§ 1 Abs. 3 S. 1 EStG enthält die unbeschränkte Steuerpflicht auf Antrag (sog. fiktive unbeschränkte Steuerpflicht). Demnach werden natürliche Personen auf Antrag als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt, die im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, soweit sie inländische Einkünfte i.S.d. § 49 EStG beziehen. Mit diesen Einkünften wäre der Steuerpflichtige grundsätzlich nur beschränkt steuerpflichtig (dazu sogleich). Dem Steuerpflichtigen steht gem. § 1 Abs. 3 S. 2 EStG die Optionsmöglichkeit zur unbeschränkten Steuerpflicht jedoch nur dann offen, wenn seine Einkünfte im Kalenderjahr zu mindestens 90% der deutschen Besteuerung unterliegen oder die nicht der deutschen Besteuerung unterliegenden Einkünfte den Grundfreibetrag nach § 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG nicht übersteigen. Hintergrund ist, dass der „Wechsel“ der Steuerpflicht mit einer gewissen Gewichtung der inländischen Einkünfte verknüpft werden soll, da der Steuerpflichtig nunmehr im Veranlagungsverfahren nach denselben Grundsätzen veranlagt wird, wie ein „normaler“ unbeschränkt Steuerpflichtiger.
Den Wechsel der Steuerpflicht sowie die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht auf Antrag betrachten wir in den beiden folgenden Lernvideos.
Beispiel
B ist ein deutscher Staatsangehöriger. Er wohnt gemeinsam mit seiner französischen Ehefrau in einer Wohnung in Frankreich. B bezieht als Lehrer an einer Schule in Deutschland Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit. Er steht im Beamtenverhältnis zum Land Z und pendelt täglich von seinem Wohnsitz in Frankreich zu seinem inländischen Tätigkeitsort. Die Ehefrau des B ist als Lehrerin in Frankreich tätig (Jahreseinkommen (fiktiv) 35.000 EUR). Der B stellte in Deutschland einen Antrag nach § 1 Abs. 3 EStG und reichte entsprechend Steuererklärungen ein. Zudem beantragt er die Zusammenveranlagung mit seiner Ehefrau. Sind die Anträge des B zu gewähren?
B ist nicht gem. § 1 Abs. 1 EStG unbeschränkt steuerpflichtig, da er über keine Wohnung in Deutschland verfügt und auch seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht in Deutschland hat. Damit unterliegen die Einkünfte grundsätzlich der beschränkten Steuerpflicht gem. § 1 Abs. 4 i.V.m. § 49 EStG. Die Voraussetzungen für den Antrag der unbeschränkten Steuerpflicht gem. § 1 Abs. 3 EStG liegen jedoch für B vor. 90% seiner inländischen Einkünfte unterliegen der deutschen Besteuerung. Die Voraussetzungen für die Zusammenveranlagung sind nicht gegeben. Die (ausländischen) Einkünfte der Ehefrau überschreiten deutlich den (doppelten) Grundfreibetrag.
§ 1 Abs. 3 S. 1 EStG enthält eine gesetzliche Fiktion. Demnach wird der Steuerpflichtige bei einem erfolgreichen Antrag als unbeschränkt Steuerpflichtig in Deutschland behandelt. Entsprechend ermitteln sich seine Einkünfte grds. wie bei einem „normalen“ unbeschränkt Steuerpflichtigen. Insbesondere kann er auch den Sonderausgabenabzug und die Regelungen für außergewöhnliche Belastungen in Anspruch nehmen.
Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass trotz der Fiktion die unbeschränkte Steuerpflicht im Falle des § 1 Abs. 3 EStG nicht zur Anwendung des Welteinkommensprinzips führt. Der Steuerpflichtige ist vielmehr nur mit seinem inländischen Einkommen unbeschränkt Steuerpflichtig. Damit liegt ein Systembruch vor, der die fiktive unbeschränkte Steuerpflicht zu einem Zwitter zwischen unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht macht. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass die anderen ausländischen Einkünfte des Steuerpflichtigen ggf. im Rahmen des Progressionsvorbehalts (§ 32b EStG) berücksichtigt werden.
Hinweis
Für die Zusammenveranlagung von Ehegatten ist § 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG zu beachten. In diesem Fall müssen die Voraussetzungen von § 1 Abs. 3 EStG hinsichtlich der gesamten Einkünfte der Ehegatten vorliegen.
Auf die fiktive unbeschränkte Einkommenssteuerpflicht wird im nachfolgenden Video genauer eingegangen.