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Europarecht (Mündliche Prüfung) - Sichtweise des BVerfG

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Europarecht (Mündliche Prüfung)

Sichtweise des BVerfG

Das BVerfG unterscheidet demgegenüber zunächst bei Kollisionen, ob diese zwischen dem Unionsrecht und dem deutschen Verfassungsrecht oder dem einfachen Recht bestehen.

 

Bei Kollisionen mit einfachen Gesetzen gelte folgendes: Das Unionsrecht (gleich ob Primär- oder Sekundärrecht) genieße Anwendungsvorrang gegenüber einfachem deutschem Gesetzesrecht. Dies folge aus einer ungeschriebenen Kollisionsnorm des primären Unionsrechts, der den Zustimmungsgesetzen zu den Verträgen bzw. Art. 23 Abs. 1 GG den innerstaatlichen Rechtsanwendungsbefehl erteilt habe.

 

Bei einer Kollision von unmittelbar anwendbarem Unionsrecht mit deutschem Gesetzesrecht, dürfen die deutschen Gerichte und Behörden nicht das deutsche Gesetz, sondern müssen die unionsrechtliche Bestimmung anwenden.

 

Anders stelle sich die Rechtslage aus der Sicht des BVerfG bei einer Kollision zwischen dem Unionsrecht und dem deutschen Verfassungsrecht dar. Die verfassungsrechtliche Grundlage für den Vorrang des Unionsrechts bilde Art. 23 Abs. 1 GG. Diese Übertragung sei durch Art. 79 Abs. 3 GG begrenzt, was Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG ausdrücklich klarstelle. Sei der unabänderbare Verfassungskern betroffen, scheide demnach eine Übertragung aus. Insoweit könne Unionsrecht auch keinen Vorrang vor deutschem Verfassungsrecht genießen. Unabänderbarer Verfassungskern sind die in Art. 79 Abs. 3 GG in Bezug genommenen Verfassungsprinzipien und der Grundrechtskern.

 

In der Solange I-Entscheidung (BVerfGE 37, 271 ff.) aus dem Jahre 1974 waren die deutschen Grundrechte mittelbar Prüfungsmaßstab für sekundäres Unionsrecht. Unionsverordnungen konnten dem BVerfG im Verfahren nach Art. 100 GG vorgelegt werden. Sie konnten auch mittels einer Verfassungsbeschwerde zum BVerfG (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a EStG) angegriffen werden. Dasselbe gelte auch für deutsche Rechtsakte, wenn geltend gemacht werde, dass diese gegen deutsche Grundrechte verstießen. Aus Sicht des BVerfG war zu diesem Zeitpunkt der Integrationsprozess noch nicht hinreichend fortgeschritten. Solange das Gemeinschaftsrecht nicht eine vom EP beschlossenen Grundrechtskatalog enthalte, der dem Grundrechtskatalog des Grundgesetzes adäquat sei, sei eine Kontrolle durch das BVerfG unter Anwendung der deutschen Grundrechte gegeben.

 

In der Solange II-Entscheidung (BVerfGE 73, 339 ff.) aus dem Jahr 1986 rückte das BVerfG davon ab. Nunmehr erblickte das BVerfG den hinreichenden Grundrechtsschutz als gegeben. Solange die EU dies gewährleiste, werde das BVerfG das Unionsrecht nicht mehr am Maßstab der Grundrechte überprüfen; entsprechende Vorlagen nach Art. 100 Abs. 1 GG seien somit unzulässig. Nachdem nun eine geschriebene GRCh existiert, dürfte an dem hinreichenden Grundrechtsschutz keinerlei Zweifel mehr bestehen. Sollten aber diese Voraussetzungen nicht (mehr) erfüllt sein, würde das BVerfG seine Kontrolle über Rechtsakte der Union wieder ausüben.