Florian Solich - Steuerberater, Master of Arts (Taxation), M.A.
Leitsatz
Die in § 32b Abs. 1 S. 2 EStG geregelten Ausnahmen vom Progressionsvorbehalt gelten nur für diejenigen Einkünfte, die aufgrund einer abkommensrechtlichen Steuerfreistellung nach § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 EStG dem Progressionsvorbehalt unterliegen.
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 13.12.2021, 9 K 9061/21 wird als unbegründet zurückgewiesen.
(...)
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Anwendung des Progressionsvorbehalts auf ausländische Einkünfte aus einer Vermietung und Verpachtung (§ 21 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG).
A (Kläger und Revisionskläger) hat die deutsche Staatsangehörigkeit. Im Streitjahr 2018 erzielte A deutsche Einkünfte aus selbstständiger Arbeit (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 ff. EStG). Sein Wohnsitz war im Inland (Deutschland).
Die Ehefrau des A (B) wohnte in Polen und besaß die polnische Staatsangehörigkeit. Sie erzielte deutsche Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit (§ 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ff. EStG) sowie gewerbliche Einkünfte in Y.
Die Ehegatten beantragten in Deutschland die Zusammenveranlagung (§ 26 Abs. 1 S. 1, § 26b EStG). In der gemeinsamen Einkommensteuererklärung gaben A und B an, dass B polnische Lohneinkünfte sowie Einkünfte aus der Vermietung einer in Polen belegenen Immobilie erzielt habe, die nicht der deutschen Einkommensteuer unterlägen.
Das Finanzamt (Beklagter und Revisionsbeklagter) veranlagte die Ehegatten antragsgemäß nach § 26 Abs. 1 S. 1, § 1 Abs. 3, § 1a Abs. 2 Nr. 2 EStG zusammen. Dabei unterwarf das Finanzamt sämtliche von B in Polen erzielten Einkünfte dem Progressionsvorbehalt gem. § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 5 EStG.
Vertiefung
§ 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 5 EStG
Hat ein zweitweise oder während des gesamten Veranlagungszeitraums unbeschränkt Steuerpflichtiger oder ein beschränkt Steuerpflichtiger, auf den § 50 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 Anwendung findet,
Nr. 5 Einkünfte, die bei Anwendung von § 1 Abs. 3 oder § 1a oder § 50 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 im Veranlagungszeitraum bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens unberücksichtigt bleiben, weil sie nicht der deutschen Einkommensteuer oder einem Steuerabzug unterliegen; ausgenommen sind Einkünfte, die nach einem sonstigen zwischenstaatlichen Übereinkommen im Sinne der Nummer 4 steuerfrei sind und die nach diesem Übereinkommen nicht unter dem Vorbehalt der Einbeziehung bei der Berechnung der Einkommensteuer stehen,
bezogen, so ist auf das nach § 32a Abs. 1 zu versteuernde Einkommen ein besonderer Steuersatz anzuwenden.
Die Ehegatten erhoben Einspruch und Klage, die sich unter Bezugnahme auf § 32b Abs. 1 S. 2 Nr. 3 EStG gegen die Anwendung des Progressionsvorbehalts auf die polnischen Vermietungseinkünfte von B richteten.
Vertiefung
§ 32b Abs. 1 S. 2 Nr. 3 EStG
32b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 gilt nicht für Einkünfte
Nr. 3 aus der Vermietung oder der Verpachtung von unbeweglichem Vermögen oder von Sachinbegriffen, wenn diese in einem anderen Staat als in einem Drittstaat belegen sind, (…)
Sowohl der Einspruch als auch die Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg begründete die Klageabweisung mit Urteil vom 13.12.2021, 9 K 9061/21 (veröffentlicht in EFG 2022, S. 1590) damit, dass sich die Ausnahmeregelung des § 32b Abs. 1 S. 2 Nr. 3 EStG nach dem Wortlaut ausschließlich auf Einkünfte bezieht, die nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (sog. DBA) steuerfrei seien.
Im Streitfall sei aber das DBA Deutschland-Polen vom 14.05.2023 (BGBl. II 2004, S. 1305, BStBl. I 2005, S. 350) nicht auf die in Polen erzielten Vermietungseinkünfte von B anwendbar. Es fehle ein grenzüberschreitender Sachverhalt, da die Ehefrau abkommensrechtlich ausschließlich in Polen ansässig gewesen sei. Aufgrund dieser Tatsachen ergebe sich der Progressionsvorbehalt ausschließlich aus § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 5 EStG i. V. m. mit der fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht für B (§ 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG). Hierfür sehe auch § 32b Abs. 1 S. 2 EStG keine Ausnahmen vor. Obwohl im Fall einer unbeschränkten Steuerpflicht der B nach § 1 Abs. 1 EStG die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung den inländischen Steuersatz nicht erhöht hätten, führe dies auch nicht zu einem Verstoß gegen das Unionsrecht. Die Ungleichbehandlung knüpfe nicht an den Umstand an, dass die Ehefrau steuerlich in Polen ansässig sei, sondern daran, dass die Eheleute die Vorteile einer Zusammenveranlagung in Anspruch nehmen wollten.
- A machte mit der Revision die Verletzung materiellen Rechts geltend und beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und den Bescheid für die Einkommensteuer 2018 (zugleich Einspruchsentscheidung vom 03.03.2021) zu ändern, indem eine Anwendung des Progressionsvorbehalts auf die Einkünfte seiner Ehefrau aus Vermietung und Verpachtung unterbleibt.
- Das Finanzamt beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Der BFH sieht die Revision des A als unbegründet an und weist sie zurück (§ 126 Abs. 2 FGO). Das Finanzgericht hat zu Recht entschieden, dass die von B in Polen erzielten Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung nach § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 5 EStG dem Progressionsvorbehalt unterliegen.
§ 32b Abs. 1 S. 1 EStG sieht unter bestimmten Voraussetzungen die Anwendung eines besonderen Steuersatzes nach § 32b Abs. 2 EStG vor (Progressionsvorbehalt).
Nach § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 EStG kommt der Progressionsvorbehalt dann zur Anwendung, wenn ein unbeschränkt Steuerpflichtiger Einkünfte bezieht, die nach einem DBA steuerfrei sind. Bei § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 5 EStG gilt der Progressionsvorbehalt auch dann, wenn Einkünfte bezogen werden, die bei Anwendung des § 1 Abs. 3 oder des § 1a EStG im Veranlagungszeitraum bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens unberücksichtigt bleiben, weil sie nicht der deutschen Einkommensteuer oder einem Steuerabzug unterliegen.
§ 32b Abs. 1 S. 2 EStG regelt eine Ausnahme vom Progressionsvorbehalt. Danach gilt § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 EStG nicht für die in § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 – 5 EStG aufgeführten Einkünfte. Hierzu gehören u. a. Einkünfte aus Vermietung oder Verpachtung von unbeweglichem Vermögen, welches in einem anderen Staat als in einem Drittstaat belegen ist (§ 32b Abs. 1 S. 2 Nr. 3 EStG).
Der BFH erläutert, dass hinsichtlich der streitigen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung die Voraussetzungen des Progressionsvorbehalts nach § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 5 EStG erfüllt sind. Zum einen unterliegt B der fiktiven unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG. Zum anderen bleiben ihre in Polen erzielten Einkünfte i. S. d. § 21 EStG bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens unberücksichtigt, da insoweit keine inländischen Einkünfte i. S. d. § 49 EStG vorliegen. Dies alles ist zwischen den Beteiligten unstrittig, so dass der BFH hierauf nicht weiter eingeht. Der BFH bestätigt damit die Sichtweise des Finanzgerichts.
Für den BFH ist die Normierung eindeutig. § 32b Abs. 1 S. 2 EStG gilt ausschließlich für Einkünfte, die dem Progressionsvorbehalt nach § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 EStG unterliegen. Dessen Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor. Die Vermietungseinkünfte der B mit Ansässigkeit in Polen sind in Deutschland nicht steuerbar. Damit kann es nicht mehr zu einer Steuerfreistellung unter Anwendung des DBA Deutschland-Polen (2003) kommen. Die fiktive unbeschränkte Steuerpflicht von B in Deutschland ändert auch nichts daran, da wegen der fehlenden Belegenheit der Vermietungsobjekte in Deutschland keine inländischen Einkünfte i. S. d. § 49 EStG vorliegen.
Eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs des § 32b Abs. 1 S. 2 EStG auf Einkünfte, die nach § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 5 EStG dem Progressionsvorbehalt unterliegen, lehnt der BFH mit Verweis auf die Gesetzessystematik ab.
Eine solche Auslegung würde nicht nur der Systematik, sondern auch dem Wortlaut des § 32b Abs. 1 EStG widersprechen. Während § 32b Abs. 1 S. 1 EStG für verschiedene Fallkonstellationen einen Progressionsvorbehalt regelt, gilt die Ausnahme nach § 32b Abs. 1 S. 2 EStG ausdrücklich nur für den Fall des § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 EStG.
Hinweis
Der begrenzte Anwendungsbereich des § 32b Abs. 1 S. 2 EStG wird im Übrigen durch die Begründung des Gesetzesentwurfs bestätigt, da die Einführung dieser Ausnahme dort in einen Zusammenhang mit den Änderungen des § 2a Abs. 1 EStG durch das Jahressteuergesetz vom 19.12.2008 (BGBl. I 2008, S. 2794, BStBl. I 2009, S. 74) gestellt wird.
Diese Gesetzesänderungen sahen vor, dass die eingeschränkte steuerliche Berücksichtigung ausländischer negativer Einkünfte nach § 2a Abs. 1 EStG in Reaktion auf das Urteil des EuGH (Rewe Zentralfinanz) vom 29.03.2007, C-347/04 (EU:C:2007:194) nur noch für Drittstaaten-Einkünfte gelten sollte. Für die unionsrechtlichen Sachverhalte sollte stattdessen in § 32b Abs. 1 S. 2 EStG eine Ausnahme vom Progressionsvorbehalt eingefügt werden.
Fazit
Das Finanzgericht hat zu Recht entschieden, dass die Versagung der Ausnahmeregelung des § 32b Abs. 1 S. 2 EStG bei Einkünften, die nur nach § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 5 EStG dem Progressionsvorbehalt unterliegen, nicht zu einem Verstoß gegen das Unionsrecht führt.
Ein Verstoß gegen das Unionsrecht liegt nur dann vor, wenn für ausländische Einkünfte ein positiver, aber kein negativer Progressionsvorbehalt zur Anwendung kommt. Dies führt aber nicht dazu, dass nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige, die nach § 1a EStG bzw. § 1 Abs. 3 EStG fiktiv unbeschränkt steuerpflichtig sind und ihren persönlichen Verhältnisse im Wege der Zusammenveranlagung nach § 26 Abs. 1 S. 1 EStG berücksichtigen können, einschränkungslos wie unbeschränkt Steuerpflichtige zu behandeln sind (Senatsurteil vom 28.02.2024, I R 26/21, BFH/NV 2024, S. 757 zu § 1a EStG).
Der Senat sieht die Unionsrechtslage auf der Grundlage der herrschenden Rechtsprechung des EuGH als eindeutig an. Einer Vorlage an den EuGH bedarf es nicht.
Quelle: BFH-Urteil vom 21.05.2025, I R 5/22