Inhaltsverzeichnis
- Haftung der Vertreter, § 69 AO (Geschäftsführerhaftung)
- Prüfschema für die Haftung gem. § 69 AO
- Verpflichteter Personenkreis gemäß § 34 und § 35 AO
- Gegensatz: Haftung als Gesellschafter einer Personengesellschaft
- Pflichtverletzung des Vertreters, § 69 Satz 1 AO
- Steuerausfall durch die Pflichtverletzung des Vertreters
- Mehrere Geschäftsführer
- Erläuterungen zum Auswahlermessen für die Inanspruchnahme der Geschäftsführer
- Verschulden
- Fallbeispiel
- Besonderheiten zum Tatbestandsmerkmal des Verschuldens
- Grundsatz der Gleichbehandlung der Gläubiger bei sonstigen Steueransprüchen
- Umfang der Zahlungspflicht des Haftungsschuldners i.S. von § 69 AO
- Darstellung der von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze
- Ermittlung der Haftungsquote (insbesondere für die Umsatzsteuer)
- Umfang der Haftung
- Drittwirkung der Steuerfestsetzung, § 166 AO
- Zahlungsaufforderung, § 219 AO
Haftung der Vertreter, § 69 AO (Geschäftsführerhaftung)
Zum Einstieg haben wir zwei Lernvideos zur Haftung nach § 69 AO.
Prüfschema für die Haftung gem. § 69 AO
1. Verpflichteter Personenkreis, §§ 69 S. 1, 34 Abs. 1 AO i.V.m. anderen Normen
1.1 Gesetzliche Vertreter juristischer Personen des Privatrechts
Geschäftsführer der GmbH, § 35 GmbHG
1.2 Geschäftsführende Personen von nicht- bzw teilweise rechtsfähiger Personenvereinigung
Vertretungsberechtiger "Geschäftsführer" der GbR, § 714 BGB
Vertretungsberechtigter „Geschäftsführer“ der OHG, § 125 HGB
Vertretungsberechtigter Komplementär als „Geschäftsführer“ der KG, §§ 161, 125 und Negativabgrenzung für die Kommanditisten in § 170 HGB
Anmerkungen
- bei Personengesellschaften besteht im Gegensatz zu juristischen Personen Personenidentität zwischen Gesellschaftern und Geschäftsführern („zur Vertretung der Gesellschaft berechtigt“)
- die Regelungen des Gesellschaftsvertrages haben Vorrang vor den gesetzlichen Bestimmungen des GmbHG, des BGB und des HGB
- Gegensatz zur Haftung als Gesellschafter von Personengesellschaften nach den Bestimmungen des BGB und HGB; vgl. hierzu § 128 HBG bezüglich der Haftung als OHG-Gesellschafter
Hinweis
Verpflichteter Personenkreis, §§ 69 S. 1, 34 Abs. 1 AO i.V.m. anderen Normen
Gesetzliche Vertreter natürlicher und juristischer Personen und von rechtsfähigen Personenvereinigungen (OHG, KG, Partnerschaftsgesellschaften, rechtsfähige GbR); vgl. § 14a Abs. 2 AO.
Geschäftsführer der GmbH, § 35 GmbHG
Vertretungsberechtiger "Geschäftsführer" der GbR, § 720 BGB
Vertretungsberechtigter „Geschäftsführer“ der OHG, § 124 HGB
Vertretungsberechtigter Komplementär als „Geschäftsführer“ der KG, §§ 161, 124 und
Negativabgrenzung für die Kommanditisten in § 170 HGB
Anmerkungen:
- bei Personengesellschaften besteht im Gegensatz zu juristischen Personen Personenidentität zwischen Gesellschaftern und Geschäftsführern („zur Vertretung der Gesellschaft berechtigt“)
- die Regelungen des Gesellschaftsvertrages haben Vorrang vor den gesetzlichen Bestimmungen des GmbHG, des BGB und des HGB
- Gegensatz zur Haftung als Gesellschafter von Personengesellschaften nach den Bestimmungen des BGB und HGB; vgl. hierzu § 721 BGB bezüglich der Haftung als Gesellschafter der GbR und § 126 HBG bezüglich der Haftung als OHG-Gesellschafter
Die Gesetzesänderungen sind im wesentlichen nur deklaratorischer Natur, weil die Rechtsfähigkeit von Personenhandelsgesellschaften ebenso wie die (Teil-)Rechtsfähigkeit der GbR in der Rechtsprechung bereits anerkannt worden ist.
3. Steuerausfall durch die Pflichtverletzung des Vertreters (Kausalität)
Steuerausfall
Die Pflichtverletzung im Festsetzungsverfahren führt nur dann zu einer Haftung, wenn dadurch im Erhebungsverfahren ein Steuerausfall droht bzw. vorliegt!
Kausalität
Ursächlichkeit zwischen Pflichtverletzung und deren Folgen unter Beachtung des hypothetischen Sachverhaltsverlaufs.
Mehrere Geschäftsführer
Grundsatz der Gesamtverantwortung und Ausnahmeregelungen sind zu beachten.
Entsprechende Anwendung für die Frage des Verschuldens als Voraussetzung für die Haftung gemäß § 69 AO!
PRÜFUNGSRELEVANTE ANMERKUNGEN ZUM „VERSCHULDEN"
Die Entrichtung der Steuern ergibt sich aus den Mitteln des Steuerschuldners, § 34 Abs. 1 S. 2 AO.
Grundsatz der Gleichbehandlung der Gläubiger
Geltung für die Umsatzsteuer und ggf. Körperschaftsteuer.
Haftung für die Lohnsteuer
Volle Haftung unter Hinweis auf § 38 Abs. 3 und 4 EStG; Ausnahme für den letzten LSt-Anmeldezeitraum vor der Zahlungsunfähigkeit.
5. Umfang und Rechtsfolge der Haftung
Umfang der Haftung
Steuer- und Steuervergütungsansprüche i.S.d. § 37 Abs. 1 AO, § 69 S. 1 AO Säumniszuschlage, § 69 S. 2 AO.
Rechtsfolgen der Haftung
Persönliche und unbeschränkte Haftung.
Drittwirkung der Steuerfestsetzung gemäß § 166 AO
Einschränkung des Grundsatzes der Akzessorietät der Haftung
Verpflichteter Personenkreis gemäß § 34 und § 35 AO
Die gesetzlichen Grundlagen ergeben sich aus den Vorschriften der Zivilgesetze, z.B. des BGB, HGB, GmbHG, AktG und das PartGG.
Gesetzliche Vertreter juristischer Personen
GmbH-Geschäftsführer bzw. Geschäftsführer der Unternehmergesellschaft, § 34 Abs. 1 AO i.V.m. § 35 GmbHG.
„Geschäftsführer“ von Personengesellschaften
- Geschäftsführer der GbR: im Regelfall jeder Gesellschafter, § 714 BGB (ab 01.01.2024: § 720 BGB)
- Geschäftsführer der OHG: im Regelfall jeder Gesellschafter, §§ 114, 125 HGB (ab 01.01.2024: § 124 HGB)
- Geschäftsführer der KG: im Regelfall der/die Komplementäre, §§ 161 Abs. 2, 170 und § 125 HGB (ab 01.01.2024: § 124 HGB)
Hinweise
- bei einer GmbH & Co KG hat der Geschäftsführer der Komplementär-GmbH die steuerlichen Pflichten der KG zu erfüllen
- die Regelungen des Gesellschaftsvertrages haben Vorrang vor den maßgebenden gesetzlichen Bestimmungen („abdingbares Recht“)!
- keine Geltung für gewillkürte oder bestellte Vertreter; z.B. der Steuerberater oder der Prokurist
Gegensatz: Haftung als Gesellschafter einer Personengesellschaft
Unabhängig von der Haftung in ihrer Stellung als Geschäftsführer haften diese aus ihrer Stellung als Gesellschafter nach den außersteuerlichen Haftungstatbeständen des BGB, HGB und des Partnerschaftsgesetzes:
- Gesellschafter der GbR -AEAO, Tz. q zu § 191-
Haftung in entsprechender Anwendung des § 128 HGB (analog OHG-Gesellschafter) - Gesellschafter der OHG und Komplementär der KG
Haftung nach § 128 HGB bzw. § 161 Abs. 2 HGB i.V.m. § 128 HGB für sämtliche Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis; Hinweis auf § 130 HGB bei neu eintretenden Gesellschaftern
Da es sich bei diesen Vorschriften um eine weitergehende Haftung ("ohne Verschulden") als bei § 69 AO handelt, wird das FA in diesen Fällen die Haftung auf die außensteuerlichen Tatbestände des HGB/BGB begründen = unbeschränkte und persönliche Haftung.
Pflichtverletzung des Vertreters, § 69 Satz 1 AO
Pflichten ergeben sich aus §§ 34, 35 AO bzw. den Einzelsteuergesetzen; der Geschäftsführer der GmbH hat alle steuerlichen Pflichten der juristischen Person zu erfüllen!
Steuerausfall durch die Pflichtverletzung des Vertreters
Steuerausfall (Haftungsschaden)
Durch die Pflichtverletzung im Festsetzungs- und/oder im Erhebungsverfahren muss ein Schaden für den Fiskus entstanden sein.
Nach herrschender Auffassung ist trotz der beiden Alternativen nur dann ein Haftungsschaden entstanden, wenn der Steuerschuldner die Steuern aus dem ihm zur Verfügung stehenden Mitteln nicht zahlt bzw. mangels ausreichender liquider Mittel teilweise nicht mehr zahlen kann (= Steuerausfall nach § 34 Abs. 1 S. 2 AO).
Demnach ist ein Haftungsanspruch entstanden, wenn die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis gegenüber dem Steuerschuldner (§ 43 AO)
- nicht, zu niedrig oder zu spät festgesetzt und dadurch nicht oder nur teilweise gezahlt wurden oder
- zwar rechtzeitig festgesetzt, aber nicht oder nur teilweise zum fälligen Termin erfüllt werden.
Grundsatz
Nach dem Schadenersatzprinzip des § 69 AO bilden Nichtfestsetzung und Nichterfüllung der Steuerschuld eine Einheit. Nach der kumulativen Prüfung der Haftung führt im Ergebnis der kausale Schaden im Erhebungsbereich (= Steuerausfall wegen Nichtzahlung durch den Steuerschuldner) zu einer Haftung.
Prüfungstipp
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prüfung der finanziellen Verhältnisse der GmbH ist der hypothetische Verfahrensablauf.
Fragestellung
Hätte die GmbH – vertreten durch den Geschäftsführer - bei rechtzeitiger und vollständiger Erfüllung ihrer Erklärungspflichten die Steueransprüche nach den zu diesem Zeitpunkt maßgebenden finanziellen Verhältnissen ganz oder teilweise erfüllen können?
Hypothetischer Verfahrensablauf:
Maßgebend sind die Vermögensverhältnisse der GmbH unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Geschäftsführer der GmbH die Steuererklärung/Steueranmeldung fristgerecht abgegeben hätte (= Ermittlung der „fiktiven Fälligkeit“).
Hat eine GmbH eine Steuererklärung verspätet abgegeben und ist die daraufhin festgesetzte Steuer gegenüber der GmbH nicht mehr beitreibbar, so haftet der Geschäftsführer der GmbH nur dann für die ausgefallene Steuerforderung, wenn diese bei rechtzeitiger Abgabe der Erklärung hätte realisiert werden können. Das Bestehen einer solchen Realisierungsmöglichkeit ist unter Berücksichtigung aller Umstände des konkreten Einzelfalls zu beurteilen.
Für die Frage des Haftungsumfangs ist fiktiv davon auszugehen ist, dass die Steuerklärung bzw. die Steueranmeldung durch den Geschäftsführer innerhalb der gesetzlichen Frist bzw. innerhalb einer vom Finanzamt gewährten Fristverlängerung abgegeben worden ist. Wäre einer Erfüllung der Steueransprüche nach den damaligen finanziellen Verhältnissen der GmbH möglich gewesen?
Unerheblich ist, ob die Steuerklärung z.B erst - verspätet - durch den Insolvenzverwalter abgegeben wird, überhaupt nicht abgegeben wird und das Finanzamt gemäß § 162 AO eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen durchführt.
Die Festsetzung/Anmeldung gegenüber/durch dem/den Steuerschuldner (GmbH) ist keine Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Haftungsschuldners (Geschäftsführer der GmbH) durch Haftungsbescheid nach § 191 Abs. 1 i.V.m. § 69 AO (= „Steuerbescheid ist kein Grundlagenbescheid für den Haftungsbescheid“).
Mehrere Geschäftsführer
§ 35 GmbHG: Vertretung der Gesellschaft
(1) Die Gesellschaft wird durch die Geschäftsführer gerichtlich und außergerichtlich vertreten. Hat eine Gesellschaft keinen Geschäftsführer (Führungslosigkeit), wird die Gesellschaft für den Fall, dass ihr gegenüber Willenserklärungen abgegeben oder Schriftstücke zugestellt werden, durch die Gesellschafter vertreten.
(2) Sind mehrere Geschäftsführer bestellt, sind sie alle nur gemeinschaftlich zur Vertretung der Gesellschaft befugt, es sei denn, dass der Gesellschaftsvertrag etwas anderes bestimmt. Ist der Gesellschaft gegenüber eine Willenserklärung abzugeben, genügt die Abgabe gegenüber einem Vertreter der Gesellschaft nach Absatz 1. An die Vertreter der Gesellschaft nach Absatz 1 können unter der im Handelsregister eingetragenen Geschäftsanschrift Willenserklärungen abgegeben und Schriftstücke für die Gesellschaft zugestellt werden. 4Unabhängig hiervon können die Abgabe und die Zustellung auch unter der eingetragenen Anschrift der empfangsberechtigten Person nach § 10 Abs. 2 Satz 2 erfolgen.
(3) Befinden sich alle Geschäftsanteile der Gesellschaft in der Hand eines Gesellschafters oder daneben in der Hand der Gesellschaft und ist er zugleich deren alleiniger Geschäftsführer, so ist auf seine Rechtsgeschäfte mit der Gesellschaft § 181 des Bürgerlichen Gesetzbuchs anzuwenden. Rechtsgeschäfte zwischen ihm und der von ihm vertretenen Gesellschaft sind, auch wenn er nicht alleiniger Geschäftsführer ist, unverzüglich nach ihrer Vornahme in eine Niederschrift aufzunehmen.
Erläuterungen zum Auswahlermessen für die Inanspruchnahme der Geschäftsführer
Sind in einer GmbH bzw. Personengesellschaft mehrere Geschäftsführer bestellt, hat grundsätzlich jeder Geschäftsführer die Gesamtverantwortung für die Erfüllung der Pflichten der Gesellschaft; vgl. § 35 Abs. 2 S. 1 GmbHG!
Grundsatz der Gesamtverantwortung der Geschäftsführer
Im Rahmen des zu beachtenden Auswahlermessens ist für jeden Geschäftsführer zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme als Haftungsschuldner erfüllt sind. = Die Geschäftsführer sind Gesamtschuldner nach § 44 AO, falls jedem von ihnen ein Haftungsbescheid erteilt wird.
Es ist in der Regel ermessensgerecht, wenn das Finanzamt die Geschäftsführer (§ 34 AO) nebeneinander jeweils auf die volle Haftungssumme in Anspruch nimmt = Gesamtschuldner gemäß § 44 Abs. 1 und 2 AO.
Ausnahme von der Gesamtverantwortung der Geschäftsführer
Durch eine vorweg getroffene eindeutige und schriftliche Vereinbarung wird die Verantwortlichkeit auf verschiedene Bereiche begrenzt, wenn der andere Geschäftsführer nicht erkennen konnte, dass steuerliche Pflichten nicht ordnungsgemäß erfüllt worden sind.
Berücksichtigung im Rahmen des Auswahlermessens FA und somit keine Inanspruchnahme.
Ergeben sich für den nicht mit der Führung des kaufmännischen Bereichs betrauten Geschäftsführer konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die steuerlichen Pflichten nicht erfüllt werden (z.B aus dem Zahlungsverkehr ergeben sich keine USt-Zahlungen an das FA), so trägt er ab diesem Zeitpunkt ebenfalls die Gesamtverantwortung und erfüllt den Haftungstatbestand des § 69 AO.
Voraussetzung ist jedoch bei Kenntnis von der finanziellen Lage der Gesellschaft, dass in diesem Zeitpunkt noch Mittel der Gesellschaft zur Tilgung der Steuerschulden zur Verfügung standen; ggf. anteilige Haftung nach dem Grundsatz der Gleichbehandlung der Gläubiger = In diesem Fall kann sich für den mit der Führung des kaufmännischen Bereichs betrauten Geschäftsführer ggf. eine höhere Haftungssumme ergeben.
Zeichnet sich die nahende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Gesellschaft ab, ist jeder einzelne Geschäftsführer ab Kenntnis hiervon ebenfalls verpflichtet, sich um die Gesamtbelange der Gesellschaft zu kümmern = Maßgebend sind jedoch für den erst jetzt über die finanzielle Lage der GmbH informierten Geschäftsführer die aktuellen finanziellen Verhältnisse.
Verschulden
Fragestellung
Trifft den Geschäftsführer der GmbH ein Verschulden daran, dass die Steuerforderungen des FA beim Steuerschuldner nicht mehr realisiert werden können?
Abzustellen ist auf das Verschulden der jeweiligen Person, die als Haftungsschuldner in Anspruch genommen werden soll (subjektiver Tatbestand):
- Vorsatz: Kenntnis der Pflichten und bewusste Verletzung "Mit Wissen und Wollen"; vgl. § 15 StGB
- grobe Fahrlässigkeit: Verletzung der Pflichten im ungewöhnlich großen Maße; vgl. § 43 GmbHG und AEAO Tz 4 zu § 173 AO
Liegt nur leichte Fahrlässigkeit vor, so kommt eine Inanspruchnahme gemäß § 69 AO nicht in Betracht; für die Abgrenzung kommt es auf die gesamten Umstände des zu beurteilenden Einzelfalls an = Schwieriges Abgrenzungsproblem in der Praxis.
Beispiele für das Verschulden des Geschäftsführers
- um Arbeitsplätze zu erhalten, werden die Steuern nicht gezahlt; gilt auch dann, wenn der Geschäftsführer befürchten musste, seinen Arbeitsplatz zu verlieren
- Überwachungsverschulden durch mangelhafte Kontrolle von Angestellten/Bevollmächtigten, die mit den steuerlichen Angelegenheiten der GmbH betraut sind
- Geschäftsführer hatte - tatsächlich - keine Kenntnis ("Strohmann-GF") von den Verhältnissen in der Gesellschaft; Pflicht GF zur Vermeidung der Haftung: Rücktritt
Zeitraum der Haftung
Der Geschäftsführer haftet nur für die Steuern, die bei ordnungsgemäßer Pflichterfüllung während des Zeitraums seiner gesetzlichen Vertretungsmacht festgesetzt und fällig gewesen wären.
Hierfür ist die Handelsregister-Eintragung als Geschäftsführer ohne Bedeutung, sie hat nur einen deklaratorischen Charakter. Maßgebend ist die tatsächliche Tätigkeit von der Bestellung bis zur wirksamen Beendigung durch Rücktritt oder Kündigung.
Fallbeispiel
Der Geschäftsführer (GF) der Z-GmbH hat mit USt-VA für November 01 eine Steuerschuld von 120.000 € angemeldet. Zum Fälligkeitstag 10.12.01 zahlt er jedoch nur 40.000 €, da er die restlichen 80.000 € dringend für Wareneinkäufe für das bevorstehende Weihnachtsgeschäft benötigt.
Ansonsten hätte er bei seiner Bank einen teuren Überziehungskredit (effektiver Zinssatz 18 %!) aufnehmen müssen: "Ehe das FA mit Vollstreckungsmaßnahmen beginnt, habe ich gut verdient und außerdem brauche ich beim FA nur 12 % Säumniszuschläge zu bezahlen".
Das Weihnachtsgeschäft wird jedoch zur großen Pleite, weil der GF die Marktlage verkannt hat. Aufgrund von immer größer werdenden finanziellen Engpässen und einer sich abzeichnenden Überschuldung stellt der Geschäftsführer am 20.01.02 einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, der bereits im Febr. 02 vom Amtsgericht mangels Masse eingestellt wird.
Die USt 11/01 i.H.v. 80.000 € kann somit von der GmbH nicht mehr an das FA gezahlt werden.
Frage
Haftet der Geschäftsführer der GmbH gemäß § 69 AO für die Steuerschulden der GmbH?
Lösungshinweise
Geschäftsführer als verpflichtete Person = Gesetzlicher Vertreter der GmbH; Erfüllung der steuerlichen Pflichten für die GmbH, § 34 Abs. 1 S. 1 und 2 AO i.V.m. § 35 GmbHG.
Überprüfung der Tatbestandsmerkmale des § 69 AO
Pflichtverletzung
Der Geschäftsführer hat die steuerlichen Pflichten der GmbH verletzt, indem er die USt zwar ordnungsgemäß angemeldet, aber nicht fristgerecht gezahlt hat, § 69 S. 1 Alt. 2 AO (vgl. auch § 34 Abs. 1 S. 2 AO).
Haftungsschaden
Durch die Pflichtverletzung kann die USt nicht mehr durch den Steuerschuldner "GmbH" gezahlt werden = Steuerausfall für FA droht in Höhe von 80.000 €.
Kausalität
Durch die nicht fristgerechte Zahlung der USt ist der Steuerausfall entstanden.
Verschulden
Geschäftsführer hat vorsätzlich gehandelt; er wusste genau, dass die USt am 10.12.01 fällig war und an das FA gezahlt werden musste. Maßgebend sind die finanziellen Verhältnisse der GmbH zum Fälligkeitszeitpunkt = Kreditaufnahme zur Zahlung von Steuern kann verlangt werden!
Ergebnis
Der Geschäftsführer haftet gemäß § 69 AO für die Steuerschulden der GmbH i.H.v. 80.000 €. Die Haftung umfasst auch die entstandenen Säumniszuschläge zur USt 11/01, § 69 S. 2 AO.
Umfang der Haftung ("Womit")
Falls der GF bis zu dem in der Zahlungsaufforderung bestimmten Fälligkeitstag nicht freiwillig zahlt, darf das FA wegen der Haftungsschuld in das gesamte Vermögen des Geschäftsführers vollstrecken = Haftung ist persönlich und unbeschränkt (vgl. auch §§ 249, 254 AO).
Anmerkungen
Die Inanspruchnahme steht im Ermessen des FA (§ 5 AO) und geschieht durch den gesonderten VA "Haftungsbescheid nach § 191 AO".
Kein Fall von §§ 370, 378 AO, weil die USt zutreffend festgesetzt worden ist; alleine die Nichtzahlung fällt nicht unter § 370 und § 378 AO.
Besonderheiten zum Tatbestandsmerkmal des Verschuldens
Die Lohnsteuer ist als „Fremdgeld“ grundsätzlich in voller Höhe vorrangig zu tilgen, da der Schuldner der Lohnsteuer gem. § 38 Abs. 2 S. 1 EStG der Arbeitnehmer ist.
Eine Besonderheit ergibt sich, wenn die vorhandenen liquiden Mittel für den letzten Lohnsteueranmeldungszeitraum nicht ausreichen, um die Bruttolöhne zu zahlen:
Der Rechtsgedanke des § 38 Abs. 4 EStG verpflichtet den Arbeitgeber grundsätzlich, nur so viel Lohn auszubezahlen, dass eine Abführung der Lohnsteuer noch möglich ist.
Reichen die zur Verfügung stehenden Mittel am letzten Lohnzahlungszeitpunkt vor der Insolvenz nicht zur Zahlung der vereinbarten Löhne zuzüglich Lohnsteuer aus, darf ein verantwortlich handelnder Vertreter die Löhne nur gekürzt als Vorschuss oder Teilbetrag auszahlen; aus den dann verbleibenden Mitteln hat er die entsprechende Lohnsteuer an das Finanzamt abzuführen.
Die liquiden Mittel werden auf die Arbeitnehmer, das Finanzamt und die Sozialversicherung aufgeteilt. Falls die Lohnsteuer nicht gezahlt wird, wird die Höhe der Lohnsteuer nach der Aufteilung der liquiden Mittel ermittelt!
Zu beachten ist jedoch, dass in der Praxis regelmäßig kurz vor der Insolvenz keine Löhne mehr gezahlt werden und somit keine Lohnsteuer entsteht, weil seitens der Arbeitnehmer für die letzten drei Lohnzahlungszeiträume gegenüber dem Sozialversicherungsträger Anspruch auf Insolvenzgeld besteht!
Fallbeispiel
Geschäftsführer G der X-GmbH hat am 30.06.06 noch die Löhne für den Monat Juni an die Arbeitnehmer ausgezahlt. Ende August stellt G einen Insolvenzantrag für die überschuldete GmbH. Das Amtsgericht erlässt noch am 26.08.06 ein allgemeines Verfügungsverbot, wonach dem G die Verfügung über Mittel der GmbH entzogen wird.
Die von G am 10.07.06 angemeldete Lohnsteuer Juni 06 iHv 15.000 € kann von der GmbH nicht bezahlt werden, obwohl hierfür am Fälligkeitstag noch liquide Mittel zur Verfügung standen. G hatte die Gelder für die Zahlung der Pacht für das Geschäftslokal verwendet, um eine Kündigung zu vermeiden.
Lösung
G haftet gem. § 69 AO für die Lohnsteuer iHv 15.000 € in vollem Umfang, da er als Geschäftsführer der GmbH (§ 34 Abs. 1 AO, § 35 GmbHG) pflichtwidrig (§ 38 Abs. 4 EStG) die zum 10.07.06 fällige Lohnsteuer nicht an das Finanzamt gezahlt hat, obwohl er dazu verpflichtet war (§ 34 Abs. 1 S. 2 AO, § 41a Abs. 1 EStG).
G handelt auch schuldhaft, da er seine Pflichten kannte und da ihm zum Fälligkeitstag noch genügend finanzielle Mittel der GmbH zur Verfügung standen.
Maßgebend ist der hypothetische Sachverhaltsverlauf mit folgender Fragestellung: Hätte G die Lohnsteuer am gesetzlichen Fälligkeitstag 10.07.06 noch aus den Mitteln der Gesellschaft entrichten können?
Dieses wäre nach der vorgegebenen Sachverhaltsdarstellung möglich gewesen, weil der GmbH zum Fälligkeitstag noch ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung gestanden haben, § 34 Abs. 1 S. 2 AO.
Somit liegt eine Pflichtverletzung des G vor, die kausal für den entstandenen Steuerausfall ist.
G hat vorsätzlich (§ 15 StGB) gehandelt und den Steuerausfall dadurch verschuldet. Nach alledem sind alle Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme des Geschäftsführers durch einen Haftungsbescheid gemäß § 191 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 69 AO erfüllt.
Grundsatz der Gleichbehandlung der Gläubiger bei sonstigen Steueransprüchen
Umfang der Zahlungspflicht des Haftungsschuldners i.S. von § 69 AO
Stehen zur Begleichung sämtlicher fälliger Steuerschulden und sämtlicher privater fälliger Verbindlichkeiten ausreichende Mittel der GmbH nicht in vollem Umfang zur Verfügung, so bewirkt eine schuldhafte Pflichtverletzung die Haftung nur in dem Umfang, in dem der Verpflichtete das Finanzamt gegenüber anderen Gläubigern benachteiligt hat.
Denn der Vertreter darf die Steuerschulden nicht schlechter behandeln als andere/übrige Verbindlichkeiten (= Grundsatz der anteiligen Tilgung/Grundsatz der anteiligen Haftung).
Vorsicht
Bezüglich der Befriedigung von Steuerschulden (mit Ausnahme der Lohnsteuer) stehen somit die privaten Gläubiger der GmbH gleichrangig gegenüber dem Finanzamt!
Die Feststellungslast für eine nicht anteilige, sondern nachteilige Befriedigung des Fiskus trägt das Finanzamt; der Steuerpflichtige hat jedoch eine gesteigerte Mitwirkungspflicht bei der Klärung, in welcher Weise die Gläubiger befriedigt worden sind.
Es sind drei Liquiditätsphasen zu unterscheiden:
Darstellung der von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze
Für die fälligen oder bereits entstandenen Ansprüche (z.B. Umsatzsteuer, Körperschaftsteuer, pauschale Lohnsteuer) gilt der Grundsatz der anteiligen Tilgung wegen der Gleichbehandlung aller Gläubiger.
Hierbei ist folgendes zu beachten:
- Fehlen die Mittel – des Steuerschuldners – zur Zahlung der Ansprüche des FA am Fälligkeitstag und können diese auch nicht auf dem Kreditweg beschafft werden, handelt der GF selbst dann nicht pflichtwidrig, wenn er die Steuererklärung bzw. Voranmeldung nicht abgegeben hat.
- Einschränkende Auslegung von § 69 AO S. 1 Alt. 1 AO!
- Eine eventuelle Pflichtverletzung des Vertreters im Anmeldungs-/Festsetzungsverfahren ist nicht oder nur teilweise ursächlich für das Nichtzahlen der Steuern, wenn Mittel i.S.v. § 34 Abs. 1 S. 2 AO nicht oder nicht ausreichend vorhanden waren.
- Eine Tilgungsvordringlichkeit bestimmter Zahlungsverpflichtungen (z.B. gegenüber von Kreditinstituten) ist unbeachtlich.
- Reichen bei Fälligkeit die verfügbaren Mittel zur Tilgung aller Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nicht aus, so hängt der Umfang der Pflichtverletzung davon ab, ob die Steuerschulden im selben Verhältnis getilgt wurden, wie die übrigen Verbindlichkeiten
- Ermittlung einer Haftungsquote bei Pflichtverletzungen durch Nicht-/Teilzahlung durch den Geschäftsführer über einen längeren Zeitraum
- Überschlägige Ermittlung der Haftungsquote im Haftungszeitraum unter Berücksichtigung der Mittelverwendung aus Vereinfachungsgründen wegen der erschwerten bzw. unmöglichen getrennten Betrachtung aller Fälligkeitszeitpunkte:
- Wurden während eines längeren Haftungszeitraums mit mehreren Fälligkeitszeitpunkten Steuern nicht oder nicht vollständig entrichtet, so ist bzgl. der Feststellung, ob und inwieweit der Vertreter seine Verpflichtung zur in etwa gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger gegenüber dem FA verletzt hat, auf den säumigen Gesamtzeitraum – Globalbetrachtung mit Quotenberechnung – abzustellen = Überschlägige Berechnung anhand der gesamten finanziellen Verhältnisse der GmbH im Haftungszeitraum!
- Der Haftungszeitraum beginnt mit der ersten Steuersäumigkeit unter der Annahme, dass der Geschäftsführer seine steuerlichen Pflichten vollständig und fristgerecht erfüllt hätte!
- Überschlägige Ermittlung der Haftungsquote im Haftungszeitraum unter Berücksichtigung der Mittelverwendung aus Vereinfachungsgründen wegen der erschwerten bzw. unmöglichen getrennten Betrachtung aller Fälligkeitszeitpunkte:
Ermittlung der Haftungsquote (insbesondere für die Umsatzsteuer)
Musterfall zur Darstellung der Lösung anhand des Berechnungsbogens
Die X-GmbH geriet Anfang 09 in eine Zahlungskrise (Nichtentrichtung der USt lt. eingereichten Voranmeldungen für 01 - 11/09) und fiel Ende 09 in Insolvenz. Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens wurde mangels einer den Kosten des Verfahrens entsprechenden Masse vom Amtsgericht abgelehnt.
Aus den Buchführungsunterlagen der GmbH ergeben sich die folgenden Werte:
- die privaten und fälligen Verbindlichkeiten betrugen zum 01.01.09 insgesamt 1.040.000 €; darin sind USt-Schulden 08 enthalten mit 40.000 €
- im Jahre 09 sind weitere private und fällige Verbindlichkeiten von 2.800.000 Mio € und Umsatzsteuer 09 iHv 160.000 € entstanden
- der Geschäftsführer zahlte in 09 insgesamt 1 Mio € auf sonstige Verbindlichkeiten; aber auf Anweisung der GmbH-Gesellschafter nichts auf die fälligen USt-Rückstände 09
- das FA hatte im Jahre 09 noch 20.000 € Körperschaftsteuererstattung 07 auf die rückständige Umsatzsteuer 09 umgebucht
In welcher Höhe haftet der Geschäftsführer für die rückständige Umsatzsteuer i.H.v. 200.000 € nach § 69 AO?
Lösungshinweise
Bei Umsatzsteueransprüchen, die im Haftungsverfahren gegen den Geschäftsführer der GmbH (§ 69 AO i.V.m. § 34 AO) geltend gemacht werden, ist im Rahmen der Prüfung des Verschuldens der haftungsbegrenzende Grundsatz der Gleichbehandlung der Gläubiger zu beachten.
Der Geschäftsführer ist verpflichtet, die privaten Gläubiger und die Finanzbehörde im gleichen Verhältnis zu befriedigen, wenn die verfügbaren Mittel nicht zur Tilgung sämtlicher Verbindlichkeiten ausreichen (BFH, BStBl II 1990, S. 201 mwN).
Wurden während eines längeren Haftungszeitraums mit mehreren Fälligkeitszeitpunkten Steuern nicht oder nicht vollständig entrichtet, so ist bzgl. der Feststellung, ob und inwieweit der Vertreter seiner Verpflichtung zur in etwa gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger gegenüber dem FA verletzt hat, auf den säumigen Gesamtzeitraum –Globalbetrachtung mit Quotenberechnung – abzustellen (BFH, BStBl II 1986, S. 657). Die Haftungsquote kann alternativ nach folgenden Berechnungsmethoden ermittelt werden.
A. Ermittlung der Haftungsquote nach dem amtlichen Berechnungsschema
1. | Berechnung der Gesamtverbindlichkeiten: |
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1.1 | Schuldenstand zu Beginn des Haftungszeitraums (ohne Steuerschulden) = Fällige Verbindlichkeiten! | ...... EUR |
| Zugang (+)/Abgang (./., z. B. Forderungsverzicht, Skonti, Rabatte) an Schulden i. S. von 1.1 (ohne Berücksichtigung geleisteter Zahlungen) bis zum Ende des Haftungszeitraums = Fälligkeit im Haftungszeitraum! (z.B. Tag des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder der Amtsniederlegung des Geschäftsführers) |
...... EUR |
1.2 | Zu tilgen waren mithin innerhalb des Haftungszeitraums insgesamt | ...... EUR |
1.3 | Steuerschulden (ohne Lohnsteuer) zu Beginn des Haftungszeitraums (zu berücksichtigen sind nicht nur die fälligen, sondern auch die bereits entstandenen Steuerschulden; z.B. nicht angemeldete Umsatzsteuer |
...... EUR |
| Zugang (+)/Abgang (./., z.B. durch Änderung der Festsetzung oder Erlass nach § 227 AO) an Steuerschulden i.S. der Nr. 1.3 im Haftungszeitraum (ohne Berücksichtigung geleisteter Zahlungen und ohne Lohnsteuer |
...... EUR |
1.4 | Steuerschulden insgesamt (ohne Lohnsteuer) | ...... EUR |
1.5 | Die Gesamtverbindlichkeiten (Nrn. 1.2 und 1.4) betragen | ...... EUR |
2. | Berechnung der Mittelverwendung: |
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2.1 | Summe der bezahlten Schulden i.S. von 1.2 im Haftungszeitraum | ….EUR |
2.2 | Summe der bezahlten Steuerverbindlichkeiten i.S. von 1.4 einschließlich Umbuchungen (Aufrechnung) im Haftungszeitraum |
….EUR |
2.3 | Gesamtsumme der bezahlten Verbindlichkeiten | ..... EUR |
2.4 | Durchschnittliche Tilgungsquote (Betrag lt. Nr. 2.3 in v. H. des Betrags lt. Nr.1.5) |
..... v.H. |
(2.5 | pauschaler Abschlag für Unsicherheiten der Berechnung | ..... v.H.) |
2.6 | anzusetzende Tilgungsquote | .... v.H. |
3. | Bei Anwendung des Prozentsatzes lt. Nr. 2.6 auf die Gesamtsumme der Steuerschulden lt. Nr. 1.4 hätte hierauf entrichtet werden müssen ein Betrag von |
..... EUR |
4. | Die Haftungssumme errechnet sich wie folgt: |
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4.1 | Betrag, der bei annähernd gleicher Behandlung von Schulden i.S. von 1.2 und Steuerschulden i. S. von 1.4 auf die Steuerschulden hätte gezahlt werden müssen lt. Nr. 3 |
..... EUR |
4.2 | Betrag, der tatsächlich auf die Steuerschulden (einschließlich Umbuchungen) gezahlt worden ist lt. Nr. 2.2 |
..... EUR |
5. | Ergebnis: Die Haftungssumme beläuft sich auf | ..... EUR |
Hinweis
zu Tz. 2.2: Die Verrechnung der Steuerschulden des Haftungszeitraums mit ebenfalls im Haftungszeitraum entstandenen Steuerguthaben (z.B. USt-Vergütung, KSt-Erstattung) beinhaltet eine Aufrechnung nach § 226 AO und steht somit einer Zahlung von Steuerschulden gleich.
1. Berechnung der Gesamtverbindlichkeiten:
1.1 Zahlungsverpflichtungen zu Beginn des Haftungszeitraums (01.01.09)
gegenüber privaten Gläubigern (ohne Steuerrückstände) 1.000.000 €
+ Zugang an oa Schulden (ohne Berücksichtigung geleisteter
Zahlungen) bis zur Zahlungseinstellung/Insolvenz (12/09) 2.800.000 €
1.2 Zu tilgende allgemeine Verbindlichkeiten insgesamt 3.800.000 €
1.3 Steuerschulden zu Beginn des Haftungszeitraums 40.000 €
+ Zugang an Steuerschulden im Haftungszeitraum 160.000 €
1.4 Steuerschulden insgesamt 200.000 €
1.5. Gesamtverbindlichkeiten danach (Nrn. 1.2 und 1.4) 4.000.000 €
2. Berechnung der Mittelverwendung:
2.1 Summe der bezahlten Schulden i.S. von 1.2 im Haftungszeitraum 1.000.000 €
2.2 Summe der bezahlten Steuerverbindlichkeiten i.S. von 1.4 einschließlich
Umbuchungen bzw. erfolgter Aufrechnungen im Haftungszeitraum
(Aufrechnung der KSt-Erstattung mit der USt-Verbindlichkeit nach § 226 AO) 20.000 €
2.3 Gesamtsumme der bezahlten Verbindlichkeiten 1.020.000 €
2.4 Durchschnittliche Tilgungsquote
(Betrag lt. Nr. 2.3 in Prozent des Betrages lt. Nr. 1.5)
1.020.000 €/4.000.000 € 25,5 %
(2.5 Kein pauschaler Abschlag!)
2.6 Anzusetzende Tilgungsquote 25,5 %
3. Bei Anwendung des Prozentsatzes lt. Nr. 2.6 auf die Gesamtsumme der
Steuerschulden lt. Nr. 1.4 hätte hierauf entrichtet werden müssen:
200.000 € x 25,5 % 51.000 €
4. Die Haftungssumme errechnet sich wie folgt:
4.1 Betrag der lt. Nr. 3 nach dem Grundsatz der Gleichbehandlung
der Gläubige entrichtet werden müssen 51.000 €
4.2 Betrag, der lt. Nr. 2.2 tatsächlich auf die Steuerschulden
entrichtet worden ist 20.000 €
5. Ergebnis: Die Haftungssumme beläuft sich auf 31.000 €
B. Alternative Berechnungsmethode
- Summe der Verbindlichkeiten zu Beginn des Haftungszeitraumes (01.01.09)
Sonstige Verbindlichkeiten 1.000.000 €
+ Steuerschulden 40.000 €
Se der Verbindlichkeiten 1.040.000 €
- Zugang an Verbindlichkeiten im Haftungszeitraum:
Steuerschulden 160.000 €
+ sonstige Verbindlichkeiten 2.800.000 €
Se der Verbindlichkeiten 2.960.000 €
- Ermittlung der Gesamtverbindlichkeiten im Haftungszeitraum
Summe lt. Tz 1 1.040.000 €
+ Summe lt. Tz 2 2.960.000 €
Gesamtverbindlichkeiten 4.000.000 €
- Se der bezahlten Verbindlichkeiten und getilgten Steuerschulden
im Haftungszeitraum einschl. Umbuchung (Aufrechnung) FA
Summe der Zahlungen an private Gläubiger 1.000.000 €
+ Summe der getilgten Umsatzsteuer 09 durch Aufrechnung 20.000 €
Gesamtbetrag der Zahlungen 1.020.000 €
- Ermittlung der durchschnittlichen Tilgungsquote, die sich bei gleichmäßiger Schuldentilgung ergeben hätte
Summe der gezahlten Verbindlichkeiten lt. Tz 4 im Verhältnis zu den
Gesamtverbindlichkeiten im Haftungszeitraum
1.020.000 € im Verhältnis zu 4.000.000 € 25,5 %
- Se der Steuerschulden im Haftungszeitraum 200.000 €
x durchschnittliche Tilgungsquote lt. Tz 5 25,5 %
zu tilgende Steuerschulden nach dem Grundsatz
der anteiligen -gleichmäßigen- Tilgung 51.000 €
./. tatsächlich getilgte Steuerschulden (vgl. auch Tz 4) 20.000 €
Haftungssumme nach § 69 AO 31.000 €
Umfang der Haftung
Der Haftende nach § 69 AO haftet persönlich und unbeschränkt mit seinem gesamten Vermögen = Haftungsumfang ist maßgebend für Vollstreckungsmaßnahmen (§§ 249 ff. AO) bei nicht freiwilliger Zahlung der Haftungssumme.
Die Haftung umfasst alle Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO), also auch steuerliche Nebenleistungen im Sinne des § 3 Abs. 4 AO, z.B. Verspätungszuschlag oder Säumniszuschlag, vgl. § 69 S. 2 AO.
Drittwirkung der Steuerfestsetzung, § 166 AO
Grundsatz des Haftungsrechtes
Der Haftungsschuldner kann nach dem Grundsatz der Akzessorietät der Haftung im Rechtsbehelfsverfahren gegen den Haftungsbescheid alle Einwendungen gegen die Höhe der festgesetzten Haftungssumme geltend machen. Die Haftung besteht nur im Umfang der materiell zutreffenden Steuerschuld. Unabhängig ist in diesem Zusammenhang die Bestandskraft der maßgebenden Steuerfestsetzungen.
Ausnahme, § 166 AO
Der gesetzliche Vertreter des Steuerschuldners (z.B. der Geschäftsführer der GmbH oder der „Geschäftsführer“ der OHG) hat bzgl. des Umfangs der Haftung eine zu hohe, aber formell bestandskräftige (= mit Ablauf der Einspruchsfrist) Steuerfestsetzung gegen die GmbH gegen sich wirken zu lassen, wenn er kraft eigenen Rechts in der Lage gewesen wäre, den Steuerbescheid anzufechten (= Drittwirkung der Steuerfestsetzung).
Maßgebend für den Umfang der Haftung ist in den Fällen des § 166 AO grundsätzlich die formell bestandskräftige Steuerfestsetzung, unbeachtlich ist, dass der Steueranspruch nach den Vorschriften der Einzelsteuergesetze tatsächlich niedriger ist; Ausnahme vom Grundsatz der Akzessorietät der Haftung!
Die Drittwirkung der formellen Unanfechtbarkeit nach § 166 AO lässt bei einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO) den Anspruch des Stpfl. und seines Vertreters als Haftungsschuldner auf eine grundsätzlich mögliche Korrektur der Steuerfestsetzung nach § 164 Abs. 2 S. 2 AO unberührt. Somit kann der Haftungsschuldner auch außerhalb der Einspruchsfrist uneingeschränkt Einwendungen gegen die materielle Richtigkeit der Steuerfestsetzung und folgegemäß gegen die Höhe der gegen ihn festgesetzten Haftungsschuld geltend machen (BFH, BStBl II 2015, S. 755).
Voraussetzung für die Anwendung der Grundsätze des § 166 AO ist somit, dass die ggf. der Haftung zu Grunde liegenden Steuerbescheide weder im Rechtsbehelfverfahren noch – ggf. auch fiktiv – nach einer Korrekturvorschrift (insbesondere § 164 Abs. 2 AO) noch änderbar sind (= Formelle und materielle Bestandskraft ist eingetreten)!
Zahlungsaufforderung, § 219 AO
Zahlungsaufforderung als selbständiger Verwaltungsakt im Steuererhebungsverfahren für Haftungsansprüche.
Erlass der Zahlungsaufforderung ist grundsätzlich nur unter den Voraussetzungen des § 219 S. 1 AO zulässig.
Ergeht ein Haftungsbescheid bezüglich Lohnsteuer, so darf die Zahlungsaufforderung ohne weitere Voraussetzung direkt mit dem Haftungsbescheid erlassen werden. Eine vorherige Vollstreckung in das Vermögen der GmbH ist nicht erforderlich, § 219 S. 2 AO!
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