Die Wegzugsbesteuerung des § 6 AStG greift ein, wenn ein unbeschränkt Steuerpflichtiger der Anteile i.S.d. § 17 Abs. 1 S.1 EStG hält
- seine unbeschränkte Steuerpflicht infolge der Aufgabe des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts beendet,
- eine unentgeltliche Übertragung (i.d.R. Schenkung oder Erbfall) auf eine nicht unbeschränkt steuerpflichtige Person erfolgt, oder
- es durch einen Vorgang, der nicht in der aktiven Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht oder einer unentgeltlichen Übertragung auf eine nicht unbeschränkt steuerpflichtige Person begründet liegt, zu einem Ausschluss oder einer Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts kommt. Als Beispiel kann hier die Begründung oder die Änderung eines DBA mit einem anderen Mitgliedstaat genannt werden.
Die Voraussetzungen müssen nicht kumulativ vorliegen. Damit ist es ausreichend, wenn eines der Tatbestandsmerkmale erfüllt ist. Zu beachten ist, dass § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG eine Nachrangigkeitsregelung trifft, wenn der Vorgang bereits nach EStG, KStG oder dem UmwStG eine Entstrickungsbesteuerung auslöst. Für die Erbschaftsteuer trifft § 6 Abs. 1 AStG jedoch keine Regelung.
Hinweis
Zu beachten ist in diesem Zusammenhang aber, dass es umstritten ist, ob der bloße Abschluss eines DBA ausreichend ist (passive Entstrickung) oder ob es eines weiteren aktiven Handelns bedarf (aktive Entstrickung). Diese Rechtsfrage ist bislang nicht geklärt und derzeit Gegenstand eines beim BFH anhängigen Verfahrens (I R 41/22).
Beispiel
A hält Anteile i.S.d. § 17 Abs. 1 S. 1 EStG an seiner in Deutschland belegenen Kapitalgesellschaft. Er verzieht mit seiner gesamten Familie für ein paar Jahre nach Hong Kong um den dortigen Markt als Geschäftsführer seiner Firma zu erschließen. Dort begründet er einen Wohnsitz. Zudem lässt er seinen Wohnsitz in Deutschland bestehen. Mit Hong Kong besteht im Zeitpunkt des Wegzugs kein DBA. Nach 3 Jahren schließen Deutschland und Hong Kong ein DBA ab, nach dessen Regelungen die Besteuerung hinsichtlich der Anteile Hong Kong zuzuordnen wäre.
Beispiel
B ist im Inland unbeschränkt steuerpflichtig und an der B-GmbH wesentlich beteiligt. Die B-GmbH hält ausschließlich inländische Immobilien. B beschließt von nun an seine Zeit überwiegend auf Mallorca zu verbringen. Er begründet deshalb neben seinem inländischen Wohnsitz auch einen Wohnsitz auf Mallorca. Das DBA mit Spanien sieht eine mit Art. 13 Abs. 4 OECD MA vergleichbare Immobilienklausel vor. Löst dieser Vorgang die Wegzugsbesteuerung gem. § 6 AStG aus?
Nein, es wird kein Tatbestand des § 6 Abs. 1 S. 1 AStG verwirklicht. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AStG greift bei Fortbestehendem des inländischen Wohnsitz nicht ein. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AStG findet nur bei einer Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts Deutschlands Anwendung; diese liegt aber aufgrund der vergleichbaren DBA Regelung mit Art. 13 Abs. 4 OECD MA nicht vor.
§ 6 Abs. 2 AStG enthält eine eigenständige Legaldefinition für die unbeschränkte Steuerpflicht. Hier kann also nicht ohne weiteres auf die Regelungen des EStG zurückgegriffen werden. Unbeschränkt steuerpflichtig sind Personen, die
- innerhalb der letzten 12 Jahre vor dem die Entstrickung auslösenden Ereignis (gem. § 6 Abs. 1 AStG)
- mindestens 7 Jahre unbeschränkt steuerpflichtig i.S.d. § 1 Abs. 1 S. 1 EStG (= unbeschränkt steuerpflichtig) war. Dabei muss es sich nicht um einen zusammenhängenden Zeitraum von 7 Jahren handeln. In der Praxis kann das zu Ermittlungsschwierigkeiten führen. Nachzuweisen hat das im Zweifel als anspruchsbegründende Merkmale die Finanzverwaltung.
Im Falle des unentgeltlichen Erwerbs tritt der Erwerber in die Rechtsposition des Übertragenden ein. Für die Ermittlung der Zeiträume werden ihm dann die Aufenthaltszeiten des Übertragenden zugerechnet.
Liegen diese Voraussetzungen vor, so fingiert das Gesetz in § 6 Abs. 1 AStG eine Veräußerung. Zur Bestimmung des Veräußerungszeitpunkts (zur Bestimmung der Steuerschuld) enthält § 6 Abs. 1 S. 2 AStG gesonderte Regelungen. Dabei handelt es sich um eine Stichtagsbetrachtung. Auf diesen Stichtag ist insbesondere der gemeine Wert der Anteile zu bestimmen. In der Praxis erfolgt dies i.d.R. durch eine entsprechende Unternehmensbewertung.
Ereignis | Zeitpunkt |
Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht | Zeitpunkt der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht |
Unentgeltliche Übertragung (Erbfall/Schenkung) | Übertragungszeitpunkt (analog Stichtagsprinzip des § 9 ErbStG) |
Ausschluss oder Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts | Zeitpunkt unmittelbar vor dem Ausschluss oder der Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts (logische/juristische Sekunde) |
Die nachstehende Übersicht zeigt noch einmal die Rechtsfolgen eines Erbfalls auf:
Beispiel
A ist zu 100 % Gesellschafter der A-GmbH mit Sitz in Frankfurt. Er hat die Anteile in 2005 für Anschaffungskosten i.H.v. EUR 30.000 erworben. A verstirbt im Oktober 2023. Sein Alleinerbe ist sein in Italien lebender Sohn S. Der gemeine Wert der Anteile zum Erbzeitpunkt beträgt: 900.000 EUR.
In Deutschland sind die Anteile nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 AStG der Wegzugsbesteuerung zu unterwerfen. Maßgeblicher Zeitpunkt ist der Stichtag, der sich nach § 9 ErbStG ergibt (Zeitpunkt des Erbfalles). Auf diesen Zeitpunkt sind die stillen Reserven festzusetzen.
Hinweis
Es kann in diesen Konstellation dazu kommen, dass neben der Wegzugsbesteuerung auch Erbschaftsteuer erhoben wird. In diesem Fall ist zu prüfen, ob ein Antrag auf Billigkeitserlass zu stellen ist, um eine doppelte Besteuerung zu vermeiden.