsrahmen bewegt sich zwischen 50.000 € und 44.800 €. Das materiell-rechtlich richtige zu versteuernde Einkommen beträgt 42.700 € und unterschreitet damit die Untergrenze. Das FA kann nur von einem Einkommen von 44.800 € ausgehen.

Aufhebung oder Änderung gem. § 177 Abs. 3 AO

Fehler i.S.v. § 177 Abs. 3 AO liegen nicht nur vor, wenn das FA materielles Recht falsch angewendet hat (= Rechtsfehler), sondern bei jeder objektiven materiellen Unrichtigkeit eines Steuerbescheids, also stets dann, wenn die Steuer nicht in der richtigen Höhe festgesetzt worden ist.

Begriff des materiellen Fehlers (Rechtsfehlers) iS des § 177 III AO

--Hinweis auf den AEAO zu § 177 AO, Tz. 1--

Materielle Unrichtigkeit

  • Jede objektive (materielle) Unrichtigkeit, mit der der Bescheid behaftet ist und die nicht selbständig korrekturfähig ist = Getrennte Betrachtung der materiellen Fehler eines Steuerbescheides!
  • Tatbestandsmerkmale der Korrekturvorschriften für endgültige Steuerbescheide nach den §§ 129, 172 ff AO sind insoweit nicht erfüllt!

 

Festsetzungsverjährung und Saldierung von § 177 AO

Aufgrund einer Korrekturvorschrift und ggf. verlängerter Festsetzungsfrist ist teilweise noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten; zB Änderung gemäß § 173 I Nr. 1 iVm § 169 II Satz 2 AO aufgrund vorsätzlich nicht erfasster Betriebseinnahmen).

Im Rahmen der Änderung können gemäß § 177 AO auch - isoliert betrachtet - verjährte Rechtsfehler gegensätzlicher Auswirkung berücksichtigt werden; zB höhere Werbungskosten bei § 19 EStG; BFH, BStBl II 1992, S. 504.

Beispiel

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Steuerberater Recht hat die Einkommensteuererklärung 04 für seinen Mandanten Peter Pflug im Jahre 06 abgegeben; der endgültige Einkommensteuerbescheid datiert vom 05.01.07.

Im Jahre 15 wird dem Finanzamt aufgrund einer Steuerfahndungsprüfung bei der Hausbank des Pflug bekannt, dass dieser Geld nach Luxemburg transferiert hat und die hieraus erzielten Zinseinnahmen nicht versteuert hat. Die zusätzlich zu erfassenden Einnahmen iS des § 20 EStG belaufen sich im Jahre 04 auf 30.000 €.

Nunmehr stellt Pflug fest, dass er im Jahre 04 wegen des „heillosen Chaos“ in der Belegablage 12.000 € Erhaltungsaufwendungen nicht als Werbungskosten bei den Einkünften aus V+V geltend gemacht hat.

Können die Erhaltungsaufwendungen noch steuermindernd berücksichtigt werden?

 

Lösungshinweise

Korrektur gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO bezüglich der Zinseinnahmen; Festsetzungsfrist für die vorsätzlich nicht erklärte Zinseinnahmen läuft bis zum Ablauf des 31.12.16, § 169 Abs. 2 Satz 2 AO iVm § 370 AO. Zweifelsfrei handelt es sich um eine Steuerhinterziehung.

Die Festsetzungsfrist für die WK aus V+V grundsätzlich mit Ablauf des 31.12.2010 abgelaufen („Grundsatz der Teilverjährung“); Überprüfung der Tatbestandsmerkmale einer Korrekturvorschrift insoweit entbehrlich, § 169 Abs. 1 Satz 1 AO!

Jedoch ist eine Saldierung im Rahmen des § 177 Abs. 1 AO zulässig; der BFH räumt im Rahmen des § 177 AO dem Grundsatz der Rechtsrichtigkeit Vorrang vor der Rechtssicherheit ein. 

Nach allem ist der Einkommensteuerbescheid 04 im Jahre 15 dergestalt gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO iVm § 177 I AO zu ändern, als das zu versteuernde Einkommen um 18.000 € erhöht wird!

Aufhebung oder Änderung gem. § 177 Abs. 1 und Abs. 2 AO

Will das FA einen Steuerbescheid unter Anwendung mehrerer Korrekturnormen ändern, die sich sowohl zugunsten wie auch zuungunsten des Steuerpflichtigen auswirken, so kommen beide Absätze des § 177 AO parallel zur Anwendung.

Beispiel

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1 Das FA hat das zu versteuernde Einkommen FF auf 60.000 € festgesetzt. Später will es eine Korrektur nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO mit einer Änderung von + 2.000 € durchführen. Gleichzeitig hat FF einen zulässigen Antrag auf schlichte Änderung gestellt (§ 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Buchst. a AO), Auswirkung -1.000 € zugunsten der FF. Bei der Korrektur bemerkt das FA zwei materielle Fehler im bisherigen Bescheid. Einen mit einer Auswirkung von +1.600 € zuungunsten, den anderen mit einer Auswirkung von -200 € zugunsten. Da hier Korrekturen zugunsten wie zu Lasten greifen, sind § 177 Abs. 1 und Abs. 2 AO anzuwenden.

Der Berichtigungsrahmen reicht nunmehr von 62.000 € als Obergrenze bis 59.000 € als Untergrenze des neuen zu versteuernden Einkommens.

Eine Berücksichtigung aller materiellen Fehler und Korrekturen ergibt ein materiell-rechtlich richtiges zu versteuerndes Einkommen von 62.400 €. Das FA kann die Untergrenze nicht unterschreiten und wird der ESt ein Einkommen von 62.000 € zugrunde legen.

2 Das FA hat der ESt ein zu versteuerndes Einkommen von 60.000 € zugrunde gelegt. Später ergibt sich eine Korrektur nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO mit einer Auswirkung von +1.000 € zuungunsten der Stpfl. Zusätzlich kommt es zu einer Korrektur nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO mit einer Auswirkung von -100 € zugunsten. Eine weitere Korrektur nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO in Höhe von -2.400 € scheitert daran, dass FF die neue Tatsache grob schuldhaft verspätet vorgebracht hat. Da Korrekturen zu Lasten wie zugunsten eingreifen, kommen § 177 Abs. 1 und Abs. 2 AO in Betracht. Der Berichtigungsrahmen liegt zwischen 61.000 € und 59.900 €. Die nicht berücksichtigungsfähige neue Tatsache in Höhe von 2.400 € ist ein materieller Fehler i.S.v. § 177 Abs. 3 AO. Unter Berücksichtigung aller Korrekturen und des Betrags von 2.400 € ergäbe sich ein materiell-richtiges zu versteuerndes Einkommen von 58.500 €. Das FA wird von einem zu versteuernden Einkommen von 59.900 € ausgehen, da die Untergrenze nicht unterschritten werden kann.

Bei § 177 Abs. 1 und Abs. 2 AO liegen zwei selbständige Mitberichtigungsmöglichkeiten vor, zuungunsten und zugunsten. Dies bedeutet, dass in den beiden letzten Beispielen für die Bestimmung der Ober- und Untergrenzen jeweils vom festgesetzten zu versteuernden Einkommen auszugehen ist, die verschiedenen Korrekturen also nicht saldiert werden dürfen, es gilt ein Saldierungsverbot bei Korrekturtatbeständen. Die Auswirkungen materieller Fehler hingegen sind zunächst zu saldieren und erst dann, soweit der Änderungsrahmen reicht, zu berücksichtigen (Saldierungsgebot bei materiellen Fehlern).