Florian Solich - Steuerberater, Master of Arts (Taxation), M.A.
Leitsätze
Handels- und Geschäftsbriefe im Sinne von § 147 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3 AO können auch E-Mails sein.
(Digitale) Unterlagen über Konzernverrechnungspreise unterfallen dem Anwendungsbereich des § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO.
Die Finanzverwaltung ist im Rahmen der Außenprüfung grundsätzlich berechtigt, vom Steuerpflichtigen sämtliche E-Mails mit steuerlichem Bezug anzufordern.
Mangels Rechtsgrundlage ist es der Finanzverwaltung aber verwehrt, ein sogenanntes Gesamtjournal zu verlangen, das einerseits erst noch erstellt werden müsste und andererseits auch Informationen zu solchen E-Mails enthält, die keinen steuerlichen Bezug haben.
Tenor
Die Revision der Klägerin und die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Hamburg vom 23.03.2023, 2 K 172/19 werden als unbegründet zurückgewiesen.
(…)
Tatbestand
Die Beteiligten streiten anlässlich einer Außenprüfung über die Pflicht zur Vorlage von Handels- und Geschäftspapieren sowie sonstiger Unterlagen einschließlich eines sogenannten Gesamtjournals.
Entscheidungsgründe
Der beschließende Senat ist für das vorliegende Verfahren (…) als zuständiger Ertragssteuersenat zur Entscheidung berufen.
Rechtsfehlerfrei hat das Finanzgericht angenommen und die Klage insoweit richtigerweise abgewiesen, dass die Außenprüfung auf Grundlage der strittigen Bescheide von der Klägerin die Vorlage sämtlicher E-Mails verlangen darf, welche die Vorbereitung, den Abschluss und die Durchführung des sog. Agreements mit der anderen Konzerngesellschaft einschließlich der Verrechnungspreisdokumentation betreffen. Davon ausgenommen sind solche E-Mails, die lediglich privater Natur sind oder die firmeninterne Kommunikation betreffen.
Der Senat hält das Vorlageverlangen zunächst für hinreichend bestimmt.
Die aktuelle BFH-Rechtsprechung ist dahingehend eindeutig, indem die „en bloc“-Anforderung von Unterlagen im Rahmen einer steuerlichen Außenprüfung zulässig ist und keinen Verstoß gegen § 119 Abs. 1 AO darstellt (BFH-Urteil vom 28.10.2009, V III R 78/05, BFHE 227, 338, BStBl. II 2010, S. 455). Insbesondere wegen der regemäßigen Unkenntnis der Finanzverwaltung über das Vorhandensein konkreter Unterlagen ist ein Vorlageverlangen regelmäßig noch hinreichend bestimmt, welches sich z. B. auf die Vorlage von Eingangs- und Ausgangsrechnungen erstreckt (BFH-Urteil vom 28.10.2009, VIII R 78/05, BFHE 227, 338, BStBl. II 2010, S. 455).
Davon ausgehend ist auch das streitgegenständliche Vorlageverlangen nicht zu beanstanden. Die nach dem Tenor der Bescheide zwar offen gestaltete Aufforderung, alle den Prüfungszeitraum betreffenden Handelsbriefe i. S. d. § 147 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3 AO sowie die sonstigen Unterlagen i. S. d. § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO vorzulegen, findet durch die Bezugnahme auf das Agreement bereits eine Präzisierung. In der Begründung des Bescheids vom 11.07.2018 verweist das Finanzamt konkretisierend auf die Korrespondenz, der Aussagen über aufzeichnungspflichtige Vorgänge zu entnehmen sind sowie auf Unterlagen, die für die Überprüfung der Vollständigkeit und Richtigkeit der Buchungen und Aufzeichnungen unumgänglich sind. Eine weitere, das Vorlageverlagen hinreichend bestimmende Konkretisierung erfolgt abschließend noch einmal durch die Begründung i. R. d. Einspruchsentscheidung vom 03.09.2019, die nur auf die steuerlich relevante E-Mail-Kommunikation verweist.
Dem wesentlichen Zweck des Bestimmtheitserfordernisses, nämlich dem Betroffenen eines Verwaltungsakts klar zu machen, was von ihm gewollt wird, hat das Finanzamt damit hinreichend Rechnung getragen. Hierfür bedurfte es – entgegen der Auffassung der Klägerin – keinen weiteren Beschränkungen. Das Finanzamt war damit nicht gehalten, ohne nähere Kenntnis die E-Mails noch weiter zu konkretisieren, sondern konnte es somit der Klägerin überlassen, die einschlägigen E-Mails herauszusuchen.
Aus § 147 Abs. 6 AO folgt in der Sache die Pflicht zur Vorlage der aufbewahrungspflichtigen E-Mails (BFH-Urteil vom 24.06.2009, VIII R 80/06, BFHE 225, 302, BStBl. II 2010, S. 452; BFH-Urteil vom 12.02.2020, X R 8/18, BFH/NV 2020, 1045, Rz. 16).
Gemäß § 147 Abs. 1 Nr. 2 AO hat der Steuerpflichtige die empfangenen Handels- und Geschäftsbriefe geordnet aufzubewahren. Selbiges gilt nach § 147 Abs. 1 Nr. 3 AO für die Wiedergaben der abgesandten Handels- und Geschäftsbriefe.
Aufbewahrungspflichtig sind nicht nur die Ein- und Ausgangsrechnungen (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 26.09.2007, I B 53, 54/07, BFHE 219, 19, BStBl. II 2008, S. 415), sondern auch ist die gesamte, den betrieblichen Bereich betreffende Korrespondenz, soweit sie sich auf die Vorbereitung, Durchführung oder Rückgängigmachung eines Handelsgeschäfts i. S. d. § 343, § 344 HGB bezieht. Auf die Form kommt es dabei nicht an. So sind auch Fernschreiben, Telegramme und insbesondere E-Mails von der Aufbewahrungspflicht erfasst. Dies gilt nach Auffassung des Senats insoweit, als die E-Mail selbst – und nicht lediglich dessen Anhang – rechnungslegungsrelevante Informationen enthalten. Ansonsten ist der Anhang aufzubewahren.
Revisionsrechtlich ist es daher nicht zu beanstanden, wenn das Finanzamt die Vorlage derjenigen E-Mails verlangt, welche sich auf die Vorbereitung, den Abschluss und auch auf die Durchführung des Agreements beziehen.
Dem stand es in diesem Fall auch nicht entgegen, dass die E-Mails, soweit sie die Durchführung des Agreements betreffen, im Wesentlichen sogenannte Erfüllungshandlungen enthielten. Der Senat inkludiert auch E-Mails mit Inhalten einer Erfüllungshandlung zu den handelsgeschäftlichen Unterlagen i. S. d. § 343 HGB. D. h., die steuerliche Aufbewahrungspflicht des § 147 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3 AO erstreckt sich nicht nur auf den Abschluss, sondern zusätzlich auf die Vorbereitung und Durchführung eines mit dem Agreement gegebenen Handelsgeschäfts (Drüen in Tipke/Kruse, § 147 AO, Rz. 17b).
Mit Recht darf sich das Finanzamt deshalb darauf berufen, die Vorlage der Unterlagen diene als Nachweis über die Vollständigkeit der erklärten Betriebseinnahmen sowie zur Überprüfung der angewandten Verrechnungspreismethode. Ohne Vorlage der begehrten E-Mails wäre dem Finanzamt jegliche Möglichkeit genommen die Angaben der Klägerin sowohl im Hinblick auf die Verrechnungspreismethode als auch hinsichtlich der Art und des Umfangs ihrer Tätigkeit zu überprüfen. Dabei hat das Finanzgericht zutreffend berücksichtigt, dass die Kommunikation der Klägerin im Wesentlichen digital abläuft. Soweit die Klägerin anführt es sei mit unverhältnismäßigem Zeit- und Kostenaufwand verbunden die gewünschten E-Mails vorzulegen, steht dies mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz mangels weiterer Substantiierung nicht im Wege (Drüen in Tipke/Kruse, § 147 AO, Rz. 76a).
Es ist, wie das Finanzgericht richtigerweise erkannt hat, Sache der Klägerin, die Datenbestände so zu organisieren, dass eine Einsichtnahme durch die Finanzverwaltung erfolgen kann, ohne dass dabei geschützte (Daten-)Bereiche berührt werden.
Der hier erfolgte Eingriff des Finanzamts mit dem Rechtsinstitut eines Vorlageverlangens überlässt es der Klägerin, welche E-Mails oder Daten im Einzelfall vorgelegt werden. Damit hat die Klägerin die Möglichkeit, solche Daten, die nicht steuerrelevant sind, zu selektieren (sog. Erstqualifikationsrecht gem. BFH-Urteil vom 16.12.2014, X R 42/13, BFHE 248, 99 BStBl. II 2015, S. 519).
Mit Recht darf sich das Finanzamt deshalb darauf berufen, die Vorlage der Unterlagen diene als Nachweis über die Vollständigkeit der erklärten Betriebseinnahmen sowie zur Überprüfung der angewandten Verrechnungspreismethode.
Das Vorlageverlangen in Bezug auf ein Gesamtjournal kann aber nicht auf § 147 Abs. 6 AO gestützt werden. D. h. konkret, wenn Unterlagen nach § 147 Abs. 1 AO mit Hilfe eines Datenverarbeitungssystems erstellt worden sind, hat die Finanzbehörde im Rahmen einer Außenprüfung das Recht, Einsicht in die gespeicherten Daten zu nehmen und das Verarbeitungssystem zur Prüfung dieser Unterlagen zu nutzen (§ 147 Abs. 6 S. 1 Nr. 1 AO). Bei einer Außenprüfung kann die Finanzverwaltung auch verlangen, dass die Daten nach entsprechenden Vorgaben maschinell zur Auswertung zur Verfügung gestellt werden (§ 147 Abs. 6 S. 1 Nr. 2 AO) oder, dass die Daten nach eigenen Vorgaben in einem maschinell auswertbaren Format an die Finanzverwaltung übertragen werden (§ 147 Abs. 6 S. 1 Nr. 3 AO).
Voraussetzung für eine Datenanforderung i. S. d. § 147 Abs. 6 AO ist das Bestehen einer Aufbewahrungspflicht. Der Finanzverwaltung stehen solche Befugnisse daher nur für solche Unterlagen zu, die der Steuerpflichtige nach § 147 Abs. 1 AO aufzubewahren hat. Somith ist es von vorherein ausgeschlossen, dass die Finanzverwaltung mittels Datenzugriff nach § 147 Abs. 6 AO Einsichtnahme in die Unterlagen verlangen kann, die zwar vorhanden, aber vom Steuerpflichtigen nicht aufzubewahren sind (BFH-Urteil vom 24.06.2009, VIII R 80/06, BFHE 225, 302, BStBl. II 2010, S. 452; BFH-Urteil vom 12.02.2020, X R 8/18, BFH/NV 2010, S. 1045, Rz. 16; BFH-Urteil vom 07.06.2021, VIII R 24/18, BFHE 272, 349, BStBl. II 2023, S. 63, Rz. 13).
Keinen Erfolg hat die Klägerin mit der Argumentation, indem sie auf das Agreement verweist und vorbringt, dass diejenigen E-Mails, welche dessen Durchführungen beträfen, lediglich Erfüllungscharakter hätten, sich nicht auf ein Handelsgeschäft beziehen und deshalb § 147 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3 AO nicht unterliegen würden.
Hier stellt der Senat im Beschluss klar, dass auch Unterlagen der Aufbewahrungspflicht unterliegen, die sich lediglich auf die Durchführung eines Handelsgeschäfts beziehen. Auf die Frage, ob die angeforderten E-Mails Weisungen enthalten und deshalb selbst als Handelsgeschäft i. S. v. § 343 Abs. 1 HGB einzuordnen sind, kommt es nicht an.
Fazit
Zurecht verlangt das Finanzamt unter Berufung auf § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO die Vorlage derjenigen E-Mails, die sich auf die Verrechnungspreisdokumentation der Klägerin beziehen.
Dokumentationen über Konzernverrechnungspreise unterfallen nach Auffassung des erkennenden Senats ebenso dem Anwendungsbereich des § 147 Abs. 5 AO. Soweit auf Grundlage des § 90 Abs. 3 AO i. V. m. der Gewinnaufzeichnungsverordnung a. F. besondere Dokumentations- und Vorlagepflichten statuiert sind, entbindet dies nicht von der aus § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO folgenden Verpflichtung, allgemeine Unterlagen, namentlich auch E-Mails, vorzuhalten soweit darin Vorgänge enthalten sind, die für die Verrechnungspreisdokumentation und somit für die Besteuerung von Bedeutung sind.
Die hier streitbefangene Aufforderung der Finanzverwaltung an die Klägerin, das gewünschte Gesamtjournal zu überlassen, ist i. S. eines unbegrenzten Zugriffs auf alle E-Mails der Klägerin zu verstehen und hält sich daher nicht im rechtlich zulässigen Rahmen. Richtigerweise hat der BFH entsprechende Beschränkungen vorgegeben.