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Abgabenordnung | Steuerfachwirtprüfung

Rücknahme / Widerruf von sonstigen Verwaltungsakten, §§ 130, 131 AO

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Rücknahme oder Widerruf von sonstigen Verwaltungsakten gem. §§ 130 und 131 AO

Vorbemerkungen

Für die Vorschriften nach § 130 AO und § 131 AO ist immer zwangsläufig zu prüfen ob es sich um einen sonstigen Verwaltungsakt handelt.

Sonstige Verwaltungsakte

Darunter fallen beispielsweise:

  • Zwangsgelder,
  • Verspätungszuschläge,
  • Fristverlängerungen oder deren Ablehnung,
  • Aufforderungen des Finanzamts,
  • Auskünfte zu erteilen oder Urkunden vorzulegen,
  • Prüfungsanordnungen nach § 196 AO,
  • Haftungsbescheide,
  • Pfändungsmaßnahmen,
  • Anrechnungsverfügungen im Steuerbescheid,
  • Abrechnungsbescheide nach § 218 Abs. 2 AO.

Merke

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Die § 130 AO und § 131 AO finden daher insbesondere keine Anwendung auf Steuer- und Feststellungsbescheide.

Überblick auf die Korrekturvorschriften

Die Korrektur von sonstigen Verwaltungsakten, die keine Steuerbescheide und solchen auch nicht gleichgestellt sind, richtet sich neben § 129 AO nach § 130 AO und § 131 AO, das bedeutet, sie werden

  • zurückgenommen, falls sie rechtswidrig sind nach § 130 AO,

  • widerrufen, falls sie rechtmäßig sind nach § 131 AO.

Wir schauen uns nun in den beiden folgenden Lernvideos die Korrekturvorschriften nach §§ 130 und 131 AO an. Danach gehen wir vertiefend auf beide Vorschriften und insbesondere die Tatbestandsmerkmale ein.

Nun wird etwas genauer auf die §§ 130, 131 AO eingegangen.

 

Rechtswidrigkeit oder Rechtmäßigkeit

Vorbemerkungen

Zentrale Bedeutung für die Anwendung beider Korrekturvorschriften ist ob der Verwaltungsakt

  • rechtswidrig oder
  • rechtmäßig ist.

Ein Verwaltungsakt ist rechtswidrig,

  • wenn er im Zeitpunkt seines Erlasses ganz
  • oder teilweise gegen zwingende gesetzliche Vorschriften nach § 4 AO verstößt,
  • ermessensfehlerhaft ist siehe hierzu AEAO zu § 5 oder
  • eine Rechtsgrundlage überhaupt fehlt.

Eine nachträgliche Änderung bewirkt im Sinne des § 130 AO grundsätzlich keine Rechtswidrigkeit der Sach- oder Rechtslage hingegen macht einen ursprünglich rechtmäßigen Verwaltungsakt grundsätzlich nicht im Sinne des § 130 AO rechtswidrig, es sei denn, es läge ein Fall steuerrechtlicher Rückwirkung vor, welche den Verwaltungsakt erfasst. Besonders schwerwiegende Fehler haben die Nichtigkeit und damit die Unwirksamkeit zur Folge nach § 125 in Verbindung mit § 124 Abs. 3 AO.

Liegt kein Fall der Nichtigkeit vor, so wird der rechtswidrige Verwaltungsakt zunächst wirksam.

Verstöße gegen formelles Recht

Verstöße gegen formelles Recht also gegen Vorschriften über

  • das Verfahren,
  • die Form oder
  • die Zuständigkeit

führen immer zur Rechtswidrigkeit.

Beispiel

Hier klicken zum Ausklappen

Die Finanzbehörde erlässt einen Haftungsbescheid, ohne zuvor den Haftungsschuldner angehört zu haben nach § 91 AO. Die Festsetzung ist formell rechtswidrig, da die Finanzbehörde gegen Verfahrensrecht verstoßen hat.

Verstöße gegen materielles Recht

Auch Verstöße gegen materielles Recht führen immer zur Rechtswidrigkeit.

Beispiel

Hier klicken zum Ausklappen

Die Finanzbehörde nimmt einen Erwerber eines Gewerbebetriebes für Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer gemäß § 75 AO in Haftung.

Der Haftungsbescheid ist rechtswidrig, da sich nach § 75 AO die Haftung nur auf Steuern, nicht aber auf steuerliche Nebenleistungen nach § 3 Abs. 4 AO erstreckt. Die Finanzbehörde hat somit gegen materielles  Recht verstoßen.

Es kommt häufig vor, dass das Finanzamt beim Erlass von Verwaltungsakten von einem irrführenden Sachverhalt ausgeht, weil es den wahren Sachverhalt nicht ordnungsgemäß ermittelt hat, oder weil der Antragsteller einen falschen Sachverhalt dargestellt hat. In beiden Fällen führt dies zur Rechtswidrigkeit der auf dem falschen Sachverhalt beruhenden Verwaltungsakte.

Beispiel

Hier klicken zum AusklappenDer steuerpflichtige Unternehmer beantragt beim Finanzamt die Stundung seiner Einkommensteuer nach § 222 AO, da er einen Schlaganfall erlitten habe und wegen der durch seine Krankheit veranlassten Geschäftseinbußen zurzeit nicht zahlungsfähig sei. Das Finanzamt gewährt daraufhin die Stundung. Später wird dem Finanzamt bekannt, dass sich der Steuerpflichtige immer bester Gesundheit erfreute.

Die Stundung ist rechtswidrig, da das Finanzamt von einem falschen Sachverhalt ausging. Daran ändert nichts, dass das Finanzamt wegen der falschen Angaben des Steuerpflichtigen kein Verschulden traf. Das Gesetz geht von der Rechtswidrigkeit solcher Verwaltungsakte aus. Dies regelt § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO „Rücknahme eines rechtswidrigen VA“.

Begünstigender oder nicht begünstigender Verwaltungsakt

Ob § 130 AO oder § 131 AO zur Anwendung kommt entscheidet die Frage der Rechtmäßigkeit.

Beide Vorschriften unterscheiden jeweils in ihren Absätzen 1 und 2, ob es sich um begünstigende oder um nicht begünstigende Verwaltungsakte handelt.

Da hier der Vertrauensschutz des Betroffenen nach § 130 AO sowie § 131 AO bezüglich einer erlassenen Entscheidung gilt können nicht begünstigende rechtswidrige Verwaltungsakte ohne weiteres zurückgenommen werden, während rechtmäßige begünstigende Verwaltungsakte nur in sehr engen Grenzen widerrufen werden können.

Unterordnung unter die Tatbestandsmerkmale

Vorbemerkungen

Nun geht es um die Prüfung, auch Subsumtion genannt, nach § 130 AO und § 131 AO, ob der Sachverhalt die aufgeführten Tatbestände der genannten Korrekturvorschriften entspricht.

Belastende rechtswidrige Verwaltungsakte

Diese Verwaltungsakte können sowohl mit Wirkung für die Zukunft als auch mit Wirkung für die Vergangenheit korrigiert und widerufen werden. Der Vertrauensschutz der Betroffenen spielt hier keine Rolle.

Begünstigende rechtswidrige Verwaltungsakte

Da in diesen Fällen die Betroffenen auf die Ordnungsmäßigkeit des Verwaltungsakts vertrauten, kommt eine Rücknahme nur unter den in § 130 Abs. 2 AO aufgezählten Voraussetzungen in Betracht. Denn in den dort genannten Fällen haben die Betroffenen selbst dazu beigetragen, dass für sie ungerechtfertigt günstige Verwaltungsakte erlassen wurden.

Eine Rücknahme kommt danach in Betracht:

  • wenn der Bescheid von einer sachlich unzuständigen Behörde erlassen wurde nach § 130 Abs. 2 Nr. 1 AO; diese Vorschrift hat nur geringe praktische Bedeutung.

  • wenn der Verwaltungsakt durch unlautere Mittel, wie arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt worden ist nach § 130 Abs. 2 Nr. 2 AO;

     

  • wenn der Begünstigte den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren nach § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO; Hier genügt es für eine Rücknahme bereits, wenn der Begünstigte den Verwaltungsakt gutgläubig durch unrichtige Angaben erwirkt hat.

  • wenn dem Begünstigten die Rechtswidrigkeit des VA bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt war nach § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO;

  • wenn die Voraussetzungen des § 131 Abs. 2 AO vorliegen;

     

  • § 130 AO, § 131 AO sind bestimmt durch den Gedanken des Vertrauensschutzes. Daraus resultiert, wenn ein rechtmäßiger Verwaltungsakt aus den in § 131 Abs. 2 AO genannten Gründen widerrufen werden kann, dann muss ein rechtswidriger Verwaltungsakt aus diesen Gründen erst recht zurückgenommen werden können. Eine Rücknahme, nach § 131 Abs. 2 AO darf allerdings nur mit Wirkung für die Zukunft möglich sein.

  • wenn der Betroffene zustimmt.

Belastende rechtmäßige Verwaltungsakte

Der Vertrauensschutz spielt hier keine Rolle.

Diese Verwaltungsakte können ohne weiteres aber nur für die Zukunft widerrufen werden.

Begünstigende rechtmäßige Verwaltungsakte

Da der Vertrauensschutz des Betroffenen nun einmal die erlangte Rechtsposition und in diesen Fällen am stärksten ausgeprägt ist.

Folgen nun hier aufgeführte Fälle in denen diese Rechtsposition gezogen werden kann:

  • wenn ein Widerrufsvorbehalt durch Gesetz zugelassen oder zulässigerweise im VA enthalten ist nach § 131 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO;

  • wenn der Betroffene eine mit dem VA verbundene Auflage nicht oder nicht fristgemäß erfüllt hat nach § 131 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO;

  • wenn die Finanzbehörde auf Grund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den VA nicht zu erlassen, und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet wäre nach § 131 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AO.

  • wenn der Betroffene zustimmt.

Ermessensausübung

Sind alle Voraussetzungen des § 130 AO oder des § 131 AO erfüllt, muss die Finanzbehörde im Rahmen seines pflichtgemäßen Ermessens nach § 5 AO nachprüfen, ob eine Rücknahme oder ein Widerruf auch tatsächlich auszusprechen sind.