Kursangebot | Abgabenordnung (Vertiefung) | Haftung des Eigentümers von Gegenständen, § 74 AO

Abgabenordnung (Vertiefung)

Haftung des Eigentümers von Gegenständen, § 74 AO

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Haftung des Eigentümers von Gegenständen, § 74 AO

= Verhinderung des Ausfalls von Betriebssteuern bei Unternehmen iS des § 2 UStG, falls wichtige pfändbare und dem Unternehmen dienende Gegenstände im Eigentum einer am Unternehmen beteiligten Person stehen!

Anwendungsfälle

  • Verpachtung bzw. Überlassung von Wirtschaftsgütern an juristische Personen (Anteilseigner bzw. Gesellschafter der GmbH verpachtet Betriebsgrundstück an die Gesellschaft)
  • Betriebsaufspaltungen; bezüglich USt gegebenenfalls Steuerschuldnerschaft der Besitzgesellschaft im Rahmen einer Organschaft = Haftung der GmbH als Organgesellschaft nach § 73 AO
  • Sonder-BV bei Personengesellschaften; vgl. aber auch Haftung der Gesellschafter nach den Vorschriften des HGB

Lernvideos

Nun zwei Lernvideos zur Haftung nach § 74 AO.

Voraussetzungen

Wesentliche Beteiligung, § 74. II AO

  • Beteiligung von mehr als 25 % -unmittelbar oder mittelbar- am Grund-/Stammkapital oder am Vermögen des Unternehmens

  • Mittelbare Beteiligung zum Beispiel durch direkte Beteiligung an einer Mutter-Personengesellschaft und mittelbar durch Beteiligung an einer anderen Tochter-Personengesellschaft, die unmittelbar an der Mutter-Personengesellschaft beteiligt ist

  • Beherrschender Einfluss und dadurch Einflussnahme auf das Verhalten der Gesellschaft in Bezug auf die Zahlung von Steuern, § 74 Abs. 2 Satz 2 AO

Eigentümer von Gegenständen, § 74 Abs. 1 S. 1 AO

  • Haftung erstreckt sich auf alle Wirtschaftsgüter materieller Art und auch auf immaterielle Wirtschaftsgüter; vgl. AEAO, Tz 1 zu § 74 AO
  • Einzelner und für den Betrieb des Unternehmens nicht ausschlaggebender Gegenstand wird von der Haftung nicht erfasst; z.B. Pkw

Umfang der Haftung

Betriebsbedingte Steuern

  • Steuern, deren Entstehungstatbestand zwingend ein Unternehmen voraussetzen, zB Umsatzsteuer und Gewerbesteuer (Gemeinde)

  • Keine Haftung für ESt/KSt; Kfz-Steuer des betrieblich genutzten Lkw, Steuerabzugsbeträge wie zum Beispiel Lohnsteuer und steuerliche Nebenleistungen

Zeitliche Beschränkung

  • Entstehung der Steuern während des Bestehens der wesentlichen Beteiligung (§ 38 AO iVm § 13 Abs. 1 Nr. 1a UStG bzgl. der Umsatzsteuer)

  • In dieser Zeit müssen die Gegenstände durch Verpachtung oder Überlassung auch dem Betrieb gedient haben (Stichtagsprinzip)

Gegenständliche Beschränkung

  • Die Haftung ist zwar persönlich, aber sachlich beschränkt auf den/der überlassene Gegenstand/Gegenstände

Besonderheiten zum Umfang und Geltendmachung der Haftung im Hinblick auf die gegenständliche Beschränkung

Die gegenständliche Beschränkung ist erst im Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen (BFH, BStBl II 1986, S. 589); Vollstreckung in die Gegenstände kann somit nur durch –freiwillige- Zahlung der höheren Haftungsschuld vermieden werden.

Das FA darf aus diesem Grund bei nicht freiwilliger Zahlung des Haftungsschuldners nur in diesen Gegenstand vollstrecken; Geltendmachung der Haftungsbeschränkung nach § 266 AO iVm §§ 786, 781 ZPO!

Sind die Gegenstände bei Erlass des Haftungsbescheides nicht mehr vorhanden, zB veräußert oder verschrottet, erstreckt sich die Haftung nach § 74 AO auch die erhaltenen Surrogate (Veräußerungserlöse für das Grundstück, Schadenersatz oder Tauschgegenstände); vgl. AEAO zu § 74 AO, Tz.

Aufnahme der gegenständlichen Beschränkung in den Haftungsbescheid; Hinweis auf die Haftungsbeschränkung des § 74 Abs. 1 Satz 1 AO im Haftungsbescheid ist ausreichend, BFH/NV 2009, S. 118 unter Verweis auf BFH/NV 1993, S. 215!

 

Haftung des Betriebsübernehmers, § 75 AO

 

Bei Betriebsübernahme kann sich eine Haftung aus § 75 AO und § 25 HGB ergeben.

Voraussetzungen und Umfang der Haftung sind unterschiedlich geregelt, Überschneidungen sind möglich.

 

Voraussetzungen für eine Haftung nach § 75 AO

Erwerb eines lebenden oder lebensfähigen Unternehmens im Sinne des § 2 I UStG oder gesondert geführten Betriebes im Ganzen, d.h. Übernahme aller wesentlichen Betriebsgrundlagen in einem Akt durch Übereignung = Funktionelle Betrachtungsweise ist maßgebend.

Der Betrieb muss grundsätzlich ohne nennenswerte Investitionen des Erwerbers fortgeführt werden können; nicht erforderlich ist die tatsächliche Fortführung.

Hierunter fallen nicht:

  • Verpachtung des gesamten Betriebes (anders bei § 25 HGB)
  • Fälle des § 75 Abs. 2 AO (zB Erwerb aus Insolvenz- oder Vergleichsmasse)
  • Gesamtrechtsnachfolge (§ 45 AO = Erben sind Steuerschuldner)

Die Kenntnis von den Steuerschulden des Betriebsveräußerers ist unerheblich.

Ein vertraglicher Haftungsausschluss ist ohne Bedeutung für § 75 AO; anders bei § 25 HGB.

Haftungsumfang (sachliche Beschränkung)

  • Nur betriebsbedingte Steuern, wie zB USt, GewSt und pauschale Lohnsteuer
  • Zusätzlich Haftung für Steuerabzugsbeträge (zB Lohnsteuer nach § 38 EStG, Steuerabzug bei Bauleistungen nach § 48 EStG) = Gegensatz zu Haftung nach § 74 AO!
  • Keine Haftung für ESt/KSt, Kfz-Steuer und steuerliche Nebenleistungen

Haftungszeitraum (zeitliche Beschränkung)

Entstehung und Festsetzung der Steuern gegenüber dem Steuerschuldner (Betriebsveräußerer) innerhalb bestimmter Fristen = Maßgebend ist drei getrennt zu ermittelnde Zeitpunkte:

1. Übereignung des Unternehmens = Maßgebend ist der Tag des wirtschaftlichen Übergangs des Unternehmens iS von § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO

Hinweis

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Beachten Sie die Regelungen im Kaufvertrag bzw. im Übergabevertrag!

2. Die Ansprüche müssen seit dem Beginn des letzten vor der Übereignung (vgl. § 39 Abs. 2 AO) liegenden Kalenderjahres entstanden sein, § 38 AO iVm Einzelsteuergesetzen

USt = mit Ablauf des jeweiligen VA-Zeitraums, in dem die Leistungen ausgeführt sind, spätestens mit Ablauf des Kalenderjahres, § 13 Abs. 1 Nr. 1a UStG; 

LSt = mit Zahlung des Lohnes an AN, § 38 Abs. 2 Satz 2 EstG

Maßgebendes Datum für den Haftungszeitraum bzgl. der Entstehung ist immer der 01.01. eines Jahres!

3.  Die oben angegebenen Ansprüche müssen zusätzlich bis zum Ablauf eines Jahres nach Betriebsanmeldung durch den Erwerber gegen den Steuerschuldner (= Betriebsveräußerer) durch das FA festgesetzt (Steuerbescheid) oder von diesem angemeldet (Steueranmeldung im Sinne des § 150 Abs. 1 Satz 3 AO) worden sein (Bekanntgabe bzw. die Wirksamkeit der Steuerfestsetzung nach den §§ 122, 124 Abs. 1 und 168 AO!)

Maßgebend ist der Eingang der Anzeige über die Betriebsveräußerung bzw. des entsprechenden Vertrages durch den Erwerber. Ausreichend ist auch die Weiterleitung der bei der Gemeinde gemachten Anzeige an das FA; vgl. AEAO, Tz 4.2 zu § 75 und Tz 1 zu § 138!

Datum des Eingangs der Betriebsanmeldung beim FA oder Weiterleitung der Betriebsanmeldung durch Gemeinde + 1 Jahr. Das Datum ist taggenau zu bestimmten!

Fallbeispiel

Das Einzelunternehmen des A wird mit Vertrag vom 11.12.04 im Ganzen an B veräußert. Der Übergang von Nutzen und Lasten der wesentlichen Grundlagen des Unternehmens erfolgt mit Wirkung vom 01.02.05. B meldet den Betriebsübergang am 15.02.05 beim FA an. Der Veräußerer schuldet noch die Einkommensteuer 04 und die Umsatzsteuer-Abschlusszahlungen der Jahre 03 und 04.

Sachliche Beschränkung
Keine Haftung für die Einkommenssteuer 04, weil keine betriebsbedingte Steuer

Zeitliche Beschränkung
Entstehung der Steuern ab dem 01.01.04; maßgebend für die Berechnung der Frist ist der Übergang von Nutzen und Lasten (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO) = Keine Haftung für die Umsatzsteuer 03; Entstehung nach § 13 Abs. 1 Nr. 1a UStG spätestens zum 31.12.03 

Festsetzung der Umsatzsteuer 04 durch Steuerbescheid bzw. Steueranmeldung gemäß § 168 AO gegenüber dem Veräußerer muss spätestens bis zum 15.02.06 erfolgt sein!

Womit wird gehaftet?

Die Haftung ist persönlich, aber gegenständlich beschränkbar auf das übernommene Aktivvermögen; kein Abzug der übernommenen Schulden

Die gegenständliche Beschränkung ist erst im Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen; vgl. auch zu § 74 AO = Das FA darf aus diesem Grund bei nicht freiwilliger Zahlung des Haftungsschuldners nur in das Aktivvermögen vollstrecken; Pfändungshindernisse nach Maßgabe der §§ 295 AO, 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO sind jedoch im Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen (BFH/NV 2013, S. 1905)

Hinweis auf die Haftungsbeschränkung des § 75 Abs. 1 Satz 2 AO im Haftungsbescheid ist erforderlich, BFH/NV 2009, S. 118 unter Verweis auf BFH/NV 1993, S. 215!

Ausreichend ist, wenn im Haftungsbescheid auf den Übergabevertrag verwiesen wird, falls sich aus diesem die übernommenen Gegenstände in eindeutig abgrenzbarer Weise ergeben!