Zum primären Unionsrecht, das an der Spitze der unionsrechtlichen Normenhierarchie steht, gehören:
- der Vertrag über die Europäische Union (EUV),
- der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und
- ihre Anhänge und Protokolle (Art. 51 EUV),
- der Euratom-Vertrag,
- die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh), vgl. Art. 6 Abs. 1 Hs. 2 EUV
- allgemeine, ungeschriebene Rechtsgrundsätze (Vertrauensschutzes oder Rechtssicherheit)
Als (völkerrechtliche) Verträge binden der EUV und der AEUV in erster Linie nur die Vertragsparteien. Ausnahmsweise können daraus unmittelbar Rechte für die Bürger der Mitgliedstaaten der Union abgeleitet werden, z.B. hinsichtlich der Unionsbürgerschaft (Art. 20 f. AEUV).
Eine unmittelbare Anwendbarkeit hat folgende Voraussetzungen:
- rechtliche Vollkommenheit: klar und hinreichend genau formuliert, sodass ohne jede weitere Konkretisierung anwendbar,
- inhaltliche Unbedingtheit, d.h. nicht mit einer Bedingung oder Befristung versehen,
- Handlungs- oder Unterlassungspflichten gegenüber den Mitgliedsstaaten enthaltend.
Die GRCh bietet einen umfassenden Grundrechtsschutz wie bei den Grundrechten im GG. Die Grundrechte-Charta ist v.a. insoweit relevant, als die Unionsorgane beim Erlass von Rechtsakten nicht an die Grundrechte des GG gebunden sind.
Der Anwendungsbereich der GRCh erstreckt sich auf die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union, wenn sie Unionsrecht erlassen oder vollziehen aber auch für Mitgliedsstaaten bei der Vollziehung von Unionsrecht. Vollzieht die BRD Rechtsakte, die mit der GRCh vereinbar sind, können die Grundrechte des GG nicht entgegengehalten werden (Art. 53 Abs. 1 GRCh).
Ein Verstoß sekundären Unionsrechts gegen die GRCh kann dazu führten, dass der EuGH das Sekundärrecht für nichtig erklärt.
Wie die nationalen Grundrechte enthalten die Unionsgrundrechte Schranken. Gemäß Art. 52 Abs. 1 S. 1 GRCh müssen Eingriffe in die Bestimmungen der GRCh gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt der Grundrechte beachten. Es gilt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Art. 52 Abs. 1 S. 2 GRCh).
Bei der Prüfung der Unionsgrundrechte kann man sich hinsichtlich des Prüfungsschemas an dem der nationalen Grundrechte orientieren. Der Unionsrechtsgeber möchte die nationalen Grundrechte respektieren, so dass der Kern der nationale Grundrechte bei der Auslegung der GRCh maßgeblich ist. Wenn Europarecht in nationales Recht Entscheidungsspielraum umgesetzt werden soll, kann das BVerfG sogar ggf. auf den deutschen Grundrechtsschutz zurückzugreifen.
Allgemeine Rechtsgrundsätze gehören ebenfalls zum Primärrecht. Sie sind Normen, die elementare Vorstellungen von Recht und Gerechtigkeit zum Ausdruck bringen und denen jede Rechtsordnung verpflichtet ist. Sie werden zur Lückenschließung und Auslegung des Unionsrechts herangezogen, insbesondere im Bereich der Rechtsstaatsprinzipien.
Das sind etwa folgende:
- Verhältnismäßigkeitsprinzip (ausdrücklich geregelt in Art. 5 Abs. 4 EUV)
- Vertrauensschutz,
- Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung,
- Gebot der Rechtssicherheit,
- Grundsätze über Widerruf und Rücknahme von Entscheidungen
Unter ungeschriebenem Unionsrecht versteht man die nicht kodifizierten Rechtsregeln des Unionsrechts. Hierzu zählen die allgemeinen Rechtsgrundsätze und das Gewohnheitsrecht. Das ungeschriebene Unionsrecht ist Teil des primären Unionsrechts bzw. steht zumindest im Rang dem primären Unionsrecht gleich (sog. ungeschriebenes Primärrecht).
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